Angriff auf Fornost

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Mit gesenktem Kopf lief Firiel den Gang zu ihrem Gemach entlang. Sie achtete kaum auf ihre Umgebung. Die Menschen, denen sie begegnete, wichen ihr respektvoll aus und verneigten sich. Sie brauchte den Kopf nicht zu heben. Tief in Gedanken versunken lief sie weiter.

Es war nun zwei Wochen her, dass Aranarth zu der Kaserne am Rand der Stadt gebracht worden war. Wie viele andere Jungen seines Alters lebte er nun dort und wurde zum Krieger erzogen. Kontakt zu seiner Familie war ihm in den ersten Jahren untersagt. Nur mühsam hatte Firiel die Tränen zurück halten können, als ihr Sohn fort gegangen war. Sie hatte stark sein wollen für ihn. Doch nun, nun musste sie ihre Trauer nicht mehr verbergen. Die Einsamkeit, die Aranarth vertrieben hatte, war wieder da. Sie vermisste ihren Sohn schrecklich. Noch nicht einmal Saela vermochte es, sie aus ihrer Trübsal zu befreien.

Firiel erreichte ihr Gemach und öffnete die Tür. Drinnen saß Arvedui in einem Sessel am Kamin. Er hob den Kopf, als sie eintrat, und nickte. Firiel erwiderte das Nicken und zog sich an ihren Lieblingsplatz am Fenster zurück. Draußen dämmerte es bereits und bald würde es Nacht werden. Sie lehnte den Kopf an die Mauer. Wie ging es wohl Aranarth? Hatte er Heimweh? Vermisste er sie und seinen Vater? Sie seufzte leise. Um wenigstens ihre Hände zu beschäftigen, zog sie ihre Handarbeit hervor und fuhr fort, zu sticken. Aus den Augenwinkeln konnte sie sehen, dass ihr Mann sie beobachtete. Doch sie tat so, als würde sie das nicht sehen. Sie wollte ihm nicht verzeihen, dass er ihr ihren Sohn genommen hatte. Aber sie fing keinen Streit an. Stattdessen machte sie sich keine Mühe, ihre Trauer vor ihm zu verbergen. Arvedui hingegen war nicht im geringsten gewillt, sie zu trösten. Er war von der Richtigkeit seines Handelns überzeugt. Und so schwieg sich das Königspaar schon seit mehreren Tagen an.

Möglichst unauffällig hob Firiel den Blick und sah zu ihrem Mann hinüber. Doch der sah auch zu ihr. Mit gerunzelter Stirn begegnete er ihrem Blick und einige Zeit lang sah blau in grau. Firiel sah nicht weg. Mit stummen Vorwurf in den Augen erwiderte sie Arveduis harten Blick. Schließlich senkte Arvedui den Blick und Firiel widmete sich wieder ihrer Handarbeit. Bald würden die Diener das Essen bringen. Sie würden ihr Mahl zu sich nehmen, schweigend, und dann bald zu Bett gehen.

Ein scharfer Hörnerklang durchbrach die nächtliche Stille. Firiel zuckte zusammen. Das war nicht der übliche Gruß, der von den Stadtmauern schallte, wenn Besuch eintraf. Arvedui war mit einem Mal auf den Beinen. Er trat zu ihr ans Fenster und kniff die Augen zusammen, um in der aufkommenden Dunkelheit etwas zu erkennen. Das Signal wiederholte sich. Diese Tonfolge hatte Firiel noch nie gehört. Der König neben ihr war sichtlich alarmiert. Verwirrt sah sie zu ihm hoch. „Was bedeutet das?", durchbrach sie die eisige Stille zwischen ihnen. Arvedui antwortete nicht sofort. Er schien kaum zu atmen. Dann gab er sich plötzlich einen Ruck und sah sie an. „Angriff... Wir werden angegriffen.", sagte er leise. Firiel öffnete den Mund, brachte aber nichts heraus.

Wieder schallten die Hörner von unten herauf. Arvedui drehte sich um. Doch er hielt noch einmal inne und wandte sich ihr zu. Mit beiden Händen fasste er sie an den Schultern und beugte sich zu ihr herab. „Bleibt in der Zitadelle!", sagte er eindringlich. Dann stürmte er aus dem Zimmer. Fassungslos blieb Firiel im Raum zurück.


Arvedui eilte den Korridor entlang. Seine Gedanken überschlugen sich. Wer griff Fornost an? Und warum hatten sie keine Nachricht erhalten? Hatten die Angreifer es geschafft, an den Grenzposten vorbei zu schlüpfen? Oder waren sie sogar aus dem Inneren Arthedains gekommen? Vielleicht handelte es sich auch um ein Missverständnis und ein nervöser Soldat hatte Alarm blasen lassen. Was auch immer geschehen war, er musste sofort zur Stadtmauer.

Fast rannte er die Treppen hinab in den Hof. „Mein Pferd!", bellte er, kaum dass er unten angekommen war. Fackeln erhellten den Hof. Diener rannten in alle Richtungen. Sie alle waren von dem Alarm aufgeschreckt worden. Ein Mann brachte ihm seine Waffen und Rüstung und half ihm hinein. Während er ungeduldig auf sein Pferd wartete, warf Arvedui einen Blick nach oben, wo sein Gemach lag. Hoffentlich hörte Firiel auf ihn... Angestrengt horchte er nach Kampfgeräuschen. Aber die Stadtmauer war zu weit entfernt. Endlich rannte ein junger Bursche mit seinem Rappen herbei. Arvedui schwang sich auf das Pferd und packte den Jungen am Handgelenk. „Lauf zur Kaserne und sag ihnen, sie sollen sich sofort kampfbereit machen. Nur die Jungen sollen sie dort lassen. Der Rest soll sich an der Stadtmauer einfinden.", befahl er ihm.

Die letzte KöniginWo Geschichten leben. Entdecke jetzt