Montag
„Giulia! Hey – Giulia!"
Eine wütende Stimme zischte meinen Namen. Ich schrak hoch und registrierte meinen Chef, der direkt vor mir stand.„Sorry Martin, wird nicht wieder vorkommen", murmelte ich kopfschüttelnd, um meine Gedanken zu ordnen.
„Was ist denn heute los mit dir? Kundschaft wartet, na los!"
Mit diesen Worten schob er mich kurzerhand in den Verkaufsraum und verschwand selbst im Lager. Es war erstaunlich viel los in unserem kleinen Geschäft, das bis an die Decke vollgeräumt war mit Munition, Jagdbekleidung und Waffen. Alleine am Vormittag hatten wir über 4000 Stück Schrotmunition und zwei Flinten verkauft und normalerweise liebte ich solche Tage, da man mit den Leuten auch ins Gespräch kam und die Zeit nur so verflog. Heute allerdings konnte ich mich so überhaupt nicht auf die Arbeit konzentrieren und musste mich geradezu zwingen, freundlich und nett zu unseren Kunden zu sein – auch bei diesem Käufer tat ich mir heute schwer, obwohl ich ihn kannte. Trotzdem bemühte ich mich um ein Lächeln.„Servus, Bernhard. Hat Ferdinand dich hergeschickt?"
„Habe die Ehre! Ja, er hat gemeint, du hast heute Dienst und kannst mir einen guten Preis für 2000 Schuss Schrotmunition machen?", grinste Bernhard mir entgegen.
„12/70?"
Ein Nicken.
„Na wenn das so weiter geht, haben wir morgen keine Schrotpatronen mehr", lachte ich kurz auf, „aber liegt vielleicht an den bevorstehenden Jagdprüfungen. Jetzt bekommen sie alle die Panik und gehen fleißig üben. Ich frage mal meinen Chef, der ist im Lager. Warte bitte kurz hier."
Ich verschwand im hinteren Teil des Geschäfts, um Martin zu suchen. Dieser hatte bereits mitbekommen, um wem es sich bei unserem Kunden handelte und hielt mich aufgeregt zurück.
„Du kennst den Speer? Wusste ja gar nicht, dass du mit der Prominenz abhängst. Was möchte er denn?"
Wenn du wüsstest, mit welcher Prominenz ich die letzten Tage verbracht habe...
„Und ich wusste nicht, dass du ein Fan bist", gab ich feixend zur Antwort.
„Er braucht 2000 Schuss Schrot 12/70er und hat mich um den Freundschaftspreis gebeten. Wollte das aber vorher mit dir abklären, ob das in Ordnung geht."„Für den Hrn. Speer natürlich. Und glaubst du, könntest du mir ein Autogramm besorgen?"
So schüchtern hatte ich meinen Chef noch nie erlebt und musste lachen.„Aber gerne doch, Martin, wenn du meine nächsten Urlaubswünsche in Betracht ziehst..."
„Los, hau ab!", knurrte mir dieser gutmütig entgegen.
Grinsend wandte ich mich um und marschierte zurück zu Bernhard. Wann war ich denn bitteschön zum Musikermagnet geworden?
Bernhard betrachtete in der Zwischenzeit die Waffen und ich gesellte mich zu ihm.„Freundschaftspreis geht klar, Hr. Speer! Der Chef bringt dir gleich deine Kartons. Park mal dein Auto vor dem Eingang, dann müssen wir die nicht so weit tragen. Und wärst du so lieb und würdest meinem Chef ein Autogramm geben? Der war total aufgeregt, weil du plötzlich im Laden gestanden bist", grinste ich ihn an.
Nach fünfzehn Minuten war die Munition bezahlt und im Wagen verstaut, mein Chef verabschiedete sich persönlich von ihm und bedankte sich großzügig für das Autogramm, das nun gut sichtbar neben der Kassa hing. Ich umarmte Bernhard kurz und versprach ihm, in den nächsten Wochen mal mit ihm Wurfscheibenschießen zu gehen.
Zurück im Geschäft widmete ich mich den noch immer geschlossenen Paketen mit der neu eingetroffenen Jagdgewandung. So vertieft war ich in das Auspacken und sortieren, dass ich zunächst nicht bemerkte, dass Martin hinter mir stand und mich schweigend beobachtete. Das ging mir erst auf, als ich mich schwungvoll umdrehte und direkt in ihn hineinlief. Vor Schreck ließ ich die Sachen fallen und musste nun wieder von vorne alles fein säuberlich zusammenzulegen. Martin half mir und brach schließlich das Schweigen.„So, jetzt erzähl mal von deinem Urlaub. Ich kenne dich schon einige Zeit und irgendwas muss da gewesen sein. Du bist ja sonst auch nicht so durch den Wind, wenn du mal paar Tage frei hattest. Mal abgesehen von dem Veilchen da...prügelst du dich neuerdings?", fragend und ein wenig besorgt blickte er mich an.
„Es war ein schöner Urlaub – aber wie immer zu kurz. Und..."
„Ja?"
Was sollte ich ihm erzählen? Wen ich getroffen hatte, würde ich niemandem schildern, schon gar nicht Martin, da ich wusste, dass er Rammstein mindestens genauso gern hörte wie ich – und er nicht gerade zu den Menschen zählte, die Geheimnisse gut für sich behalten konnten. Also entschied ich mich für eine sehr, sehr abgespeckte Version der Ereignisse.
„Blödsinn! Das Veilchen habe ich von einem Türrahmen, der mir nicht aus dem Weg gehen wollte – patschert halt, kennst mich ja. Und sonst...ich habe da jemanden kennengelernt. Ein Urlaubsflirt, nichts weiter. Es war...nett."
Ich musste schlucken. So darüber zu sprechen, tat mir weh und wurde Till auch nicht gerecht.„Nett ist die kleine Schwester von sch...!"
„MARTIN!", unterbrach ich ihn sauer.
„Was denn? <Nett> ist ja nicht gerade die Beschreibung, die man von sich hören will."
„Hör zu, es waren ein paar schöne Tage und das war's. Ich bin erst gestern am späten Nachmittag heimgekommen und hatte ehrlich gesagt noch nicht allzu viel Zeit, darüber nachzudenken. Ich brauche vielleicht noch ein oder zwei Tage, um das abzuhaken, ok?", erwiderte ich, meine Stimme wurde zum Schluss hin immer lauter. Gut, dass gerade keine Kundschaft anwesend war!
Martin hob abwehrend die Hände.
„Ist ja gut, ist ja gut! Beruhige dich!"
Er reichte mir die Teile, die er bereits zusammengelegt hatte.
„Werdet ihr euch wiedersehen?", fragte er leise nach, hielt aber einen gewissen Sicherheitsabstand zu mir ein.„Unwahrscheinlich", war alles, was er als Antwort bekam.
„Und wenn du jetzt so nett wärst, und mich hier meine Arbeit machen lassen würdest – schließlich bezahlst du mich dafür, dieses Zeug hier wegzuräumen, und nicht, um über meine Urlaubsflirts zu quatschen."Mit diesen Worten ließ ich Martin einfach stehen, verstaute die restlichen Sachen an ihrem Platz und verschwand im Lager, um die nächsten Kartons auszupacken.

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Dahoam
FanfictionIn Gedanken versunken beobachtete ich die Gegend, genoss die Sonne und hörte erst viel zu spät den Schotter knirschen, was darauf hindeutete, dass ich gleich Gesellschaft bekommen sollte. Ein genervtes „Geh bitte... echt jetzt?" kam über meine Lippe...