Heimliche Gefühle

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In einen warmen Mantel gewickelt saß Firiel in der Bibliothek der Zitadelle. Das Feuer im Kamin vor ihr vermochte es nicht ganz, das große Gewölbe zu erwärmen. Draußen vor den Fenstern trieben die ersten Schneeflocken des Winters vorbei. Dieses Jahr hatte der Winter sehr viel früher als erwartet eingesetzt. Innerhalb weniger Tage war die Temperatur abgestürzt und dicke Wolken hatten den Himmel bedeckt. Nun endlich wurden sie ihre weiße Last los und überzogen Fornost und seine Umgebung mit einer schweren Decke.

Doch Firiel machte sich keine Sorgen. Die Bauern hatten den Wetterumbruch voraus geahnt und ihre Ernte früher als sonst eingebracht. Die Ernte war, wie sie vermutet hatten, reich ausgefallen. Und so würde es diesen Winter bestimmt keine Versorgungsengpässe wie im letzten Jahr geben. Firiel schauderte, als sie an den letzten Winter dachte, als eine schreckliche Seuche die Stadt im Würgegriff hielt. Sie hoffte inständig, dass sie etwas derartiges nie wieder erleben musste.

Sie richtete den Blick auf das Buch, das in ihrem Schoß lag. Es war ein recht altes Buch, das sie vor kurzem auf dem Markt erstanden hatte. Der Autor hatte darin das wenige Wissen der Menschen über die Entstehung Mittelerdes gesammelt, Lieder, Gedichte, Erzählungen. Es waren unzusammenhängende Stücke, ein Puzzle voller Geheimnisse. Und obwohl es nicht leicht zu lesen war, war es eine willkommene Lektüre für Firiel. Sie musste sich voll und ganz auf das Buch konzentrieren und so hatten ihre Gedanken keine Chance, davon zu schweifen.

„Ich dachte schon, ihr wäret krank geworden, meine Königin.", erklang eine sanfte Stimme hinter ihr. Ihre Nackenhaare richteten sich auf, als sie das hörte. Doch sie drehte sich nicht um. Ihr Blick war auf das Buch vor ihr gerichtet, ohne die Wörter zu erkennen. Ängstlich und freudig zugleich klopfte ihr Herz. Schritte kamen näher, dann trat Ildion seitlich in ihr Blickfeld. In seinen Händen hielt er ein Buch. Sie erkannte es. Es war eine Abhandlung über die Festungsgeschichte Fornosts. Für kurze Zeit hatte sie darin gelesen und es dann gelangweilt wieder an seinen staubigen Platz zurück gestellt.

Ildion kam nun näher. „Darf ich?", fragte er vorsichtig und wies auf den Platz neben ihr. Firiel nickte, einen Kloß im Hals. Sie verschlang die Finger hinter dem Buchrücken, um ihr Zittern zu verbergen. Seine bloße Anwesenheit reichte mittlerweile aus, um sie durcheinander zu bringen. Unterdrückte Gefühle und Pflichtbewusstsein rangen in ihr.

Besorgt sah er sie an. „Es ist lange her, dass ich euch zuletzt gesehen habe, Herrin.", meinte er leise, „Ist euch nicht wohl?" Firiel schüttelte den Kopf, dann erwiderte sie tonlos: „Ich brauchte etwas Zeit für mich." Sofort machte Ildion Anstalten, sich wieder zu erheben und sie allein zu lassen. Doch sie merkte, dass sie das auch nicht wollte. „Nein, bleibt...", sagte sie. Langsam setzte er sich wieder und musterte sie mit offener Sorge.

„Habt ihr etwas von eurem Sohn gehört?", fragte er schließlich in dem Versuch normale Konversation zu machen. Firiel griff in ihren Umhang und zog einen Streifen Pergament hervor. „Vor ein paar Tagen hat er mir geschrieben, dass es ihm gut geht. Er hat seine Truppen erreicht und hofft, eine ehemalige Grenzfestung wieder zu erobern.", antwortete sie. Dann richtete sie den Blick auf das Schreiben in ihrer Hand. Erst vor zwei Wochen war Aranarth wieder zur Grenze aufgebrochen. Sein kurzer Brief, indem er ihr mitteilte, dass es ihm gut ging und er hoffte, dass sie sich wohl fühlte, war per Botenvogel eingetroffen. Diese Raben hatte Aranarth im Herbst besorgen lassen. Sie waren zuverlässige Boten und um einiges schneller als ein berittener Bote. Der Prinz hatte sie bereits genutzt, um sich mit seinen Soldaten im ganzen Land zu verständigen. Mittlerweile war das Land nicht mehr sicher genug für berittene und leicht bewaffnete Boten.

„Ihr macht euch Sorgen um ihn?", fragte Ildion. Firiel nickte. „Ja, es ist so gefährlich geworden dort draußen.", erwiderte sie. Er beugte sich vor und nahm ihre Hand. „Es ist mit Sicherheit gefährlich, aber Aranarth ist ein guter Kämpfer, der außerdem kein Narr ist und sehr wohl Mut von Dummheit unterscheiden kann. Außerdem hat er ein großes Heer Soldaten um sich, die ohne zu zögern für ihn sterben würden.", versuchte er sie zu beruhigen. Firiel lächelte vorsichtig. „Ihr habt Recht.", erwiderte sie.

Die letzte KöniginWo Geschichten leben. Entdecke jetzt