Auf sich gestellt

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Stetig einen Huf vor den anderen setztend trottete Silber vorwärts. Der Kopf der alten Stute hing schwer herab. Sie folgte dem Lauf eines kleinen Baches, der sich zwischen grasbewachsenen Hängen ein schmales Tal gegraben hatte. Die Gegend hier war rau. Hohes Gras und knorrige Bäume wuchsen auf den Hügeln ringsum. Zeitweise verwandelte sich der feste Untergrund unter den Hufen des Pferdes in einen morastigen Sumpf. Fliegen tanzten um Silber und ließen sich von dem matt wedelnden Schweif nur schwerlich vertreiben. Es gab keinen Weg, dem die Stute folgen konnte. Ihre Reiterin ritt einfach geradeaus nach Westen.

Firiel hielt Silbers Zügel nur locker in der Hand. Sie ließ die Stute in einem ihr angenehmen Tempo laufen. Vor ihnen näherte sich die Sonne langsam dem Horizont. In einem Tuch an ihrer Brust schlief Arion friedlich, in den Schlaf geschaukelt von Silbers gleichmäßigen Schritten. Geht nach Westen, Sahils Worte früher an diesem Tag waren ihr noch eindringlich im Gedächtnis. Und da sie sich selbst keinen Rat wusste, war sie diesem gefolgt. Doch es war ihr schleierhaft, wen sie dort antreffen sollte, wer ihr helfen sollte. Ihres Wissens nach bewegte sie sich durch ein Gebiet, das früher zum großen Königreich Arnor gehört hatte. Doch nun lebten hier kaum noch Menschen, es war Niemandsland.

Schon seit Stunden ritt sie langsam Richtung Westen. Nur schwer hatte sie ihre Gedanken im Zaum halten können. Immer wieder drohte sie angesichts ihrer Lage zu verzweifeln. Aber das durfte sie jetzt nicht. Ihr Sohn brauchte sie. Firiel musste schnell Hilfe für sie beide finden. Aber wohin sollte sie sich wenden? Sollte sie weiter nach Westen ziehen, in der vagen Hoffnung, dass Sahil Recht behalten würde? Oder sollte sie sich doch in den Süden aufmachen und versuchen, Gondor zu erreichen? Sie wusste es nicht. Und sie hatte entsetzliche Angst. Ihre Fantasie malte ihr in blühenden Farben aus, was ihnen hier zustoßen konnte. Wilde Tiere, Gesetzlose, Stürme, Verletzungen, all dies tauchte, während sie so ritt, vor ihrem inneren Auge auf. Jedes Mal bildete sich ein dicker Kloß in ihrem Hals und sie musste heftig schlucken, um die Tränen zu unterdrücken. Sie würde nicht weinen. Erst wenn sie und Arion wieder in Sicherheit waren, durfte sie sich diesen Luxus erlauben.

Die Sonne sank tiefer und tiefer. Firiel bemerkte, dass Silber zunehmend langsamer wurde und den Kopf immer mehr hängen ließ. Sie lenkte ihre Stute zu einer Gruppe Bäume am Fuße eines Hügels. Dort angekommen saß sie ab. Ihr Körper protestierte bei der plötzlichen Bewegung. Sie war unglaublich steif. Firiel unterdrückte ein Stöhnen. Ihr Gesäß schmerzte. Langsam humpelte sie zu den Bäumen hin und band Silber an. Dann machte sie sich daran, den Sattel der Stute zu lösen und legte ihn auf den Boden.

Schließlich stand sie da und überlegte, was sie nun machen sollte. Erst jetzt wurde ihr vollends klar, dass sie nun das erste Mal eine Nacht allein im Freien verbringen würde. Panik stieg in ihr auf. Das konnte sie nicht! Sofort beschleunigte sich ihr Atem. Einen Moment stand sie einfach nur da und starrte ins Leere, während Angst und Verzweiflung sie lähmten.

Da bewegte sich Arion. Er quietschte leise. Das brachte Firiel wieder zur Besinnung. Sie sah auf ihren Sohn hinab. Bestimmt würde er bald Hunger kriegen. „Gleich...", murmelte sie leise zu ihm und wiegte ihn. Sie musste sich zusammen reißen. Ihr Verstand fing wieder an zu arbeiten. Sie brauchte Feuer. Ihre Blicke flogen umher. Tatsächlich fand sie einige trockene Zweige in ihrer Nähe und bald hatte sie einen kleinen Haufen Holz aufgeschichtet. Solange sie sich mit etwas beschäftigte, war die Angst nicht so groß und ihre Gedanken schweiften nicht ab. Doch sie wünschte sich mit einem Mal, dass sie nicht immer Orla das Feuer hatte anmachen lassen. Denn nun wusste sie nicht weiter.

Als sie vor ein paar Stunden in ihren Vorratsbeutel geguckt hatte, hatte sie auch eine Zunderbüchse gefunden. Diese holte sie nun heraus und hielt sie nachdenklich in der Hand. Mühsam schaffte Firiel es, sich an Orla zu erinnern, wie sie das Feuer im Kamin entfacht hatte. Sie beugte sich über ihren Holzhaufen und versuchte, einen Funken zustande zu bringen. Doch nichts passierte. Wieder und wieder mühte sie sich ab, doch nichts passierte.

Die letzte KöniginWo Geschichten leben. Entdecke jetzt