König und Königin

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Ihr Sohn verließ das Zimmer. Bewegungslos stand Firiel da und starrte ihm hinterher. Die Tür stand noch offen. Tatsächlich war niemand da, der sie zurück halten würde, wenn sie jetzt nach draußen gehen würde.

Doch sie stand weiterhin an Ort und Stelle, während Aranarths Worte in ihrem Kopf noch nachhallten. „Ich werde meine eigene Mutter nicht hinrichten... sie meine Familie zerstört hatte..." Eine Mischung aus Dankbarkeit, Erleichterung und Trauer überkam sie. Aranarth hatte sich tatsächlich gegen das Urteil seines Vaters gestellt. Fürs Erste war sie frei. Keine Verurteilung harrte ihrer. Dafür war sie ihrem Sohn zutiefst dankbar, auch wenn sie ahnte, dass Arvedui immer noch das letzte Wort in dieser Hinsicht haben würde.

Seine Aussage, dass sie seine Familie zerstört hatte, das jedoch schmerzte sie sehr. Natürlich hatte sie nicht geglaubt, dass Aranarth die Vorfälle vergessen hatte. Das würde er genauso wenig können, wie sie selbst, wenn auch aus anderen Gründen. Kurz tauchte vor ihrem inneren Auge das Gesicht Ildions auf. Irgendwo tief in ihr erwachte ein Teil des alten Kummers über seinen Verrat und Tod. Doch er wurde rasch wieder von den Gedanken an die Gegenwart verdrängt.

Sie hatte gehofft, dass Aranarth, nachdem ein wenig Zeit vergangen war, ihre Affäre etwas differenzierter zu sehen vermochte. Doch scheinbar hatte ihn der Verrat Ildions, der Ehebruch und die Verbannung seiner Mutter derart verletzt, dass er dazu nicht in der Lage war. Für ihn lagen die Dinge klar auf der Hand. Sie hatte Ehebruch begangen und damit ihre Verbannung selbst verschuldet. Es war ihre Schuld gewesen, dass sie in den letzten Jahren nicht hier gewesen war, um ihm und den Menschen von Fornost zur Seite zu stehen.

Firiel schlang die Arme um sich. Fürs Erste war sie froh, keine Gefangene zu sein und sich frei bewegen zu dürfen. Doch sie musste mit Aranarth sprechen. Sie hatten sich nach ihrer Ergreifung nicht wieder gesehen und sie hatte das dringende Bedürfnis, sich ihrem Sohn zu erklären.

Langsam machte sie einige Schritte aus der Kammer nach draußen und stand im Gang. Sie drehte den Kopf hin und her. Doch Aranarth war nicht mehr zu sehen. Vermutlich war er schon wieder dabei, sich um die Stadt zu kümmern.

Unentschlossen stand sie im Gang. Wohin sollte sie sich wenden? Lange stand sie nicht da. Schließlich wandte sie entschlossen ihre Schritte den Treppen in die unteren Stockwerke zu. Es schien erst gestern gewesen zu sein, dass sie diesen Weg genommen hatte, denn ihre Füße fanden vollkommen selbstständig den Weg. Und so trat sie bald an der Rückseite der Zitadelle durch eine kleine Tür in einen verborgenen Garten.

Sie blieb stehen und schaute sich um. Alles war so wie noch vor vielen Jahren. Lediglich ein paar mehr Pflanzen wuchsen hier. Die Laube an Sirinas Grab war dicht bewachsen mittlerweile und schirmte das Grab vor neugierigen Blicken ab. Die Aussicht auf die Hänge der nördlichen Höhen hinter der Stadt war beeindruckend wie schon eh und je.

Leise knirschte der Schnee unter Firiels Füßen, als sie durch das Schneetreiben zum Grab ging. Leicht legte sie eine Hand auf den Grabstein ihrer Tochter, der Prinzessin Sirina, und begrüßte sie im Stillen. Einige Zeit verharrte sie so. Sie genoß die Stille um sich herum und zog die klare, kalte Winterluft ein. Schließlich strichen ihre Finger ein letztes Mal über den Stein, bevor sie sich abwandte und sich zur Stadt hin aufmachte.


Zielsicher führten Firiels Schritte sie zum Marktplatz der Stadt. Dort wandte sie sich zum Hospital. Sie spürte die Blicke der Menschen, an denen sie vorbei kam, in ihrem Rücken. Doch sie drehte sich nicht nach ihnen um. Am Eingang zum Hospital machten die Wartenden ihr eilig Platz, als man sie erkannte. Und so betrat Firiel zum ersten Mal seit langer Zeit das Hospital wieder.

Im Eingangsbereich war es warm und trocken. Zahlreiche Fackeln erhellten den kleinen Raum, in dem die Ankömmlinge empfangen wurden. Mit Firiel kam eine Windböe hinein gefegt, die Schnee auf dem Boden verteilte. Sie nahm ihre Kapuze ab und sah sich um. Das Erste, was ihr auffiel war, dass man in den vergangenen Jahren die behelfsmäßigen Stoffwände, die das Hospital gegliedert hatten, durch solide Mauern ersetzt hatte.

Die letzte KöniginWo Geschichten leben. Entdecke jetzt