Gekrönt

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Noch etwas müde stand Firiel am Fenster und blickte hinab in den Burghof, von dem sie am vorigen Abend nicht viel gesehen hatte. Noch war es recht kalt in dem Gemach, das sie sich mit ihrem Mann teilte. Eben war ein Diener herein gehuscht und hatte das Feuer im Kamin geschürt. Nun breitete sich langsam wohlige Wärme im Zimmer aus. Doch noch trug Firiel eine bestickte Wolldecke als Überwurf, um sich zu wärmen.

Aufmerksam beobachtete sie das Treiben unten im Hof. Diener eilten hin und her. Die Vorbereitungen für die Zeremonie, die später am Tag statt finden sollte, liefen auf Hochtouren. Firiel seufzte und spürte, wie sie fröstelte. Heute Mittag sollte sie gekrönt werden. Dann war sie die Königin Arthedains. Nervös presste sie die Lippen aufeinander.

Um sich abzulenken, versuchte sie von ihrem Standort aus heraus zu finden, wie die Zitadelle gebaut war. Bei der Ankunft gestern hatte sie heraus gefunden, dass der Sitz der Könige um zwei Höfe herum gebaut war. Es gab den vorderen Hof, den sie gestern nur in der Kutsche durchquert hatte. Auch dieser war bereits von den wehrhaften Mauern der Burg umgeben. Und dann gab es noch den hinteren Hof, in dem sie gestern ausgestiegen war und auf den sie nun hinab blickte. Der Platz unter ihr war mit dunklem Stein gepflastert. Das Wappen Arnors jedoch war mit hellen Steinen hinein gelegt worden. An einer Seite des Hofes befand sich ein kleiner Kräutergarten im Schatten eines Baumes. Das leise Plätschern eines Brunnens drang von dort bis hoch an Firiels Ohr.

Die Mauern, die den Hof umgaben, waren aus dunklem Stein und sehr dick. Nur in den oberen Stockwerken waren sie immer wieder mit Fenstern durchbrochen. Im Erdgeschoss gab es nur schmale Öffnungen zur Lüftung. Firiel befand sich im zweiten Stockwerk. Hier oben zog sich an einer Innenseite des Gemäuers ein Säulengang entlang. Firiel malte sich aus, wie sie dort im Sommer flanieren konnte und die warme Sommerluft genießen konnte.

Ihr Blick wandte sich nach oben. An den Ecken der Burg konnte sie große, mehreckige Türme sehen. Schießscharten waren die einzigen Öffnungen in diesen wehrhaften Bauten. Hinter sich hörte sie eine Tür. Doch sie achtete nicht darauf. Arvedui war im Waschraum gewesen. Scheinbar war er fertig. Firiel wandte sich nicht um. Stattdessen blickte sie zur ihr gegenüberliegenden Seite der Burg. Dort war die Regelmäßigkeit des Baus unterbrochen worden. Zwei schlanke, runde Türme ragten dort nebeneinander über den Mauern auf. Die Zwillingstürme wirkten sehr viel eleganter als ihre ungeschlachten Brüder, die die Burg bewachten. Sie hatten Kuppeldächer und waren mit Wasserspeiern verziert. Auch bunt verglaste Fenster gab es dort.

Firiel hätte sich lange diese beiden Türme anschauen können. Sie wirkten, als hätte jemand von irgendwo anders in Mittelerde ein Stück einer Burg mitgenommen und es hier wieder aufgebaut. Da hörte sie schwere Schritte hinter sich. „Euch gefallen die Zwillingstürme?", brummte Arvedui da hinter ihr. Firiel wandte den Kopf und sah zu ihrem Mann auf. Dann nickte sie und wandte sich wieder ab. Unbehaglich zog sie ihren Überwurf fester um sich. Einen Moment herrschte Schweigen. Dann hob Arvedui plötzlich an zu sprechen. „Sie wurden von einem meiner Vorgänger errichtet. Er hatte eine ausgesprochen große Vorliebe für die Astrologie. Für seine Astrologen baute er diese beiden Türme, die er den Sonnen- und den Mondturm nannte." Der König schnaubte verächtlich. Zögernd sagte Firiel: „Ihr mögt sie nicht?" Arvedui lachte kurz auf. „Ich halte nichts von der sogenannten Kunst der Sterndeutung... Unser Schicksal hängt nicht von den Sternen ab sondern von unseren Taten. Merkt euch das! Wer etwas anderes glaubt, ist ein Narr...", fuhr er fort. „Also gibt es hier keine Sterndeuter mehr?", fragte Firiel. „Einen gibt es noch... Ein alter Mann, der in einem der beiden Türme lebt. Ich habe ihn allerdings seit Jahren nicht mehr zu Gesicht bekommen... Vielleicht ist er ja gestorben...", erwiderte Arvedui und wandte sich dann ab.

Firiel schauderte. Mit einer Mischung aus Faszination und Grusel sah sie zu den Türmen. Dann riss sie sich von dem Anblick los und drehte sich zu Arvedui um. Zu ihrem Erstaunen legte dieser gerade seinen schweren Mantel an. Es klopfte und der Diener kam wieder. In seinen Händen trug er ein Tablett mit Brot, Grütze, Schinken und Trockenobst. Mit gesenktem Kopf begann er den Tisch zu decken. Arvedui griff derweil nach seiner Krone. „Bleibt ihr nicht zum Frühstück?", fragte Firiel verwirrt. Er schüttelte nur den Kopf. „Ich habe noch Vorbereitungen zu treffen...", meinte er. Dann verschwand er.

Die letzte KöniginWo Geschichten leben. Entdecke jetzt