Angst geht um

243 23 7
                                    

Herbst 1958 D.Z.

„Pass auf dich auf, mein Sohn!", schärfte Firiel erneut Aranarth ein. Der Prinz stand ihr gegenüber und hielt die Zügel seines Pferdes bereits in den Händen. Er seufzte. „Ja, Mutter", erwiderte er schon leicht genervt. Aber als er sie ansah, verzogen sich seine Mundwinkel zu einem kurzen, nachsichtigen Lächeln. Stolz und zugleich besorgt erwiderte sie es. Dann warf sie einen Blick an Aranarth vorbei. Arvedui war bereits aufgesessen. Auf dem Pferd neben ihm saß Ildion, der der Königin mit einem Lächeln zu nickte. Er würde jetzt mit dem König und dem Prinzen zusammen die Stadt verlassen und das Land dann auf eigene Faust erkunden. Knapp erwiderte Firiel das Nicken. Schnell wandte sie sich wieder Aranarth zu. Bevor sie noch etwas sagen konnte, setzte dieser schon zum Sprechen an: „Ich weiß Mutter, ich soll auf mich aufpassen. Glaub mir, ich habe vor, zurück zu kehren. Mach dir keine Sorgen." Er beugte sich zu ihr hinunter und küsste sie auf die Wange. Dann stieg er auf sein Pferd und wandte es seinem Vater zu. Arvedui sah kurz zu Firiel und neigte den Kopf zum Gruß, dann trieb er sein Pferd an. Die anderen beiden folgten ihm. Firiel wusste, unten auf dem Marktplatz erwartete sie bereits ein Heer Soldaten, das sie an die Grenze Arthedains führen würden.

Die Reiter verließen den Hof und Firiel blieb allein zurück. Fröstelnd zog sie den Mantel enger um sich. Es frischte auf, bald würde es Winter werden. Langsam ging sie zurück auf ihr Gemach mit der vagen Idee, dort ein wenig zu lesen. Oben angekommen setzte sie sich an ihren Lieblingsplatz am Fenster und nahm ein Buch zur Hand. Sie war noch nicht weit gekommen, als die Tür sich öffnete. Orla kam herein. Seit Osa vor einiger Zeit gestorben war, hatte Orla endgültig die Stellung ihrer Großmutter als Firiels Dienerin eingenommen. In ihren Händen trug sie ein Tablett auf dem eine dampfende Tasse Tee stand. Still stellte sie das Tablett ab und reichte Firiel die Tasse. Dankend nahm diese die Tasse an und legte das Buch beiseite.

„Wie geht es dir?", fragte sie besorgt. Den Besuch bei Osas Familie hatte sie immer noch lebhaft im Gedächtnis. In den letzten Tagen hatte sie oft an Orlas Kinder gedacht und hatte regelmäßig ihre Dienerin ausgefragt. Während Orla in der Zitadelle arbeitete, waren die Kinder wohl bei einer Nachbarin. Das kleine kranke Mädchen wurde trotz Sahils Medizin nicht gesund und Orla machte sich große Sorgen. Firiel teilte diese Sorgen und sie war gespannt auf Neuigkeiten. Doch sie hatte auch noch Sahils Warnung vor einer möglichen Seuche im Ohr. Deswegen hatte sie sich in den letzten Tagen nicht getraut, Orla und die Kinder zu besuchen.

Orla presste die Lippen zusammen und Firiel sah, dass ihre neue Dienerin noch immer von Sorgen und Ängsten gequält wurde. „Yna wird immer schwächer.", flüsterte sie leise und mit zu Boden gesenktem Blick. Mitfühlend beugte Firiel sich vor. „Und Nore wird nun auch krank." „Nore ist dein Sohn?", fragte Firiel. Orla nickte. „Die Medizin...?", hakte Firiel vorsichtig nach. Orla zuckte mit den Schultern. „Sie hilft ein wenig, kann die Krankheit aber nicht aufhalten.", antwortete sie mit brüchiger Stimme. Sie hob den Kopf und Firiel erkannte Tränen der Verzweiflung darin. „Yna schwindet von Tag zu Tag mehr.", klagte sie.

Firiel streckte die Hand nach der jungen Frau aus. Sie wollte trösten. Doch diese wich zurück. Noch immer war die Königin für sie unberührbar. Orla schluckte und beruhigte sich offenbar ein wenig. „Es wird schlimmer.", berichtete sie leise. Fragend sah Firiel sie an. „In unserer Straße sind mehrere Leute ganz plötzlich daran gestorben.", erzählte Orla, „Und immer mehr werden krank. Sie nennen es das Fleckenfieber. Es bricht Panik aus. Überall kursieren Gerüchte, wie man sich schützen kann. Selbst ernannte Heiler stolzieren durch die Gassen und verkaufen Heilmittel zu horrenden Preisen. Viele reden davon, die Stadt zu verlassen. Aber den meisten fehlt es an den Mitteln, woanders ein neues Leben aufzubauen. Die Straßen sind menschenleer. Alles verbarrikadiert sich aus Angst in den Häusern. Überall riecht es nach Tod und Krankheit. Ständig hört man neue Gerüchte..." Schaudernd brach die junge Dienerin ab.

Die letzte KöniginWo Geschichten leben. Entdecke jetzt