Verschiedene Meinungen

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Firiel saß im offenen Säulengang vor dem Festsaal und blickte auf den Innenhof der Zitadelle hinab. Man hatte für die Königin einen hohen Lehnstuhl hier hin gestellt, damit sie, wie sie es sich angewöhnt hatte, die warme Sommerluft genießen konnte. In ihrem Schoß lag ein Tuch, dass sie bestickte.

Einen Moment lang ließ sie ihre Arbeit sinken und schloss entspannt die Augen. Es war warm in den letzten Tagen geworden und sie fühlte, wie mit jedem Sonnenstrahl die Schmerzen und das Leid der letzten Wochen weniger wurden. Da erklangen mit einem Mal Hufklänge. Doch die Königin ließ sich davon nicht stören. Erst als die Stimme ihres Sohnes zu ihr nach oben getragen wurde, schlug sie die Augen auf. „Bringt mein Pferd in den Stall! Und sucht die Königin! Sagt ihr, dass ich angekommen bin und sie erwarte."

„Aranarth!", flüsterte Firiel voller Freude. Sie sprang auf und legte ihre Handarbeit beiseite. Eilig lief sie nach drinnen und die Treppen nach unten. Gerade als das Pferd des Prinzen fort geführt wurde, betrat sie den Innenhof. „Mein Sohn!", rief sie. Der junge Mann wandte sich ihr zu. Monatelang hatte sie ihn nicht mehr gesehen und sich große Sorgen um ihn gemacht. Doch zu Unrecht, wie es schien. Aranarth sah gut aus. Sein Gesicht war wettergegerbt, stolz und aufrecht stand er da. In seinen Augen blitzte es feurig. Erleichtert stellte sie fest, dass er sich noch immer keinen Bart wachsen ließ, wie es hier im Norden Sitte war. Das lange schwarze Haar war nach dem Ritt etwas in Unordnung und seine Kleidung schmutzig.

Doch mit einem breiten Lächeln für sie kam Aranarth ihr entgegen und legte dann die Arme zu einer kurzen Umarmung um sie. Ein kurzer Kuss auf die Wange, dann richtete er sich wieder auf. „Wie geht es dir, Mutter?", fragte er ernst. Sie erwiderte das Lächeln. „Mir geht es gut. Und jetzt, da du da bist, noch besser.", sagte sie. Der Prinz runzelte die Stirn, seine Hände umschlossen die ihren. Dann jedoch nickte er zufrieden. „Wie war deine Reise hierher?", fragte nun Firiel. Aranarth musste schnell unterwegs gewesen sein und wie sie fest stellte, musste er kaum Sodaten bei sich gehabt haben. Denn erst vor wenigen Tagen war Arvedui aufgebrochen. „Das ist nicht der Rede wert.", unterbrach er sie. Leise fuhr er fort: „Ich will zu ihr, Mutter." Firiel nickte. Damit hatte sie gerechnet, wenn auch nicht so schnell. Aber Aranarth hielt ihr bereits seinen Arm hin. Sie hakte sich ein und ging mit ihm davon.


Recht schnell hatten sie den kleinen Garten hinter der Zitadelle erreicht. Aranarth trat vor und sah auf das Grab hinab. Lange Zeit sprach er nicht. Sanft fuhr er mit der Hand über den grauen Stein. Firiel hielt sich im Hintergrund. Zwar erfasste sie noch immer Kummer, wenn sie an ihre Tochter dachte, aber sie lernte, damit zu leben. Doch sie hatte nicht damit gerechnet, Aranarth so bewegt zu sehen.

„Ich war voller Freude, als ich die Nachricht erhielt, dass du schwanger warst.", murmelte ihr Sohn leise, „Aber dann..." Er brach ab. „Ich hätte meine Schwester auf Händen getragen und alles für sie getan.", flüsterte er schließlich. Bitter presste er die Lippen zusammen. „Ich weiß.", erwiderte Firiel. Sie ging zu ihm und legte sanft eine Hand auf seinen Rücken. Schweigend standen sie da.

Ein lauer Wind fuhr über das kleine Plateau. Nach einiger Zeit wandte Aranarth sich ihr wieder zu. Seine Miene war wieder gefasst und er lächelte. „Es ist schön hier.", sagte er. Firiel nickte. Da erblickte sie einen Diener, der sich ihnen näherte. „Aranarth...", machte sie ihren Sohn auf den Mann aufmerksam. Der junge Prinz drehte sich um. Bei ihnen angekommen, verneigte der Diener. Dann streckte er Aranarth einen Bogen Pergament entgegen. „Mein Herr Ildion schickt mich.", erklärte er.

Aranarth nahm das Schreiben entgegen, brach das Siegel und las. „Er lädt uns beide zu einem gemeinsamen Mahl heute Abend in seiner Villa ein, falls ich nicht zu erschöpft von meinem Weg hierher bin.", sagte er zu Firiel. Deren Herz geriet für einen Moment ins Stolpern. Eine Einladung von Ildion an sie beide... Nun, bestimmt wollte Ildion dem Erben des Königs seine Ehrerbietung erweisen, dass er sie einlud war wohl reine Höflichkeit, dachte sie. „Wirst du annehmen?", fragte sie mit möglichst ruhiger Stimme.

Die letzte KöniginWo Geschichten leben. Entdecke jetzt