Ein Neuanfang

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Der Wind strich in kraftvollen Böen über die Hochebene neben dem Waldgebiet, das in späteren Tagen als alter Wald bezeichnet werden würde. Kein Hinderniss stellte sich ihm hier in den Weg. Nur wenige knorrige Bäume wagten es hier zu wachsen. Außer ihnen erhoben sich in dieser einsamen Gegend lediglich einige Gruppen hoher, kreisrunder Hügel.

Die vermauerten Eingänge an ihren Flanken zeigten, dass sie von Menschenhand angelegt worden waren. Statuen flankierten diese Pforten in das Innere der Hügel. Manche von ihnen waren alt und begannen bereits, zu zerfallen. Andere waren erst wenige Jahrzehnte alt und zeugten von der Geschicklichkeit ihrer Hersteller.

Ein Großteil des Jahres waren in dieser Gegend nur einige Tiere anzutreffen und der Wind wehte über leeres Grasland. Lediglich der Schrei eines Wanderfalken oder das Geheul von Wölfen zerrissen mal die Stille des Tages. Nur selten kamen Menschen hierher, obwohl sie diese Hügel selbst anlegten. Und jedes Mal wenn sie hier waren, hinterließen sie einen weiteren Hügel als Hinderniss für den Nordwind.

Denn dies waren die Hügelgräber, die die Menschen von Arthedain für ihre Könige anlegten. Vor ihnen waren die Könige des alten Arnor hier begraben worden. In dieser einsamen Gegend ruhten Herrscher aus längst vergangenen Menschenaltern und die Angehörigen ihres Volkes störten aus Respekt nur selten die Ruhe der Hügelgräberhöhen.

Doch heute war es anders. Heute versammelten sich mehr Menschen zwischen den Grabhügeln, als es je der Fall gewesen war. Selbst die mutigsten Tiere verschwanden in ihren Verstecken und warteten ab, bis die ungewohnten Eindringlinge weiter zogen.

Firiel saß auf ihrem schwarzen Pferd und beobachtete die Zeremonie, die Aranarth zum Gedenken an Arvedui und die anderen Opfer des Krieges angeordnet hatte.

Es gab keinen Leichnam Arveduis, den man hier hätte bestatten können. Und so hatte sich das Volk am Fuße des Hügelgrabes versammelt, in dem Arveduis Vater, Araphant, ruhte. Dicht an dicht drängten sich Männer und Frauen hier. Die wenigsten von ihnen waren je hier gewesen und die Gräber sorgten für eine einschüchternde Atmosphäre.

Firiel selbst war nur einige wenige Male hier gewesen. Und trotz dem Wissen zwischen all diesen Grabstätten zu stehen, hatte der Ort etwas angenehm vertrautes. Hier zu sein, am Grab Araphants, war ein eindringlicher Beweis, dass sie tatsächlich einmal Königin Arthedains gewesen war.

Ihr altes Leben schien ihr mittlerweile so fern, als würde es gar nicht mehr zu ihr gehören. So viel hatte sich in den letzten Jahren verändert. Genauso wie Aranarth seine Krone in die Hände Elronds gegeben hatte, so hatte auch sie sich von ihrem Diadem getrennt. Während die Zeremonie vorbereitet wurde, hatte sie das funkelnde Geschmeide am Fuß eines der Gräber vergraben. Es war ungewohnt, das Gewicht der Krone nicht mehr auf ihrem Kopf zu spüren. Aber sie ahnte, dass nun nicht die Zeit für eine Königin war.

Ihr Blick glitt über die versammelten Menschen. Zu ihrer Verwunderung schien die Versammlung hier bei den Gräbern ihrer Könige dem Volk gut zu tun. Hier konnten sie gemeinsam ihre Toten betrauern und der Verluste des Krieges gedenken. Firiel sah bei einigen der Versammelten Tränen über ihre Wangen laufen, doch erkannte sie auch zunehmend entschlossenere Mienen. Das gemeinsame Trauern schweißte die Menschen für die kommenden schweren Monate zusammen und machte es möglich, dass ihre Wunden heilten.

Am Fuß des Grabes intonierte der Priester ein letztes Mal: "Ihr Götter, wacht über unser Volk und geleitet sie durch diese schweren Zeiten! König von Arda, lass unsere Toten ein in die Hallen von Mandos!"

Leise murmelnd echote das Volk die letzten Worte des Priesters. Dann trat der Mann beiseite und machte Aranarth Platz.

Mit aufkommendem Stolz betrachtete Firiel ihren Sohn, wie er hoch aufgerichtet vor seinem Volk stand. Er war in einen dunkelgrünen, einfachen Mantel gekleidet, das lange, schwarze Haar zu einem einfachen Zopf nach hinten gebunden.

Die letzte KöniginWo Geschichten leben. Entdecke jetzt