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Einige Zeit später saßen wir gemeinsam mit seiner Mutter im Restaurantbereich. Meine Oma würde ich gegen 13:00 abholen und wieder hierher ins Hotel zum verabredeten Kaffeekränzchen fahren.
Till hatte mich überredet, in der Zwischenzeit hier zu bleiben und so saß ich etwas overdressed im Dirndl beim Frühstück. Obwohl ich anfangs Bedenken hatte, was meine Anwesenheit um diese Uhrzeit aussagte, wurde ich mit der Zeit doch lockerer, da Gitta diesen Umstand weder kommentierte noch Fragen stellte. Wir unterhielten uns über alltägliche Sachen, über meine Hobbies und meine Familie. Till hörte uns zu, genoss schweigend sein Essen und zwinkerte mir ab und an zu, als wollte er mir sagen: Siehst du, ist doch gar nicht schlimm!

Nach einem äußerst ausgiebigen Frühstück – ich hatte Müsli, ein Omelett mit Speck und Käse und danach noch ein Croissant mit Butter – fühlte ich mich, als würde mein Dirndl jederzeit platzen. Ich lehnte mich zurück und stöhnte leise auf. Gitta und Till lachten, ich schmunzelte.
Am Tisch vibrierte mein Handy, ich warf einen Blick auf das Display, das mir die Antwort meines Bruders anzeigte.

Hi, alles ok. Why d'you ask?

Ich entschuldigte mich kurz bei den Beiden, kämpfte mich aus dem Sessel (ich hatte mich wirklich überessen) und verließ den Raum, um auf der Terrasse in Ruhe die Nachricht zu beantworten.
Wenn wir uns schrieben, artete das immer in einem deutsch-englischen Kauderwelsch aus. Meistens unterhielten wir uns schlussendlich dann auf englisch.

Ach, nur so. Had a bad dream. How's everybody? I'm on vacation with Oma in Bayern, greetings from the rest of the family btw. And I've met someone – can't tell you the name right now though, he's „kinda famous" but I'll tell ya next time we phone.

Sollte ich ihm von meinem Traum berichten? Warum hatte mich das heute Früh so aus der Bahn geworfen, dass ich ihm gleich schreiben musste?

Hinter mir öffnete und schloss jemand die Türe und ich drehte mich um. Till war mir gefolgt, stellte sich neben mich und sah in die Ferne. Ich schickte die Nachricht ohne weiteren Kommentar ab und steckte das Handy ein. Er griff nach meiner Hand, verschränkte seine Finger in meinen, sah mich aber nach wie vor nicht an und sprach leise: „Warum hast du heute Morgen eine geraucht? Ich dachte, du hättest aufgehört." Es klang nicht vorwurfsvoll sondern besorgt.

„Ich...habe schlecht geträumt", antwortete ich genauso leise.

„Magst du mir davon erzählen?"
Jetzt sah er mich an. Ich blickte zu ihm hoch und wusste nicht genau, was ich antworten sollte. Je länger ich über den Traum nachdachte, desto peinlicher fand ich meine Reaktion darauf. Aber Tills Blick schenkte mir ein Gefühl von Geborgenheit, ich seufzte leise und lehnte meinen Kopf an seine Schulter.

„Naja, es ist...eigentlich ist es irgendwie peinlich und wenn ich jetzt darüber nachdenke, weiß ich auch nicht, warum mich das so irritiert hat. War ja schließlich nur ein Traum. Aber gut.
In besagtem Traum war ich auf einem Friedhof und in einiger Entfernung sah ich meinen Bruder an einem Grab stehen und meinen Neffen, der den Grabstein umarmt hat. Du mit Rammstein habt im Hintergrund Ohne Dich gespielt. Ich bin dann hingegangen, weil ich wissen wollte, wessen Grab das ist: am Stein stand mein Name und dann bin ich aufgewacht.
Sollten wir nicht wieder hineingehen? Wir können deine Mutter ja nicht ganz alleine beim Frühstück sitzen lassen?"

