Annäherung

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Der Geruch von Pferden erfüllte ihre Nase. Die Tiere um sie herum schnaubten und stampften. Ihre Körper erwärmten die dampfige Luft im Stall. Firiel stand vor Silber und streichelte ihre Stute. Ihr treues Pferd war alt geworden. Das weiße Fell des Tieres war zunehmend mit grauem Haar durchsetzt und dünner. Silber ließ alles in allem weniger Temperament und Stärke erkennen. Nur ihre Augen leuchteten noch genauso voller Kraft wie früher.

Besorgt strich Firiel über den Hals ihres Pferdes und kraulte sie hinter den Ohren. Sie ahnte, dass Silber nicht mehr lange leben würde. Die Aussicht, bald Abschied nehmen zu müssen, erfüllte sie mit Trauer. Zwar wusste sie, dass sie als Königin ein wunderbares, neues und standesgemäßes Pferd bekommen würde. Aber sie würde Silber vermissen, die mit ihr zusammen hier in die Fremde gekommen war.

Mittlerweile besuchte sie Silber regelmäßig im Stall, wenn sie auch nur noch selten ausritt, um ihre Stute zu schonen. Sie verbrachte oft Zeit hier und leistete dem Tier Gesellschaft. Silber schien sich über jeden ihrer Besuche zu freuen.

Aus ihrem Augenwinkel heraus nahm die Königin eine Bewegung wahr und drehte sich um. Ein Diener war an sie heran getreten und verneigte sich nun vor ihr. „Ich bringe euch eine Nachricht vom Herren Ildion.", sagte er und reichte ihr ein Stück Pergament. Überrascht und erfreut zugleich nahm Firiel das Stück Pergament entgegen.

Darauf standen nur wenige Zeilen in Ildions feiner Handschrift, er hatte scheinbar noch nicht einmal einen Schreiber beauftragt. „Ich werde diesen schönen Sommertag nutzen, um einen Ausritt vor die Mauern der Stadt zu unternehmen. Falls ihr euch mir anschließen wollt, würde ich mich überaus geehrt fühlen. Ich erwarte euch am Stadttor, euer untertänigster Diener Ildion."

Ihre Augen weiteten sich, als sie das laß und nur mit Mühe hielt sie ihren Gesichtsausdruck neutral. In ihrem Kopf überschlugen sich die Gedanken und ihre Hand krallte sich in Silbers Mähne. Die Stute schnaubte entrüstet und sofort lockerte Firiel ihren Griff. Sollte sie annehmen? Sie spürte, wie ihr Herz bei dem Gedanken, mit Ildion gemeinsam auszureiten, freudig klopfte. Es wäre ihr ein großes Vergnügen.

Seit dem Abendessen nach Aranarths Ankunft waren einige Wochen vergangen. In dieser Zeit hatte sie den Berater oft gesehen. Mal hatte sie ihn in Gesellschaft ihres Sohnes angetroffen, wenn die beiden sich beratschlagt hatten, hin und wieder waren sie sich auch in den Fluren der Zitadelle oder in der Stadt begegnet.

Doch am häufigsten hatte sie ihn in dem Garten gesehen, wo Sirina begraben lag. Anfangs hatte sie an Zufall geglaubt, dass Ildion den Garten ebenso gerne aufsuchte wie sie. Doch mit der Zeit hatte sie das Gefühl beschlichen, dass er ihre Nähe suchte. Wenn sie sich im Garten begegnet waren, waren sie immer schnell ins Gespräch gekommen. Wunderbare Gespräche waren das gewesen. Sie hatte jedes einzelne von ihnen noch in guter Erinnerung, wie oft sie dabei gelacht hatte. Ildion war ein angenehmer, intelligenter Gesprächspartner, mit dem sie zunehmend gerne Zeit verbrachte. Bei ihm fühlte sie sich wert geschätzt und geborgen.

Doch schließlich hatte sie Angst vor dieser Vertrautheit bekommen und war immer öfter statt in den Garten hier her gekommen. Sie wusste, dass sie mit diesen langen Gesprächen mit Ildion gegen die Ettikette bei Hofe verstieß. Ganz abgesehen davon, dass es sich nicht im geringsten gehörte, dass eine Königin sich dermaßen an der Gesellschaft eines Beraters des Königs erfreute.

Doch diese Einladung... Nachdenklich blickte sie auf das Schreiben, während der Diener auf eine Antwort wartete. Dann gab sie sich einen Ruck. Arvedui ist nicht hier, um es dir zu verbieten, dachte sie. Sie hob den Kopf und sagte: „Richte deinem Herren aus, dass ich mich geehrt fühle und ich zusage."

Wenig später saß sie auf dem Innenhof der Zitadelle auf. Die obligatorische Garde, aus vier Soldaten bestehend, hatte sich bereits versammelt. Voller Vorfeude, die sie sich mühte, sich nicht anmerken zu lassen, trieb sie ihre Stute an und hörte, wie hinter ihr die Soldaten ebenfalls ihre Pferde antrieben. Sie verließen die Zitadelle und ritten in die Stadt hinunter. Nach kurzer Zeit waren sie auf der großen Hauptstraße. Die Menschen, die sie sahen verneigten sich vor der Königin oder riefen ihren Namen. Firiel winkte ihnen zu.

Die letzte KöniginWo Geschichten leben. Entdecke jetzt