Nicht so tief gesunken

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Stimmengemurmel erfüllte den Saal, als Ildion vor Arvedui geführt wurde. Außer dem König und seinem ältesten Sohn waren fast sämtliche Edelleute der Stadt versammelt. Sie steckten die Köpfe zusammen und diskutierten aufgeregt. Ildion fing ihre Blicke auf und ein bitteres Lächeln huschte über seine Züge. Die meisten von ihnen kannte er gut. Er hatte manche sogar als Freunde bezeichnet. Doch nie war für ihn ein Feind unter ihnen gewesen. Doch die teils hasserfüllten Blicke, die sie ihm nun zuwarfen, machten ihm klar, wo er stand. Er war der Verräter, der sie alle drohte, ins Verderben zu stürzen. Dass er gegen sie alle gearbeitet hatte in den letzten Monaten, hatte er regelmäßig versucht zu verdrängen. Vergeblich hatte er sich gemüht, sein altes und sein jetztiges Leben miteinander in Einklang zu bringen. Doch nun hatte ihn die Wirklichkeit eingholt und er schlug hart auf dem Boden der Tatsachen auf. Er war ein Feind und nun sollte über ihn Gericht gehalten werden.

Die Hände vor sich gefesselt, trat er vor den König, der auf seinem Thron saß. Arvedui maß ihn mit kühlem Blick. Der Zorn, den er versprüht hatte, als man Ildion gefasst hatte, schien abgekühlt zu sein und kalter Sachlichkeit Platz gemacht zu haben. Aranarth, der neben ihm stand, hatte seine Wut noch nicht dermaßen unter Kontrolle. Voller Zorn und Hass starrte er Ildion an, seine Hand lag angriffslustig auf dem Griff seines Schwertes. Ildion konnte es ihm kaum verübeln. Der junge Mann fühlte sich von ihm hintergangen und der Zorn über die Tatsache, dass Ildion mit seiner Mutter ein Verhältnis gehabt habte, überwog vermutlich noch den Zorn über seinen Verrat.

Der König erhob sich und sofort kehrte Stille ein. „Ildion, du bist vor den König gerufen worden, damit über dein Schicksal entschieden werden kann. Du bist des Hochverrates an deinem Land angeklagt und außerdem des Ehebruches mit der Königin!", verkündete er, „Zuerst sollen die Zeugen vernommen werden." Arvedui setzte sich wieder.

Ein einfach gekleideter Mann trat vor und Ildion erkannte in ihm einen der Männer, die für die Botenvögel des Königs verantwortlich waren. Der Mann schilderte, wie ihm aufgefallen war, dass in regelmäßigen Abständen Vögel gefehlt hatten. Er schloss seinen Bericht damit, wie er sich mit seinen Beobachtungen an den Prinzen gewandt hatte. Nun trat Aranarth vor und erzählte der Versammlung von seinem Verdacht und wie er den Turm hatte bewachen lassen. Als er an den Punkt kam, an dem er die abgefangene Botschaft erhalten hatte, erhob sich erregtes Gemurmel im Raum. Ein weiterer Mann berichtete, wie es ihnen gelungen war, den Brief zu entziffern. Er las die Übersetzung vor. Die Nachricht endete mit Ildions Namen und sofort wurden Rufe laut. „Verräter!" „Tötet ihn!" Einzelne Männer standen auf. Sie schüttelten ihre Fäuste zu Ildion hin. Der hob den Kopf und begegnete ihren Blicken. Ihm war klar, dass die meisten von ihnen ihn jetzt ohne weitere Anhörung dafür hängen lassen würden. Innerlich verfluchte er sich für seine Dummheit, die Nachricht mit seinem Namen zu unterzeichnen. Dieser Fehler hatte so viel zerstört...

„Ruhe!", donnerte Arvedui. Augenblicklich waren die Männer still. Leise setzten sie sich wieder und der letzte Zeuge, ein einfacher Soldat, konnte seinen Bericht von Ildions und Firiels Ergreifung vortragen. Schließlich setzte auch er sich wieder und Arvedui wandte den Blick Ildion zu, der still den Berichten gelauscht hatte.

Verzweiflung überkam ihn. Die Beweislast gegen ihn war erdrückend. Wie sollte er nur seine Unschuld beweisen? Zumal er nicht unschudig war... Plötzlich fühlte er sich so unglaublich müde. Das Verstecken und Verheimlichen hatte ihn Kraft gekostet. Ein kleiner Teil in ihm war sogar froh, dass es jetzt vorbei war. Und außerdem war er kein Lügner. Er würde zu dem stehen, was er getan hatte und seine gerechte Strafe erwarten. Kurz huschten seine Gedanken zu Firiel. Hoffentlich ging es ihr gut. Niemals hatte er gewollt, dass sie in die Sache mit hinein gezogen wurde. Doch nun war auch sie betroffen. Nicht nur, dass sie als Ehebrecherin da stand, es war auch noch fraglich, ob sie mit einem Verräter gemeinsame Sache gemacht hatte. Doch zumindest in diesem Punkt war sie unschuldig! Das wusste Ildion. Er hatte sie nie eingeweiht, um sie zu schützen und auch weil er wusste, dass sie dies niemals unterstützt hätte. Selbst dann nicht, wenn er ihr erklärt hätte, dass es vielleicht die einzige Chance war, ihr Volk zu retten. Innerlich hatte er gehofft, dass sie mit ihm fliehen würde. Doch sie hatte es nicht getan. Stattdessen hatte sie, ganz die stolze Königin, darauf bestanden, bei ihrem Volk zu bleiben. Dafür hatte er sie bewundert und gleichzeitig hatte es seine Pläne noch schwieriger gemacht. Also hatte er beschlossen, wenn der letzte Angriff auf Fornost stattfinden würde, mit ihr gemeinsam aus der Stadt zu fliehen. Vielleicht wäre es ihnen gelungen, weit entfernt eine Heimat zu finden, fern ab von den Schatten Angmars. Doch dies war ihnen nun nicht mehr vergönnt.

Die letzte KöniginWo Geschichten leben. Entdecke jetzt