Die nördlichen Höhen

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Dunkle, bedrohliche Berge türmten sich zu allen Seiten um Firiel und die Flüchtenden herum auf. An einigen Stellen war noch der nackte, schwarze Fels zu sehen, aus dem die nördlichen Höhen geformt waren. Doch die meisten Berge waren mit Schnee bedeckt. Ihre hohen Hänge wiesen keinerlei Spuren von Vegetation mehr auf. Dort gab es nur Fels und Schnee. Kalt glitzerten die Sterne auf die Berge herab. Ihr Licht ließ den Schnee funkeln.

Zwischen den Bergen breitete sich ein Wald aus hohen Nadelbäumen aus. Ihre Äste bogen sich unter dem Gewicht des Schnees nach unten. Es schien kein Leben in diesem Wald zu geben. Man fand weder Tierspuren noch hörte man etwas anderes als den Wind und den fernen Lärm der Schlacht.

Langsam bewegte sich der Zug der Menschen durch den verschneiten Wald. Firiel lief vorneweg, Saela und Orla mit ihren Kindern an ihrer Seite. Gemeinsam versuchten die drei Frauen, den Menschen hinter ihnen eine Schneise durch den teilweise bis über das Knie reichenden Schnee zu bahnen.

Firiel dachte nicht über einen Weg nach, den sie nehmen wollte. Es gab momentan nur eine Richtung, die sie nehmen konnten. Sie mussten so schnell wie möglich so weit weg von der Stadt wie es nur ging. Und so stapfte sie immer weiter durch den Schnee, auch wenn die Nacht bereits herein gebrochen war.

Hinter ihr kamen die vielen hundert Männer, Frauen und Kindern mit dem wenigen an Hab und Gut, das sie aus der Stadt hatten retten können. Ständiges Gemurmel folgte Firiel. Sie hörte keine einzelnen Stimmen heraus. Aber die Trauer und die Angst ihres Volkes war deutlich für sie zu spüren. Stoisch folgten die Menschen ihrer Königin bei dem fast hoffnungslosen Versuch, eine sichere Zuflucht zu finden.

Das Entzünden von Fackeln hatte Firiel verboten. Zwar sahen sie so weniger, aber die Nacht war immer noch klar genug, um etwas zu erkennen. Würden sie Feuer entzünden, wären sie ein leichtes Ziel, sollten die Feinde entscheiden, sich in der Umgebung der Stadt umzusehen.

Sie hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Schon Stunden schienen verstrichen zu sein, seit sie Fornost verlassen hatten. Viele hatten geweint und geklagt, als Firiel sie an die Ausläufer des Waldes heran geführt hatte. Doch sie hatte sich die Trauer verboten. Ihre Aufgabe war nun wichtiger. Und auch die Gedanken an Sohn und Ehemann schob sie immer wieder von sich. Es machte keinen Sinn, über ihre Schicksale nachzugrübeln.

Der Boden begann, leicht anzusteigen. Sie befanden sich am Ende des Taleinschnittes. Kurz blieb Firiel stehen und sah zu den Berggipfeln empor. „Wir sollten rasten.", meinte Saela leise neben ihr. Firiel jedoch schüttelte entschieden den Kopf.

„Wir wissen nicht, wann die Orks genug davon haben, die Stadt zu plündern und Jagd auf ihre Bewohner machen. Eine Rast können wir uns noch nicht erlauben. Sobald wir Feuer zum Kochen entzünden, würde man uns außerdem sofort bemerken.", erwiderte sie ruhig.

„Und wo sollen wir dann hin?", fragte Saela zweifelnd, „Sehr lange werden sie nicht mehr durch halten." Mit einem Nicken ihres Kopfes deutete sie auf die Menschen hinter ihnen. Ihre eigene Tochter Kira stand leicht schwankend neben ihr.

Firiel seufzte. Saela hatte Recht. Sie brauchten eine Rast. Aber hier konnten sie nicht anhalten. Sie waren der Stadt noch zu nah. Erneut sah sie zu den Bergen. Dann fiel ihr ein Sattel zwischen den Bergrücken vor ihnen ins Auge. „Wir überqueren diesen Pass.", sagte sie, „Dahinter können wir rasten."

Ungläubiges Gemurmel erhob sich hinter ihr. Firiel wandte den Kopf und sah, wie die Menschen tuschelnd die Köpfe zusammen steckten. Mit angstvollem Blick sahen sie zu den Gipfeln. Einige hatten sich bereits unter den Bäumen in den Schnee sinken lassen.

„Wir müssen weiter.", sagte sie mit fester Stimme und drehte sich wieder um. Mit festen Schritten begann sie den Aufstieg. Seufzend folgten ihr Orla, Saela und ihre Kinder. Firiel war noch nicht weit gegangen, als sie das Geräusch vieler Menschen vernahm, die sich wieder in Bewegung setzten. Karren rumpelten und irgendwo muhte ein Rindvieh, das man noch vor den Flammen hatte retten können.

Die letzte KöniginWo Geschichten leben. Entdecke jetzt