Herrin und Dienerin

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Firiel schloss die Tür hinter sich. Sie wollte nicht, dass Ildion ging. Ihr wurde klar, dass sie den sympathischen Edelmann vermissen und sich um ihn sorgen würde. Mit gerunzelter Stirn sah sie zu Boden. Eben hatte sie sich eine Blöße gegeben und mehr von ihren Gefühlen preisgegeben, als sie wollte. Nun machte sie sich Vorwürfe. Es passte nicht zu der Maske der unnahbaren Königin, die sie bei offiziellen Anlässen immer trug. Mit einem Seufzen schüttelte sie den Kopf über sich selbst.

Sie trat in ihr Schlafgemach, mit dem vagen Gedanken, Osa zu bitten, ihr eine Suppe zu bringen. Jemand wartete im Zimmer auf sie, doch es war nicht Osa. Eine junge Frau, ein paar Jahre jünger als Firiel selbst, stand vor ihr und knickste nervös. Verwirrt sah die Königin sie an. „Wer seid ihr?", fragte sie forsch. Die Frau knetete ihre Schürze mit den Händen und suchte nach den richtigen Worten. Firiel fiel ihre ärmliche Kleidung auf und die Löcher in Schuhe und Schürze. „Mein...Mein Name ist Orla. Ich bin die Enkelin Osas. Meine Großmutter schickt mich zu ihnen, um ihnen aufzuwarten, meine Königin.", begann sie mit zittriger Stimme, fahrig strich sie sich eine Strähne ihres dunklen Haares hinter das Ohr. Abwartend setzte Firiel sich hin und sah die junge Frau aufmerksam an. „Warum ist Osa nicht hier?", fragte sie. „Sie ist krank.", flüsterte Orla, Verzweiflung überkam ihre Stimme, „Sie hat das Fieber. Vor ein paar Tagen sind die ersten in unserem Viertel daran erkrankt. Nun haben es auch noch weitere bekommen, auch Großmutter."

„Osa ist krank?", echote Firiel. Das konnte sie kaum glauben. Osa war nie krank gewesen. Die Dienerin war immer für sie da gewesen, zu jeder Tages- und Nachtzeit. Orla nickte und Tränen standen in den Augen der jungen Frau. Sie knüllte ihre Schürze noch mehr zusammen. Firiel erkannte, dass sie verzweifelt war. Vermutlich wäre sie jetzt lieber an der Seite ihrer kranken Großmutter, als hier, wo sie der Königin dienen musste. „Sehr krank.", sagte sie, „Großmutter ist alt und schwach und wir haben kein Geld für Medizin." Ihr Kinn bebte. „Habt ihr nach einem Arzt geschickt?", fragte Firiel, mittlerweile ehrlich besorgt. Orla schüttelte den Kopf. „Dafür haben wir auch kein Geld. Außerdem gehen Ärzte nicht in unser Viertel. Sie trauen sich nicht."

Sorge und Angst um ihre Dienerin ergriffen Firiel. Osas Anwesenheit war ihr in all den Jahren so selbstverständlich gewesen. Sie hatte kaum bemerkt, wie die Frau alt und gebrechlich wurde. Und auch wenn sie immer Herrin und Dienerin gewesen waren, so war ihr Osa doch sehr ans Herz gewachsen. Die Vorstellung, Osa zu verlieren... In Firiel stieg die Erinnerung an den ersten Winter empor, den sie in Fornost erlebt hatte. Sie war sehr krank gewesen und Osa hatte sie gepflegt. Die Frau war keine Minute von ihrer Seite gewichen. Und jetzt lag Osa in irgendeiner ärmlichen Hütte und schwebte in Todesgefahr. Einen plötzlichen Entschluss fassend stand Firiel auf. „Führe mich zu ihr!", befahl sie. Orla sah sie überrascht an. „Meine Herrin...?", fragte sie tonlos. „Du hast richtig gehört.", erwiderte Firiel und legte sich einen breiten Schal um die Schultern, „Bring mich zu Osa."


Nur wenig später verließen sie die Zitadelle. Eine Gruppe Soldaten begleitete sie. Auf den Schutz wollte Firiel auf keinen Fall verzichten. Sie saß auf Silbers Rücken, die sie schnell hatte satteln lassen. Orla lief vor ihr, um ihnen den Weg zu zeigen. Sie durchquerten die feinen Viertel der Stadt und näherten sich den Außenbezirken. Firiel zögerte. Der Geruch der Armenviertel schlug ihr bereits entgegen. Eine Mischung aus Feuergeruch, dem Gestank unzähliger Menschen, ihren Ausdünstungen, Tiergestank und dem Geruch der unzähligen Kneipen, Spelunken und Gerbereien. Sie hatte es wenn möglich immer vermieden, diesen Bereich der Stadt zu besuchen. Silber spürte ihr Zögern und blieb stehen. Auch die Soldaten kamen zum Halt.

Orla drehte sich fragend zu ihr um. Unsicher sah Firiel nach vorne. Vor ihr befanden sich die ersten Häuser der Armen. Schief und mehr schlecht als recht gebaut lehnten sie sich aneinander. An ihren Eingängen standen ärmlich gekleidete Menschen und sahen mit leerem Blick um sich. Das Flehen von Bettlern drang bereits an Firiels Ohr. Mit zusammengepressten Lippen gab sie sich einen Ruck. Sie wollte Osa sehen. Das schuldete sie ihrer treuen Dienerin. Entschlossen trieb sie Silber an und richtete stur den Blick nach vorne, fest entschlossen, sich nicht verängstigen zu lassen.

Die letzte KöniginWo Geschichten leben. Entdecke jetzt