Die Schlacht am Evendim-See

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Der nachtschwarze Himmel über Mithlond zeigte bereits das erste zaghafte Grau des anbrechenden Tages, als Aranarth das Zimmer verließ, das er in Turwaiths Haus bewohnte. Von draußen konnte er die Betriebsamkeit hören, die trotz der frühen Stunde in der Stadt herrschte. Elben und Menschen sammelten sich auf den Plätzen Mithlonds. Sie trafen die letzten Vorbereitungen, legten ihre Rüstungen und Waffen an, sattelten ihre Pferde. In wenigen Stunden würden die gesammelten Heere der Dunedain, und der Elben von Mithlond und Bruchtal in die Schlacht ziehen.

Das ungewohnte Gewicht der Krone drückte auf Aranarths Nacken, als er leise die Tür hinter sich schloss. Die Worte Firiels gingen ihm durch den Kopf, als sie sich am Abend zuvor verabschiedet hatten. „Die Männer brauchen jemanden, der sie als ihr König in die Schlacht führt. Es wird ihnen Mut machen." Und so hatte er sich schließlich dazu überwunden, die Krone und den Siegelring seines Vaters zu tragen.

Beide fühlten sich wie Fremdkörper an seiner Haut an. Sie gehörten nicht zu ihm. Er war sich der Wirkung bewusst, die es für die Männer haben würde, wenn er als ihr König vor sie trat. Doch noch immer fühlte es sich nicht richtig an. Es war nicht sein Platz.

Leise ging er durchs Haus. Turwaith war vermutlich bereits in der Stadt, auch er würde kämpfen. Von Firiel, Meleth und Arion hatten sie bereits am Vortag Abschied genommen. Die Stufen knarzten leise, als er hinunter schlich, um niemanden zu wecken.

An der Tür jedoch saß jemand im Schatten. Als er sich näherte, stand die Person auf und erstaunt erkannte Aranarth seinen Halbbruder Arion. Der Junge trug ein Kettenhemd und darüber einen leichten Lederharnisch. An seiner Hüfte hing ein Schwert. „Arion,", fragte Aranarth, „was machst du hier?"

„Nimm mich mit!", bat Arion. „Ich hab ein Schwert, ich kann reiten und kämpfen!" Die Augen des Jungen fielen auf die Krone und weiteten sich vor Überraschung und Ehrfurcht.

Vorsichtig ging Aranarth auf die Knie. Jetzt musste er zu Arion aufsehen. Von plötzlicher Zuneigung, die ihn selbst überraschte, erfüllt musterte er den Jungen. Arion war fest entschlossen mitzukommen, aber das kam nicht in Frage. Er war noch zu jung und vermutlich noch kein vollständig ausgebildeter Kämpfer. Aranarths erfahrenes Auge erkannte sofort, dass Schwert und Rüstung zwar von guter Qualität waren, aber nur zum Üben gefertigt waren und in einer Schlacht schnell versagen würden.

„Nein, Arion,", erwiderte er leise, „Ich werde dich nicht mitnehmen." „Aber warum?", fragte sein Bruder heftig, „Ich will kämpfen! Ich will mit dir in die Schlacht reiten!" In den Augen des Jungen lag eine so tiefe Loyalität, dass Aranarth ein gerührtes Lächeln nicht unterdrücken konnte. „Du wirst mit mir reiten, aber nicht heute.", erwiderte er.

Dann kam ihm eine Idee. „Wenn die Schlacht schlecht ausgeht für uns, wird Angmar bald auch Mithlond finden. Ich brauche dich dann, Bruder. Du musst auf Mutter und Meleth aufpassen. Du musst ihnen helfen, die Stadt zu verteidigen und sie beide in Sicherheit bringen.", sagte er ernst.

Aranarth hoffte, das dieser Fall niemals eintreten würde und dass Cirdan den Jungen beschützen würde, sollte es soweit kommen. Doch mit ernstem Blick legte er Arion die Hand auf die Schulter. Er war nur um weniges älter gewesen, als man ihn zu den Soldaten geschickt hatte. Aber er würde versuchen, Arion so lange wie möglich vor dem Krieg zu schützen.

In Arions Gesicht arbeitete es. Schließlich nickte er. „Ich werde gut auf sie aufpassen.", sagte er. „Ich danke dir.", erwiderte Aranarth. Er stand auf und drückte noch einmal Arions Schulter, dann trat er in den anbrechenden Tag hinaus.


Die Standarten des anrückenden Heeres flatterten über den Köpfen der Männer und Frauen im Wind. Das scharfe Knattern des Stoffes mischte sich unter die Geräusche unzähliger Füße und Pferdehufe, das Quietschen und Klirren von Rüstungen und Waffen, sowie das Brausen des Windes, der über die Ebene jagte.

Die letzte KöniginWo Geschichten leben. Entdecke jetzt