Der Verräter

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Frühjahr 1962 D.Z.

Schweigend lauschte Arvedui dem Bericht eines Bauern. Der Mann war vor einigen Wochen zusammen mit seiner Familie vor dem nahenden Krieg in die Hauptstadt geflohen. Nun lebten sie bei den ärmsten Menschen der Stadt, hatten kein Land, das sie bestellen konnten, nichts zu essen. Seine Frau und seine Kinder mussten betteln gehen, um nicht zu verhungern. Nun stand er vor dem König und bat um Hilfe.

Arvedui betrachtete ihn aufmerksam. Der Bauer war nicht der Erste, der ihm derartiges erzählte und der König fürchtete, dass er nicht der Letzte war. Außer ihm drängten sich im Gang vor dem Thronsaal noch viele weitere Bittsteller aus dem Volk, die hofften zum König vorgelassen zu werden. Unter ihnen gab es bereits genug Kriegsflüchtlinge. Arvedui fürchtete, dass sie auf kurz oder lang viele geflohene Menschen würden aufnehmen müssen. Es wurde Zeit, dass er sich dafür einen Plan zurecht legte.

Nun aber sah er mit gerunzelter Stirn auf die Karte von Fornost und seinen umgebenden Ländereien hinab, die er sich hatte bringen lassen. Ein Großteil des Landes war bereits an Bauern verpachtet, doch vielleicht fand sich ein Flecken Erde für diesen Bauern und seine Familie. Schließlich fand er, was er suchte. „Komm her!", er winkte den Mann heran, der sich ihm scheu aber hoffnungsvoll näherte.

Arvedui legte den Finger auf die Karte und zeigte dem Mann das Stück Land. „Viel der umgebenden Felder wird bereits bestellt. Hier aber lebt und arbeitet noch niemand. Es ist kein Land, das leicht zu bestellen ist. Die Gegend um Fornost ist voller Sümpfe, die trocken gelegt werden müssen, bevor gesät werden kann. Doch ich bin sicher, dass du und deine Familie diese Herausforderung meistern werden.", erklärte er. Der Bauer besah sich die Karte, auch wenn Arvedui sich sicher war, dass der Mann nicht lesen konnte. Mit einem Nicken erwiderte der Mann schließlich: „Ich danke euch, mein König! Wir werden dieses Land fruchtbar machen." Er verbeugte sich tief und ging aus dem Raum. Arvedui indessen winkte einen seiner Schreiber heran und beauftragte ihn murmelnd ein Schriftstück aufzusetzen, um dem Mann das Stück Land zu verpachten.

Der nächste Bittsteller trat ein, verneigte sich vor dem König und hob eben an zu sprechen, als mit einem lauten Knall die Tür aufflog. „Vater!" Aranarths Stimme hallte durch den Saal. Überrascht und ein wenig erbost hob Arvedui den Kopf. Eigentlich wusste sein Sohn, dass er den König bei den Audienzen nicht zu stören hatte. Das Volk hatte selten genug die Möglichkeit, vor seinen König zu treten. Da wollte Arvedui vollkommen für die Menschen vor seinem Thron da sein.

„Aranarth!", rief er aus. Alles wandte sich dem jungen Prinzen zu, der mit weit ausgreifenden Schritten auf seinen Vater zu eilte. Sofort erkannte Arvedui, dass sein Sohn mit einem triftigen Grund ihn unterbrach. Sein Gesichtsausdruck war aufgewühlt. Die hellen Augen des jungen Mannes schossen Blitze umher. In seinen Händen hielt er ein Stück Pergament.

Schwer atmend blieb er vor dem Thron Arveduis stehen. „Vater...", sagte er, „Es tut mir leid, dass ich dich störe. Ich muss mit dir reden." Arvedui sah ihn forschend an. „Hat das nicht noch etwas Zeit?", fragte er immer noch ein wenig ungehalten. Aranarth schüttelte den Kopf. „Nein. Wir müssen jetzt reden, allein.", erwiderte er.

Arvedui seufzte. Aber er hob dennoch die Hände und rief: „Die Audienz ist aufgelöst. Ich werde ein andern Mal mich wieder euren Wünschen widmen." Leises Murmeln erhob sich. Der Mann, der eben vor ihn getreten war, ließ die Schultern hängen und schlurfte zusammen mit den anderen Menschen zum Ausgang. Sie taten Arvedui Leid. Manche von ihnen hatten Stunden darauf gewartet, zu ihm vorgelassen zu werden. Er musste häufiger Zeit für das einfache Volk finden.

Er stand auf und wandte sich seinem Sohn zu. „Ich hoffe, du hast mit gutem Grund die Audienz beendet.", brummte er. Aranarth nickte. „Ich sage es dir, sobald wir allein sind.", erwiderte er. Mit einem Wink schickte Arvedui auch die letzten noch anwesenden Personen fort, dann sah er erwartungsvoll zu Aranarth. Dieser hob das Stück Pergament hoch und hielt es seinem Vater entgegen. Arvedui runzelte die Stirn und nahm es entgegen. Er sah lediglich eine Abfolge hintereinander gekritzelter Zahlen. „Was soll das?", fragte er.

Die letzte KöniginWo Geschichten leben. Entdecke jetzt