Endlich wieder „dahoam".
Obwohl es ja gar nicht mein Heimat war, aber ich fühlte mich hier wie zuhause, eine zweite Heimat sozusagen.
„Dahoam" war der Süden Bayerns, genauer gesagt Unterreit – bayrische Provinz eben. Aber „meine" bayrische Provinz!
Ich komme eigentlich aus dem südlichen Niederösterreich – nahe der steirischen Grenze - doch meine Großmutter und die restliche Verwandtschaft väterlicherseits stammt ursprünglich aus der Rosenheimer Gegend.
Damals, als „Tante Mimi" (die Schwester meiner Oma Rosa) noch mit ihrem Mann mehrere Wochen im Sommer verreiste, sind meine Oma und ich für diese Zeit immer nach Bayern in deren Haus gezogen – Sommerfrische sozusagen. Das waren die schönsten Sommer, wem muss ich das erklären: Drei, vier oder gar fünf Wochen mit Oma Urlaub machen und verwöhnt werden. Gibt es etwas Schöneres?
Das ist jetzt aber auch schon um die zwanzig Jahre her und doch hat sich in dieser kleinen Ortschaft fast nichts verändert.
Das Haus steht noch immer ganz alleine am Rande eines riesigen Feldes, der vielleicht 30 Häuser zählende Ort beginnt erst einige Hundert Meter weiter. Rundherum Felder und Hügel – es sieht ein wenig aus, als wäre man hier in der Toskana – und auf der nächsten Anhöhe etwa 800m entfernt steht ein kleines Hotel: der Aschbacher Hof. Gab es damals schon und gibt es noch immer.
Leider hatte die Schwester meiner Oma heuer ihren Mann verloren und danach beschlossen, das Haus zu verkaufen und in die Aiblinger Seniorenresidenz zu ziehen.
Auch ein Grund, warum wir jetzt hier waren: Mimi und die restliche Familie zu besuchen und begutachten, was denn aus dem alten Familienhaus geworden war.Ich würde am liebsten Luftsprünge vor Freude machen, aber wahrscheinlich würde das meine 83-Jährige Großmutter nicht gutheißen, die sich bei mir untergehakt hatte. So ließ ich eben nur mein inneres Kind hüpfen und springen und in Gedanken über die Wiesen und Felder laufen.
„Giulia, nicht so schnell!" Die Stimme meiner Großmutter riss mich aus meinen Gedanken.
„Tut mir leid, ich vergaß, dass du an mir hängst", grinste ich und zwinkerte ihr zu.
„Es ist einfach so schön, wieder hier zu sein. Was hältst du davon, wenn wir zum Hotel hinauf spazieren und uns dort einen Kaffee holen?" überlegte ich laut.
„Oder möchtest du lieber mit dem Auto hinauffahren?" Meine Oma war nicht mehr allzu gut zu Fuß unterwegs.„Ein bisschen gehen wird mir gut tun und Kaffee ist jetzt genau das Richtige", antwortete sie und so schlenderten wir gemütlich den Feldweg zwischen den Pferdekoppeln hinauf zur Wirtschaft.
Das Wetter war heute einfach herrlich - sonnig und beinahe wolkenloser Himmel und mit knapp 16 Grad zu warm für Mitte April. Ich hatte sicherheitshalber meine Winterjacke angezogen und bereute es gerade zutiefst. Darunter trug ich nur ein türkises T-Shirt – also entweder Jacke anlassen und schwitzen oder ausziehen und frieren. Ich entschied mich für Frieren.„Ich kann dich gar nicht ansehen. Mit kurzen Ärmeln im April rumlaufen! Du verkühlst dich noch!"
Jede Oma immer. Und meine ganz besonders.Ich verdrehte die Augen.
„Omilein, mir ist viel zu warm mit dieser Jacke. Und mir wird schon nicht kalt!"
Zumindest nicht sehr kalt, fügte ich in Gedanken hinzu, unterließ es aber, sie auszusprechen. Das würde nur in unnötigen Diskussionen enden, die ich bereits zur Genüge kannte.
Ich genoss die Sonnenstrahlen auf meiner Haut, dann bemerkte ich den Blick meiner Großmutter und wandte mich ihr zu.„Ist was?"
„Hast du schon wieder ein neues Tattoo?"
„...Nein...?! Welches meinst du?"
„Den Vogel da", und deutete auf meinen linken Unterarm.
„Ach Oma, den habe ich doch schon seit fast einem Jahr", grinste ich.
„Den habe ich aber noch nie gesehen! Jetzt hörst aber dann schon mal wieder damit auf, gell?"Tja, was sollte ich darauf antworten? Der nächste Tattoo Termin war bereits Ende Mai und ich würde den Teufel tun, mir diesen wunderschönen Tag durch diese leidige Diskussion zu vermiesen.
Sie würde es sowieso nicht verstehen, also zuckte ich nur mit den Schultern, murmelte Unverständliches vor mich hin und wir schlenderten weiter.

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Dahoam
FanfictionIn Gedanken versunken beobachtete ich die Gegend, genoss die Sonne und hörte erst viel zu spät den Schotter knirschen, was darauf hindeutete, dass ich gleich Gesellschaft bekommen sollte. Ein genervtes „Geh bitte... echt jetzt?" kam über meine Lippe...