Das einzelne Knacken eines Astes, dann wieder Stille. Till hatte es offenbar nicht gehört und wollte gerade den Rucksack zur Hand nehmen, als ich ihn antippte und zu verstehen gab, dass er sich nicht rühren sollte. Er hatte verstanden. Minuten verstrichen, ohne, dass etwas anderes außer leisem Vogelgezwitscher zu vernehmen war. Gerade, als ich schon wieder Entwarnung geben wollte, raschelte es links von uns in den Büschen. Gebannt hielt ich den Atem an. Bewegen, um aus dem Fenster sehen zu können, traute ich mich nicht, um das Tier neben uns nicht zu verschrecken. Anhand der Geräusche tippte ich auf ein einzelnes Wildschwein, aber man konnte ja nie wissen. Gerade die Borstentiere waren sehr empfindlich, wenn es um unbekannte Laute ging – vor allem, wenn sie aus der Richtung eines Hochstandes kamen.
Till saß genauso angespannt neben mir und lauschte dem nun immer näher kommenden Rascheln. Wir tauschten einen Blick aus und er formte lautlos das Wort Sau. Ich nickte.
Langsam tat mir der Rücken von dem stocksteifen Sitzen weh, doch ich rührte mich nach wie vor keinen Millimeter. Till hatte sich das Fernglas genommen und glaste die Lichtung ab – plötzlich stieß er mich in die Seite und reichte mir den Feldstecher. Fünfzig Meter vor uns war links aus dem angrenzenden Mischwald ein Wildschwein ausgetreten. Es war damit beschäftigt, den Waldboden umzugraben, um nach Essbarem zu suchen. Das war die Chance, leise und vorsichtig die Sitzposition zu verändern, das Gewehr in Anschlag zu bringen und das Ziel zu erfassen. Ich reichte Till wieder das Fernglas und stellte die Vergrößerung des Zielfernrohrs auf 10, um richtig ansprechen zu können.
Ein Keiler, und kein kleines Exemplar! Ich sah dem Tier einen Moment dabei zu, wie es den Boden aufwühlte, entsicherte ruhig das Gewehr und wartete auf den richtigen Moment. Der laute Knall zerriss die Stille, das Wildschwein zuckte, rannte in wilder Flucht ans andere Ende der Lichtung, wo es schließlich zusammenbrach. Geistesgegenwärtig lud ich schnell nach und blieb noch einige Minuten mit dem Absehen des Zielfernrohrs auf dem leblosen Schweinekörper. Dass ich meinen Gehörschutz vergessen hatte, bemerkte ich erst jetzt, als mir das Pfeifen in den Ohren bewusst wurde.
Till legte den Arm um mich, drückte mir einen Kuss auf die Wange und flüsterte: „Weidmannsheil!"
Gemächlich ließ ich das Gewehr sinken, sicherte es und legte es wieder auf die Ablage. Ich atmete ein paar Mal tief durch und lehnte mich an Till.„Weidmannsdank!", gab ich – ebenfalls im Flüsterton – zurück.
Meine Hände zitterten noch immer und ich brauchte einige Zeit, bis ich sie wieder unter Kontrolle hatte. Das war immer so. Wie oft hatte ich schon Wild erlegt, aber die Spannung riss mich jedes Mal erneut mit. Das Pfeifen in den Ohren hatte nachgelassen, worüber ich sehr dankbar war. Dafür konnte ich mich wirklich ärgern, dass ich auf so etwas Banales wie den Gehörschutz vergessen hatte.„Komm, lass uns deine Beute begutachten."
Till reichte mir die Hand und zog mich auf die Beine.
Ich schulterte das Gewehr, er nahm den Rucksack und wir kletterten die Leiter hinab. Hand in Hand gingen wir auf das tote Wildschwein zu. Zufrieden summte ich vor mich hin.„Summst du jetzt ernsthaft Waidmanns Heil?", lachte Till und riss mich somit aus meinen Gedanken.
„Äh...", meine Wangen glühten, „ja, tut mir Leid. Das mache ich irgendwie immer, wenn ich was geschossen habe."
