Dein Schicksal

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Herbst/Winter 1939 D.Z.

„Firiel!" Die Stimme ihres Vaters drang wie durch einen Nebel zu ihr durch. „Iss endlich was!" Langsam hob Firiel den Kopf. Sie saß mit ihrem Vater und ihren Brüdern bei Tisch. Vor ihr stand ein Teller. Das Essen darauf war noch fast vollkommen unberührt. Die drei Männer am Tisch waren im Gegensatz dazu schon fast fertig. Wie lange saßen sie schon hier? Firiel wusste es nicht. Aber es zählte auch nicht. Schon die ganze Zeit hatte sie trübsinnig auf ihren Schoß gestarrt.

Seit sie wusste, dass sie den König Arthedains heiraten würde, lebte sie wie in einem bösen Traum. Alles erschien ihr unwirklich. Die Prinzessin lief wie schlafwandelnd durch die Gänge des Palastes. Sie hatte die Freude an ihren schönen Kleidern und dem Reiten verloren, und auch sonst an so vielen Dingen, die ihr noch vor wenigen Wochen solches Vergnügen bereitet hatten. Mittlerweile war der Herbst spürbar angebrochen. Arveduis Ankunft rückte von Tag zu Tag näher.

Die ersten Tage nach der Ankündigung ihres Vaters hatte Firiel wie im Schock gelebt. Erst nach und nach waren alle Konsequenzen, die mit dieser Heirat verbunden waren, zu ihr durch gedrungen. Sie würde nicht nur einen älteren, fremden Mann heiraten, den sie vermutlich erst am Tag der Hochzeit sehen würde. Nach der Heirat würde sie ihre Heimat verlassen. Arvedui würde sie mit in den Norden zurück nehmen. Fern von Heimat, Familie und Freunden sollte sie leben. Ihre zukünftige Heimat war hoch im Norden, wo es kalt und rau war. Die Sommer dort sollten kaum warm sein und die Winter lang und hart. Das Volk dort, das sie als Königin beherrschen sollte, war ihr vollkommen fremd. Sie würde vermutlich ihren Vater, ihre Brüder und ihre Freunde nie wieder sehen. Tarlinas Tochter würde sie nicht aufwachsen sehen.

Bei dem Gedanken an all diese Dinge schnürte es Firiel die Kehle zu. Auch jetzt noch lähmte sie Panik bei dem Gedanken an ihren Verlobten. Tränen traten in ihre Augen. Sie hob den Blick und sah ihren Vater an. Ondoher wies streng mit der Hand auf ihren Teller. „Du wirst essen, Kind, und wenn ich dich zwingen muss.", sagte er. Firiels Kinn fing bei der Drohung an zu beben. Sie spürte die Blicke ihrer Brüder auf sich. Mit zitternden Händen griff sie nach ihrem Besteck und begann langsam zu essen. Sie nahm kaum den Geschmack wahr. Mühevoll kaute sie und schluckte, kaute und schluckte, immer wieder. Der Berg Essen auf ihrem Teller schien kein Ende nehmen zu wollen.

Während sie Bissen für Bissen hinunter schluckte, mied sie es sorgfältig ihren Brüdern in die Augen zu sehen. Würde sie auch nur einen von ihnen ansehen, würde die Fassade, die sie so schwerfällig aufrecht erhielt, sofort zerbrechen. Bitte lass mich nicht weinen, dachte Firiel. Während sie aß, dachte sie darüber nach, wie sie sich ihre Hochzeit vorgestellt hatte. Es war noch nicht lange her, als sie davon geträumt hatte. Nur war es in ihren Träumen ganz anders gewesen. In ihren Träumen hatte ein gut aussehender, junger Edelmann sie umworben und schließlich bei ihrem Vater um ihre Hand angehalten. Er hatte ihr Geschenke und Komplimente gemacht und sie umschmeichelt. Doch so würde es nicht werden... Zumindest fiel es ihr schwer, daran zu glauben, wenn sie an Arvedui dachte. Ein König, der um einiges älter war als sie und sie als Unterpfand für ein Bündnis zur Frau forderte, würde sich wohl kaum damit aufhalten, ihr den Hof zu machen.

Firiel fühlte sich verkauft. Sie konnte nicht anders, das Gefühl verraten worden zu sein beschlich sie immer wieder. Ihr Vater hatte sie der Sicherheit seines Landes geopfert... Schwer schluckte Firiel den letzten Bissen hinunter. Endlich war sie fertig. Schon seit längerem hatte sie keinen Appetit mehr. Die junge Frau atmete ein paar mal tief durch, um sich zu beruhigen. Dann hob sie den Blick zu ihrem Vater. Ondoher wirkte jedes mal, wenn ihre Blicke einander begegneten, als würde er zwischen schlechtem Gewissen und Strenge hin und her wanken. „Darf ich mich entschuldigen, Vater?", fragte sie tonlos.

Ondoher sah sie kurz schweigend an, dann seufzte er und nickte. Erleichtert erhob Firiel sich und ging aus dem Raum. Leise klickend fiel die Tür ins Schloss. Langsam trottete sie den Korridor entlang und ging zu ihrem Gemach. Den Blick zu Boden gerichtet steuerte sie ihre Schritte nur unterbewusst. Schließlich erreichte sie ihr Gemach. Drinnen setzte sie sich in einen Sessel am Fenster und sah nach draußen.

Die letzte KöniginWo Geschichten leben. Entdecke jetzt