Die grauen Anfurten

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Leise bewegte sich der Zug der Elben durch den Wald. Kein Laut ging von ihnen aus. Es schien, als würden sie eher über den Boden schweben, als dass ihre Füße ihn wirklich berührten. Firiel hörte nur die Geräusche des Waldes um sie herum. Selbst die Tritte ihres Pferdes schienen verschluckt zu werden. Hin und wieder erblickte sie Tiere. Vögel flogen nahe an die Prozession heran, und auch Rehe ließen sich im Unterholz blicken. Die Tiere schienen keinerlei Furcht vor den Elben zu haben. Drehte Firiel sich um, so lag der Wald unberührt hinter ihnen. Nichts ließ erkennen, dass eben ein gutes Dutzend Elben mit ihren Pferden hier durchgezogen war. Die Elben folgten keinem Weg, zumindest keinem, den Firiel erkennen konnte.

Sie waren am vorigen Tag aufgebrochen. Turwaith hatte ihr sein Pferd überlassen. Das elbische Pferd war ein freundliches und ruhiges Tier, das Firiel ohne Probleme trug. Der Elb lief einen Großteil der Zeit neben ihr her. Firiel konnte nicht umhin, ihn zu mögen. Die anderen Elben hielten sich von ihr fern, sie schienen das endgültige Urtiel ihres Herren abzuwarten. Turwaith jedoch setzte sich offen und freundlich mit ihr auseinander. Er unterhielt sich mit ihr und antwortete auf ihre Fragen. Außerdem vergaß Firiel es ihm nicht, dass vermutlich er es war, der durchgesetzt hatte, dass sie überhaupt mitgenommen wurde.

Während sie stetig nach Westen zogen, veränderte sich der Wald. Nach und nach rückten die Bäume mehr zusammen. Bald befanden sie sich vermehrt unter Nadelbäumen und alten Laubbäumen, die das rauere Küstenklima vertrugen. Firiel war neugierig auf das Meer. Zwar war sie als kleines Kind mit ihrem Vater einst im Süden Gondors am Meer gewesen, doch dies war nur noch eine blaße Erinnerung an Möwengeschrei und Salzluft.

Hier unter den Elben fühlte Firiel sich zumindest sicher. Sie schwebte nicht mehr in unmittelbarer Gefahr und dies hatte sie neugierig auf das Ziel ihrer Reise werden lassen. Von Turwaith hatte sie erfahren, dass die grauen Anfurten eine Stadt waren, die in einen Fjord an der Küste gebaut worden war. Von dort aus liefen die großen Schiffe der Elben nach Westen aus. Und dort herrschte Cirdan, der Schiffbauer.

„Wann werden wir dort sein?", fragte Firiel den Elb nun. Turwaith hob den Kopf und sah sie an. „Wir werden die Stadt wohl noch heute erreichen.", erwiderte er. Firiel schluckte. Mit einem Mal überkam sie wieder Nervösität. Dann würde sie heute Cirdan gegenüber treten und ihr Schicksal würde sich endgültig entscheiden. Ihre Finger umschlossen die Zügel ihres Reittieres fester. Offenbar war dem Elben ihre Aufregung aufgefallen, denn er sprach wieder: „Habt keine Angst. Cirdan ist ein weiser und gerechter Herrscher. Er wird euch anhören und euch nicht verurteilen, bevor ihr ihm nicht alles erzählt habt. Gebt die Hoffnung nicht auf."

Sie nickte. Aber fühlte sich nicht wirklich beruhigt. Turwaith hatte sich seinen Begleitern gegenüber durchsetzen können. Aber er hatte nicht so viel Einfluß, dass er es wagen könnte, Cirdan offen die Stirn zu bieten. Der Elb hatte nicht viel erzählt und Firiel hatte sich nicht getraut, ihn offen zu fragen. Aber dennoch hatte sie einiges über Turwaith erfahren.

Er war kein Elb von hoher Geburt. Dennoch stand er in der Gunst Cirdans, war von diesem gefördert worden und wurde von ihm geachtet. Schon in seiner Jugend hatte Turwaith sich als gelehrig und interessiert an der Welt gezeigt. Und so war er unter dem Schutz Cirdans zu einem Gesandten seines Volkes geworden, der nun im Auftrag seines Herren die wenigen Kontakte pflegte, die sein Volk noch außerhalb ihres kleinen Reiches hatte. Es war recht schnell offenkundig geworden, dass er die Isolation, in die sich die Elben mehr und mehr begaben, nicht guthieß. Aber ausrichten konnte er dagegen nichts.

Firiel stand tief in seiner Schuld. Sie glaubte nicht daran, dass sie jemals diese Schuld abtragen konnte, dass er ihr Leben und das ihres Sohnes gerettet hatte. Doch sie würde es weiter versuchen, solange sie die Gelegenheit dazu hatte. „Bevor wir die Stadt erreichen, möchte ich euch noch einmal danken. Ihr habt viel für uns getan.", sagte sie leise. Turwaith winkte ab. Doch Firiel blieb beharrlich. „Ehe ihr uns gefunden habt, kamen wir an einen Bauernhof. Obwohl ich bettelte und flehte, verjagte man uns.", erzählte sie. Turwaith hob den Kopf. „Wer lebte dort?", fragte er. Firiel hob ahnungslos die Schultern. Kurz beschrieb sie den seltsamen Mann. Turwaith nickte zu ihrem Erstaunen wissend. „Ein Halbling.", sagte er, „Ich weiß, dass es euch schwer fallen wird, aber urteilt nicht zu harsch über ihn. Sein Volk lebt erst seit wenigen ihrer Generationen in diesem Landstrich. Sie sind kein wehrhaftes Völkchen und würden nicht lange in der Welt überleben, wenn sie Aufmerksamkeit auf sich zögen. Wir beachten sie kaum. Und das selbe tun sie auch. Es hat sich bei ihnen zur Gewohnheit entwickelt, alles, was nicht zu ihnen gehört, auszusperren. Das sichert ihr Überleben... Manche von uns allerdings würden sich bei ihnen bestimmt wohl fühlen.", setzte er noch hinterher und ein missgelaunter Blick schoss in Richtung des blonden Elben mit dem er am Tag zuvor noch gestritten hatte.

Die letzte KöniginWo Geschichten leben. Entdecke jetzt