1906 D.Z.
Möglichst unauffällig drückte Firiel sich in eine Nische im Korridor. Nervös wickelte sie eine Strähne ihres langen schwarzen Haares um ihre Finger. Die Zehnjährige spähte den Flur, in dem sie stand, auf und ab. Ihr Bruder Artamir hatte sie beauftragt, Wache zu stehen. Denn Artamir hatte vor, ihrem ältesten Bruder Faramir einen Streich zu spielen.
Vor einem halben Jahr war Faramir 20 Jahre alt geworden. Unter den langlebigen Nachkommen Numenors, zu denen Firiel und ihre Brüder zählten, markierte der zwanzigste Geburtstag das Ende der Kindheit und den Übergang in die Jugend. Seit diesem Tag wurde Faramir von ihrem Vater zu dessen Nachfolger ausgebildet. Von morgens bis abends lernte der junge Mann nun und hatte keine Zeit mehr für seine Geschwister. Firiel seufzte. Früher hatte Faramir mit ihnen gespielt. Sie hatten zu dritt eine Menge Spaß gehabt. Ob sie nun zusammen Verstecken gespielt hatten, ob Artamir und Faramir zu ihrem Vergnügen gefochten hatten oder ob sie zusammen in den Gärten hinter dem Palast Früchte gestohlen hatten, immer waren die Geschwister zusammen gewesen. Nun hatte sich das verändert. Zwar war der immer fröhliche und zu Streichen aufgelegte Artamir eigentlich Firiels Lieblingsbruder, aber ohne Faramir langweilten sich die beiden furchtbar.
Anfangs hatten sie noch versucht, ihn von seinen Studien fort zu locken. Firiel hatte gebettelt, gefleht, geweint und ihm geschmeichelt. Irgendwann hatte Faramir sich dann erweichen lassen, allerdings nur so lange, bis König Ondoher die drei in den Stallungen entdeckt hatte. Nach einer langen Standpauke hatte er seinen Ältesten zurück in das Studierzimmer geschleift. Von da an hatten Firiel und ihr Bruder viel Zeit bei ihrer Mutter Auriel verbracht. Aber seit einigen Wochen war die von Natur aus schon sehr empfindliche Auriel wieder krank. Und es war den Kindern verboten, ihre Mutter in ihrer Ruhe zu stören.
An diesem Morgen hatte Artamir die entzückende Idee gehabt, ein paar der Feuerwerkskracher, die noch vom Mittsommerfest übrig geblieben waren, im Studierzimmer zu entzünden. Über die Brandgefahr machten sich die beiden Kinder keine Gedanken. Und so stand Firiel hier vor dem Studierzimmer im Flur und gab acht, dass sie nicht entdeckt wurden. Während dessen kroch Artamir vermutlich gerade so nahe, wie er wagen konnte, an den lernenden Faramir heran, bereit die Kracher anzustecken.
Plötzlich hörte Firiel Fußgetrappel. Sie schreckte hoch. Artamir kam um die Ecke geflitzt. „Komm!", keuchte er und schnappte sich die Hand der kleinen Schwester. So schnell sie konnte rannte Firiel neben ihrem Bruder her. Hinter sich hörte sie das laute Knallen der Kracher und einen erschrockenen Aufschrei. Ein Grinsen huschte über ihr Gesicht. Es hatte funktioniert! „ARTAMIR! FIRIEL!" Laute Schreie hallten durch die Gänge. Die zwei Übeltäter bogen um eine weitere Ecke und stürzten weiter.
Artamir wurde erst langsamer, als sie den Südflügel des Palastes erreicht hatten. Er ließ die Hand seiner Schwester los und fing an, zu lachen. Hochrot im Gesicht rang Firiel nach Luft. Sie kicherte vor sich hin. „Es hat tatsächlich funktioniert!", sagte Artamir grinsend. Firiel nickte aufgeregt. Noch ganz berauscht von ihrer Tat traten die beiden durch eine Flügeltür hinaus in einen der Gärten, die auf der Südseite des Palastes lagen. „Hast du seinen Schrei gehört?", flüsterte Firiel. Ihr Bruder nickte, „Und ob!"
Grinsend setzte er sich auf den Rand eines Brunnens, zog die Schuhe aus und hielt die Füße hinein. „Armer Faramir... Bei dem tollen Wetter muss er Politik, Geschichte und so langweiliges Zeug lernen...", murmelte er. Mit einer Hand zerzauste er seine braunen Locken, sodass das Haar nach allen Seiten ab stand. „Mutter würde nicht wollen, dass du dein Haar so zerzaust!", sagte Firiel streng, während sie nach der Puppe suchte, die sie am Vorabend im Garten hatte liegen lassen. „Mutter ist aber gerade nicht hier, um mir das zu sagen!" Artamirs graue Augen, grau wie Firiels, blitzten froh auf.
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Die letzte Königin
FanfikceAls Prinzessin Gondors genießt Firiel ein privilegiertes, wohl behütetes Leben. Doch als sie an den König des nördlichen Königreiches Arthedain verheiratet wird, ändert sich dies schlagartig. An der Seite eines ihr fremden Mannes reist sie in ein fe...