Abschied

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Sommer 1975 D.Z.

Mit langsamen und bedachten Bewegungen führte Firiel das Schiffchen durch die am Webstuhl aufgespannten Fäden hindurch. Ihre Hände wurden zunehmend sicherer bei dieser Arbeit. Ein gewisser Stolz lag in ihrem Blick, als sie das Stück einfachen Wolltuchs musterte, dass sie in den letzten Tagen gewebt hatte. Firiel wandte sich Orla zu, die neben ihr saß und Kleidung nähte. Sie hatte in den letzten Wochen so gut wie es ihr möglich war, Firiel an einem elbischen Webstuhl das Weben beigebracht. Ihre Freundin lächelte und nickte anerkennend, bevor sie sich wieder ihrer Arbeit zuwandte.

Die beiden Frauen saßen mit einigen anderen Menschen aus Arthedain auf einem Platz im ehemals verwaisten Teil Mithlonds, wo Cirdan die Flüchtlinge untergebracht hatte. Mittlerweile hatte der Frühling Einzug ins Land gehalten und die Sonne gewann jeden Tag mehr und mehr an Kraft. König Earnil hatte Mithlond schon bald nach der Schlacht zusammen mit seinem Heer verlassen und so war nur noch Firiels Volk zu Gast in den grauen Anfurten.

Die Menschen von Arthedain nutzten das zunehmend bessere Wetter, um im Freien sich auf die kommenden Monate vorzubereiten. Krieg und Flucht hatten die meisten vollkommen ihrer Habseligkeiten beraubt. Es war jedem klar, dass sie nicht für immer in der Hafenstadt der Elben leben würden können. Und so wurde nun seit wenigen Wochen fleißig auf den Höfen und in den Häusern der Stadt gearbeitet.

Die Männer reparierten die Karren oder stellten komplett neue her. Sie besserten Werkzeug und Waffen aus. Währenddessen waren die Frauen mit der Herstellung neuer Kleidung beschäftigt. Mithilfe der Elben stockten die Heiler unter Finnjors Leitung ihre Vorräte auf. Es gab nur noch wenige Kranke unter ihnen, um die der Heiler sich kümmern musste. Doch die seelischen Wunden, die der Krieg geschlagen hatte, würden noch viel länger heilen müssen.

Firiels Blick wanderte unter den still arbeitenden Menschen umher. Die Frauen saßen in kleinen Gruppen beisammen, ihre Kinder bei sich und sprachen nur geflüstert miteiander. Sie erblickte Arion, der sich eben von einem alten Handwerker zeigen ließ, wie man Holz für einen Werkzeuggriff glättete. Stolz und Freude kamen in ihr auf.

Trotz seiner Herkunft als uneheliches Kind der Königin und Sohn eines Verräters, der öffentlich hingerichtet worden war, wurde Arion von ihrem Volk freundlich behandelt. Er hatte es schnell geschafft, die Herzen der Menschen für sich zu gewinnen, die entstehende brüderliche Zuneigung zwischen ihm und Aranarth ließ seine Herkunft rasch vergessen. Es schien fast, als würde Arions offenes und unkompliziertes Wesen den Flüchtlingen helfen, die dunklen Tage der Flucht schneller zu vergessen und sie nahmen sich gerne Zeit, dem wissbegierigen Jungen ihr Handwerk zu erklären. Ging er dann wieder, so erblickte Firiel jedes Mal eines der seltenen Lächeln auf ihren Gesichtern.

Aranarth war seltener unter seinem Volk als Firiel und Arion. Der junge Krieger war oft in Beratungen mit Cirdan, zu denen auch Firiel manchmal dazu kam. Auch Glorfindel und Mithrandir waren bei den Gesprächen manchmal dabei und berichteten von der Lage im ehemaligen Gebiet Arthedains. Noch immer zogen Orkbanden durch die Lande. Doch sie wurden immer weniger und schwächer. Die Festung von Carn Dum wurde von den Elben unter Glorfindel mehr und mehr zerstört. In ihrer Nähe war seit Wochen kein Feind mehr gesichtet worden. Langsam kehrte wieder Frieden in die Länder ein.

Und nun wartete alles... wartete, auf das Zeichen zum Aufbruch. Keiner wusste, wann Aranarth sich entscheiden würde, Mithlond zu verlassen und wohin er sie führen würde.

Firiel wusste, dass ihr Sohn nie weiter als bis zum Ende des Krieges geplant hatte. Und vor allem war ihr klar, dass er nie gedacht hatte, dass er dann für das Schicksal seines Volkes verantwortlich sein würde. Er suchte viel die Einsamkeit, wanderte am Strand oder im Fjord umher. Sie ließ ihm seine Ruhe, denn sie wusste, dass er mit schweren Entscheidungen kämpfte. Er würde sich entscheiden, wenn die Zeit dafür reif war.

Die letzte KöniginWo Geschichten leben. Entdecke jetzt