„Du brauchst dich doch dafür nicht entschuldigen! Find's nur lustig!"
Beim Schwein angekommen, stieß er einen leisen Pfiff aus und klopfte mir auf die Schulter.
„Nicht schlecht! Gut gemacht!"
Der Schuss saß perfekt und ich war erstaunt, wie groß das Borstentier aus der Nähe war. Dem Gewaff und der Größe nach zu schließen war der Kerl um die fünf bis sechs Jahre alt und hatte wahrscheinlich um die Hundertzwanzig Kilo.
Ich entlud das Gewehr und drückte es Till in die Hand, dann nahm ich mein Handy und informierte Ferdinand, den Jagdleiter, dass ich beim Abtransport Hilfe benötigte. Das Schwein war einfach zu groß für das Auto, daher musste der Anhänger her. Nachdem ich nochmal im Schnelldurchlauf geschildert hatte, wie sich alles zugetragen hatte, versicherte er mir, dass er innerhalb der nächsten halben Stunde bei uns wäre.Da blieb genug Zeit, um in aller Ruhe aufzubrechen und das Schwein soweit zu versorgen. Till ging mir zur Hand und in Rekordzeit waren die Innereien in einem Müllsack verschwunden, die Leber separat in einen Plastikbeutel verpackt und wir warteten auf die Verstärkung.
„Die Leber gehört ganz dir, wenn du sie magst", lachte ich, als ich ihm den Beutel reichte.
„Willst du die nicht? Aber gerne, nachher zum Abendessen?"
„Klar, ausnahmsweise koche ich dann sogar für dich", schmunzelte ich und zwinkerte ihm zu.
„Was habe ich doch für ein Glück...", gab er gespielt sarkastisch zurück und lachte.
Eine gute Stunde später war die Sau in der Kühlkammer untergebracht, wir verabschiedeten uns von Ferdinand, der uns wieder zu meinem Auto gebracht hatte und machten uns auf den Heimweg. Den heutigen Nachmittag würde ich nicht so schnell vergessen. Immer wieder liefen vor meinem geistigen Auge die Bilder der letzten Stunden ab. So einen kurzen Ansitz war ich nicht gewohnt, und, obwohl ich mir ein wenig mehr Zeit mit Till im Wald gewünscht hätte, überwog natürlich die Freude über diesen überaus erfolgreichen Jagdtag.
Daheim angekommen sprang ich erst unter die Dusche und machte mich dann an die Arbeit, das Abendessen zuzubereiten. Wildschweinleber mit karamellisierten Zwiebeln – das war schnell gemacht und für mich gab es Spinat mit Feta. Interessanterweise hatte ich nach jedem erfolgreichen Ansitz ein bis zwei Tage keine Lust auf Fleisch, aber das störte mich nicht. Hauptsache, Till freute sich über die Leber. Während er noch im Badezimmer verweilte, deckte ich bereits den Tisch, schenkte uns den restlichen Rotwein ein, der nicht für die Sauce draufgegangen war, und befüllte unsere Teller. Till staunte nicht schlecht, als er wenig später bei Tisch saß und sich die Leber schmecken ließ.
„Du kannst ja doch kochen", schmunzelte er zwischen zwei Bissen.
War klar, dass er sich ausgerechnet das gemerkt hatte.
„Naja, so Kleinigkeiten gehen schon. Dauert ja auch nicht lange. Aber alles, was komplexer wird, bekomme ich nicht hin. Wenn du noch auf Suppe und Nachspeise bestanden hättest, wäre ich dezent überfordert gewesen", lachte ich.
„Hmm...du kannst dir sicher sein, dass ich auf eine Nachspeise bestehe."
Sein lüsterner Blick war Erklärung genug.
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Dahoam
FanfictionIn Gedanken versunken beobachtete ich die Gegend, genoss die Sonne und hörte erst viel zu spät den Schotter knirschen, was darauf hindeutete, dass ich gleich Gesellschaft bekommen sollte. Ein genervtes „Geh bitte... echt jetzt?" kam über meine Lippe...