Beratungen

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Ein starker Wind fuhr über die Ebenen des Pelennor. Der Herbst hatte mit machtvollen Stürmen in Gondor Einzug gehalten. Die Kuppen der Berge waren bereits mit Schnee bedeckt. Aber es würde noch einige Wochen dauern, bis der Winter auch in die Flussebene hinab kommen würde.

Doch noch drückte der Herbstwind das hohe Gras der Ebene zu Boden und erschwerte Mensch und Tier das Vorwärtskommen. Tatsächlich war kaum ein Lebewesen zu sehen, selbst auf den Feldern am Flußufer. Mensch und Tier versteckten sich in ihren Häusern und Bauten vor dem unfreundlichen Sturm. Eine Gruppe Männer aber kämpfte sich auf ihren Pferden durch den Wind. Nur noch wenige Reitstunden trennten sie von dem Ziel ihrer monatelangen Reise.

Arvedui rückte die Kapuze zurecht, die sein Gesicht vor der aufgewirbelten Erde schützte. Mit einer Hand bedeckte er die Augen und spähte nach vorne. Dort erkannte er es, das alte Minas Anor. Stolz und gänzlich aus weißem, strahlenden Stein gehauen, erhob es sich an den steilen Hängen des Gebirges. Die Stadt sah noch genauso aus wie in seiner Erinnerung von seiner letzten Reise hierher, vor mehr als zwanzig Jahren.

Er hielt sein Pferd an und betrachtete eine Weile lang die schöne Stadt. Seine Augen glitten über die kunstvoll angelegten, gleichmäßigen Steinterassen, bis hoch zu dem Plateau vor dem Königspalast, das wie ein Schiffskiel über die Stadt hinweg ragte. Schließlich winkte er mit einer Hand einen jungen Soldaten heran, und sagte zu ihm: „Reite vor und benachrichtige sie von unserer Ankunft!" Der Mann nickte, wickelte sich fester in seinen Mantel und trieb sein erschöpftes Pferd noch zu einer letzten Anstrengung an.


Nur einige Stunden später ragte Minas Anor vor ihnen auf. Bewundernd hob Arvedui den Blick und sah an den hohen weißen Mauern empor. Auf ein Signal ihrer Hörner antworteten ihnen helle Trompeten und es öffnete sich knarrend das schwere, eisenbewehrte Tor. Sie trieben ihre Pferde vorwärts und ritten auf den Vorplatz der Stadt.

Dort, in der Mitte des Platzes, erwartete sie ein Mann. Er war in einen schweren, dunkelgrünen Umhang mit aufwändigen Stickereien gekleidet. Doch der Wind zerrte an seinem Umhang und ließ ihn wie eine wilde Standarte hinter ihm her flattern. Auch das dunkelbraune Haar des Mannes war vom Wind zerzaust.

Arvedui hielt sein Pferd vor ihm an und stieg ab. Ein kurzer prüfender Blick genügte, um fest zu stellen, dass er einen äußerst wohlhabenden Mann vor sich hatte. Nicht nur der Umhang, auch die anderen Kleidungsstücke waren verziert und von bester Qualität. Außerdem trug sein Gegenüber unzählige Ringe an seinen Fingern, eine goldene Schnalle zierte seinen Gürtel und eine prunkvolle Brosche prangte auf seiner Brust. Mit hoch gezogenen Brauen musterte Arvedui den Mann. Er hielt nicht viel von solchem Prunk. Außer seiner Krone und dem Siegelring des Königs trug er nur noch einen sehr alten Ring, der zwei Schlangen darstellte, ein altes Erbstück seiner Familie.

„Willkommen, König Arvedui!", rief der Mann nun und breitete die Arme in einer Willkommensgeste zum Gruß aus. „Wie wunderbar, euch wohlbehalten hier ankommen zu sehen. Wir haben euch bereits erwartet." Er lächelte Arvedui breit an. „Sagt, wie war eure Reise?", erkundigte er sich höflich, „Doch sicher sehr beschwerlich?" Sein Blick glitt über Arveduis verschmutzte Reisekleidung.

„Sie war lang und anstrengend, danke.", erwiderte Arvedui knapp. Er runzelte die Stirn. „Ich dachte, Feldherr Earnil erwartet uns hier. Er hat doch die Verwaltung über die Stadt inne, bis ein neuer König gekrönt ist?" Fragend sah er auf seinen Gegenüber hinab. Dieser hob beschwichtigend die Hände. „Feldherr Earnil hatte in der Tat die Befehlsgewalt über diese Stadt, nachdem unser hoher König und seine Söhne von uns gegangen sind. Doch er ist Soldat, mein Herr. Es war offensichtlich, dass er sich nicht wohl fühlte mit seiner neuen Situation. Und so hat er das Amt des Truchseßen auf mich übertragen. Erlaubt mir, mich vorzustellen. Mein Name ist Belgon, Sohn des Belegion. Und ich stehe euch zu Diensten.", erwiderte er und verneigte sich tief vor Arvedui.

Die letzte KöniginWo Geschichten leben. Entdecke jetzt