Dunkle Kunde

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Firiel legte die Lektüre, in die sie vertieft gewesen war, auf dem Tischchen neben sich ab. Sie saß in der Bibliothek in Turwaiths Haus. Ihr Blick wanderte durch den Raum, um die Augen ein wenig zu entspannen. Es war ein lang gezogener Raum, der die komplette Längsseite des Hauses einnahm. An der ihr gegenüberliegenden Wand zog sich ein Bücherregal entlang, das bis zur Decke empor reichte. Es war gefüllt mit Büchern, von denen sie einige bereits gelesen hatte. Der Boden war mit einem wunderschönen, schlichten Mosaik aus blauen Steinen verziert, das Schiffe und allerlei Meerestiere darstellte. An der Längsseite des Raumes, an dem sie saß, befanden sich die Fenster. Nun waren die meisten von ihnen mit Fensterläden verschlossen, um die kühlen Herbstwinde draußen zu halten. Durch einige von ihnen flutete noch Tageslicht herein, doch im Sommer war es hier drin viel heller. Nun erleuchtete neben dem Licht, das herein kam, vor allem das Feuer im Kamin neben Firiel den Raum.

Hier hatte Firiel schon viele Stunden verbracht und sie fühlte sich hier ausgesprochen wohl. Das Haus Turwaiths und seine Bewohner waren ihr in den letzten 12 Jahren vertraut geworden. Wenn sie in dieses Haus zurück kehrte, kam sie mittlerweile nach Hause. Zu Turwaith und Meleth hatte sie ein enges Verhältnis entwickelt. Anfangs war Turwaith für sie ihr Anker und Beschützer gewesen. Er hatte ihr die Stadt gezeigt, ihr das Leben in Mithlond erklärt und sie vor den Anfeindungen mancher Elben beschützt. Doch über die Jahre war er zu einem Freund geworden. Er erinnerte sie immer wieder an Artamir und Faramir, die Brüder, die sie so plötzlich verloren hatte. Wenn sie jemanden hatte, den sie als einen neuen Bruder ansah, so war er es. Und Meleth war ihr eine enge Freundin geworden. Noch immer war die Elbin stumm. Doch mit der Zeit hatte Firiel gelernt, ihre Zeichensprache zu deuten. Und so war eine tiefe Freundschaft zwischen ihnen entstanden.

Firiels Blick fiel auf die elbischen Zeichen auf dem Einband des Buches. Schon bald nach ihrer Ankunft hatte Turwaith begonnen, ihr Sindarin, die Sprache der Elben beizubringen. Es hatte einige Zeit gedauert, doch mittlerweile beherrschte sie diese Sprache fließend und fast akzentfrei. Nur mit der Schrift hatte sie lange gehadert. Doch schließlich war ihr auch dies gelungen und so waren ihr fast alle Werke in Turwaiths Bibliothek zugänglich geworden. Nur die Bücher, die in der Sprache der elbischen Gelehrten, Quenya, verfasst waren, blieben ihr noch verschlossen.

Sie erhob sich und lief einige Schritte durch den Raum, bis zu der Tür, die auf die Terrasse hinaus führte. Als sie die Tür öffnete, fuhr ein kühle Brise Meeresluft in den Raum. Rasch ging sie nach draußen und schloss die Tür hinter sich. Sie ging ein Stück die überdachte Terrasse entlang, dann blieb sie stehen und sah über die Stadt zu ihren Füßen. Turwaiths Haus befand sich ungefähr auf halber Höhe des bebauten Fjordes und zeigte mit seiner Entfernung zum Hafen, dass er nicht der adeligen Schicht entstammte. Sein Wohlstand und seine Stellung hatte er sich selbst erarbeitet als Gesandter Cirdans. Firiels Blick schweifte über die wunderschöne Stadt aus Stein, die ihr in den letzten Jahren sehr ans Herz gewachsen war. Buntes Herbstlaub trieb durch die Gassen, über die Plätze und Steinterrassen der Stadt. Überall waren die Geräusche des Meeres und der Wasserläufe zu vernehmen und die salzige Luft war allgegenwärtig. Noch immer war sie von tiefer Bewunderung für die Elben erfüllt, die die Häuser aus dem Stein gehauen hatten. Und sie konnte oft genug ihr Glück nicht fassen, dass ihr Schicksal sie an diesen Ort geführt hatte, wo sie und ihr Sohn in Frieden leben konnten, als Gäste der Elben.


Der Wind trug das Lachen eines Kindes an ihr Ohr und Firiel richtete sich auf. Ihr Blick ging in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war, und bald sah sie, was sie suchte. Auf einer der vielen freien Plätze, die in der Nähe von Turwaiths Haus waren, übte ein Junge unter Aufsicht eines Elben das Reiten. Der Elb stand in der Mitte des Platzes, während das weiß-braune Pferd des Jungen immer im Kreis um ihn herum lief.

Die letzte KöniginWo Geschichten leben. Entdecke jetzt