Das Fieber

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Mit einem Gefühl von erneutem Unwohlsein drückte Firiel eine Hand auf ihren Unterleib, während sie suchend durch die Flure der Heiler ging. Was war nur in letzter Zeit mit ihr los? Kopfschüttelnd versuchte sie, die Übelkeit zu verdrängen. Es gab jetzt wichtigeres, als sich dieser Nichtigkeit hinzugeben. Der Besuch bei Osas Familie hatte sie zutiefst berührt. Niemals hätte sie gedacht, dass Menschen in derartigen Verhältnissen lebten! Wie sehr hatten die Kinder ihr Mitleid erregt! Was, wenn sie krank wurden? Noch deutlich hatte Firiel Orlas besorgtes Gesicht vor Augen. Es gab keine Medizin, kein Geld, kaum Feuerholz und noch nicht einmal genug zu essen für diese Kinder.

Eifrig wandte sie den Kopf hin und her. Sie suchte Sahil, den obersten der Heiler. Er verfügte über das Wissen, das nötig war, um Osa und ihrer Familie zu helfen. Endlich sah sie ihn. „Sahil!", rief sie. Der alte Mann stand einige Schritt vor ihr an einem Bücherregal und blätterte in einem der alten Wälzer. Als sie auf ihn zu schritt, hob er den Kopf. Rasch stellte er das Buch weg und wandte sich ihr zu. „Meine Königin!", sagte er und verneigte sich tief vor ihr, „Welch Ehre, was führt euch zu mir? Womit kann ich euch dienen?" „Nicht mir sollt ihr helfen.", erwiderte Firiel. Auf Sahils überraschten Blick fügte sie hinzu: „Habt ihr einen Raum, wo wir allein sind?" Der Heiler nickte und führte sie in eine angrenzende Kammer.

In der Kammer verschlang Firiel ein wenig nervös die Finger ineinander. Sahil sah sie abwartend an. Erneut musste sie aufkommende Übelkeit unterdrücken, dann setzte sie zum Sprechen an, „Ich habe eine alte Dienerin. Ihr Name ist Osa. Sie ist sehr krank. Ihre Enkelin hat mich auf meinen Wunsch zu ihr geführt." Schnell und leise berichtete Firiel von ihrem Besuch im Armenviertel, von den elendigen Verhältnissen der Menschen dort, von Osas Krankheit und ihrer Sorge um die Kinder. Aufmerksam hörte Sahil zu. Er verzog keine Miene, während sie sprach.

Als Firiel geendet hatte, seufzte er leise und nickte. „Es ist mir nicht neu, dass die Menschen in den äußeren Stadtvierteln in Elend leben.", sagte er sanft. Mit großen Augen sah Firiel ihn an. „Diese Stadt hat in den letzten Generationen immer mehr Einwohner bekommen und dehnt sich nicht aus. Die Folge sind derartige Viertel, wie ihr heute gesehen habt, meine Königin. Ich wünschte, ihr wäret nicht dorthin gegangen. Dies sind keine Bilder, die eine Königin sehen sollte. Wenn euer Ehemann davon erfährt..." Traurig schüttelte er den Kopf. „Die Not dieser Menschen ist bedauernswert.", murmelte er leise.

„Warum soll ich diese Dinge nicht sehen?", fragte Firiel mit heller Stimme. „Warum soll eine Königin nicht wissen, wie es um ihr Volk steht? Diese Menschen leben in Armut! Ihnen muss geholfen werden!" Sie sah Sahil an. „Warum gehen keine Heiler in diese Viertel, um den Menschen dort zu helfen? Eure Aufgabe ist es zu heilen und zu helfen. Aber Orla berichtete mir, dass kein Heiler die oberen Stadtgebiete verlässt." „Es ist gefährlich.", erwiderte Sahil. Traurig sah er Firiel an. „Wir trauen uns nicht mehr dort hin, weil manche von uns ausgeraubt wurden. Außerdem sind viele von uns durch unsere Pflichten an diesen Hof oder das Haus eines Adeligen gebunden. Wir haben nicht die Zeit, dorthin zu gehen." Der alte Mann hob hilflos die Hände. „Glaubt mir, Herrin, mich rührt das Elend dieser Menschen eben so wie euch. Aber ich kann nichts tun."

„Da irrt ihr euch.", sagte Firiel. Sie richtete sich auf. „Ihr werdet mit mir kommen. Ich habe eine Wache bei mir gehabt und wurde nicht angegriffen. Nehmt eure Instrumente und Tinkturen mit, Heiler! Ich bringe euch zu Osa und ihr werdet ihr so gut helfen, wie ihr vermögt." Ein wenig verwirrt sah der Heiler sie an. Dann jedoch nickte er überraschend schnell und bereitwillig. „Ich werde im Hof auf euch stoßen, Herrin. Lasst mich nur noch meine Sachen holen.", sagte er, dann wuselte er davon.

Mit einem schwachen Lächeln auf den Lippen sah Firiel ihm hinterher. Dann schlenderte sie zurück zu Silber und den Soldaten, die noch immer auf sie warteten. Sie war zufrieden mit sich. Osa und ihrer Familie würde geholfen werden. In Gedanken versunken trat sie auf den Hof. Da fiel ihr eine junge Magd ins Auge. „Mädchen!", rief sie nach ihr. Die Magd eilte herbei und knickste vor Firiel. Mit zu Boden gerichtetem Blick wartete sie Befehle ab. „Geh in die Küche und bring mir Brot, Schinken, Käse und noch mehr Essen. Nimm so viel mit wie du tragen kannst.", trug sie dem Mädchen auf. Falls die Kleine sich wunderte, was Firiel damit bezweckte, so verbarg sie es gut. Sie verneigte sich und huschte davon.

Die letzte KöniginWo Geschichten leben. Entdecke jetzt