Ich wollte schnell das Thema wechseln – das Traumgespräch war mir zusehends unangenehm, doch Till hatte offenbar andere Pläne.

„Sie ist schon im Zimmer. Ihr tägliches Vormittagsritual: Zeitungen lesen und schreiben. Also keine Sorge, wir haben Zeit."

Er zog mich zu der nächsten Sitzgelegenheit und bedeutete mir, Platz zu nehmen. Wir hielten uns immer noch an den Händen, was mich einerseits freute, andererseits ein wenig irritierte, weil öffentliche Zuneigung seinerseits war doch etwas Seltenes – zumindest was ich bis jetzt so mitbekommen hatte.

„Und was hatte es mit der Nachricht am Handy auf sich?", wollte er wissen.

„Ich habe dann in der Früh meinem Bruder geschrieben, ob bei ihnen alles in Ordnung ist. Weiß auch nicht, warum. Es war eben so ein eigenartiges Gefühl."

„Verstehe." Till dachte nach.
„Was hat dich daran so geschockt, dass du dann eine rauchen musstest? Die kann ja gar nicht geschmeckt haben?"

Ich lächelte versonnen vor mich hin.
„Stimmt, die war richtig grauslich! Ich habe es danach eh bereut. Aber in dem Moment, als ich munter wurde, musste ich einfach raus an die Luft, dann habe ich deine Zigaretten auf dem Tisch liegen sehen und...naja, alte Macht der Gewohnheit eben.
Es war nicht mal der Moment, als ich meinen eigenen Namen am Grab erkennen konnte, es war dieses komische vertraute Gefühl, das in mir aufkam. Als hätte ich das alles schon mal gesehen oder so ähnlich."

Er drückte zärtlich meine Hand.
„Deinem Bruder geht es gut?"

„Ja, alles in Ordnung."

„Dann ist ja gut. Wenn du wieder schlecht träumst, weck mich einfach auf. Immer noch besser, als alleine draußen zu sitzen, eine zu rauchen und sich den Kopf zu zerbrechen. Versprichst du mir das?", er sah mich forschend, aber doch liebevoll an.

Mehr als ein Nicken brachte ich nicht zustande, da ich merkte, wie der Kloß in meinem Hals immer größer wurde. Dass Till sich um mich Sorgen machte, ließ Tränen in mir aufsteigen. Nicht, weil er es im Speziellen war, aber weil schon lange niemand mehr es geschafft hatte, dass ich mich wirklich geborgen fühlte – und das übermannte mich im Moment einfach.
Schnell drehte ich den Kopf zur Seite und lehnte mich wieder an ihn. Hoffentlich hatte er es nicht mitbekommen. Was hatte ich heute nur für einen sentimentalen Tag?

„Können wir auf dein Zimmer gehen? Ich würde dich jetzt wirklich gerne küssen – aber nicht hier", murmelte ich.

„Na dann komm," lächelte Till und half mir hoch.

Seinen Arm um mich gelegt, machten wir uns auf den Weg zurück in sein Zimmer.

Wenig später lagen wir nur in Unterwäsche in seinem Bett und küssten und streichelten uns. Kein Sex, nur liebevolle Zärtlichkeiten. Ich genoss seine Berührungen, seine Hände, die meinen Körper streichelten und mich massierten. Irgendwann lag ich schließlich an ihn gekuschelt und hatte Mühe, die Augen offen zu halten, während Till sich durch die Fernsehkanäle zappte.

„Weckst du mich nachher auf, dass ich rechtzeitig bei meiner Oma bin?", murmelte ich mit geschlossenen Augen gegen seine Brust.

„Ich stelle uns sicherheitshalber den Wecker", hörte ich ihn gähnen.
„Was hältst du von einem kleinen Ausflug am Nachmittag? Nur wir beide? Meine Mutter und deine Großmutter sind ja beschäftigt."

„Mhm, klingt gut".
Mehr als ein Nuscheln brachte ich nicht mehr zusammen. Ich bemerkte nur, dass Till mich auf die Stirn küsste und dann war ich auch schon im Land der Träume.

DahoamWo Geschichten leben. Entdecke jetzt