Die Tage vergingen und wurden zu Wochen, seit dieses kurze Telefonat stattgefunden hatte, in dem er mir von Neles Tod erzählt hatte. Seitdem hatte ich nichts mehr von ihm persönlich gehört, nur das, was die Zeitungen über die Rammstein-Tour berichteten. Die BILD hatte sogar über Neles Begräbnis geschrieben – die obligatorischen Insiderinformationen – und die wildesten Theorien gesponnen, warum es so gekommen war, wie es eben gekommen war. Was davon wahr war, wusste ich nicht. Kurz bevor die sechs Herren ihre Tour wieder starteten, hatte ich Till zwei Nachrichten geschrieben, allerdings keine Antwort erhalten. Zuerst war ich darüber doch ein wenig enttäuscht, aber angesichts der letzten Ereignisse konnte ich es dann irgendwo verstehen, dass er seine Ruhe haben wollte.
So verliefen die nächsten Wochen in gewohnten Bahnen, ich arbeitete meine drei bis vier Tage bei Martin im Geschäft, an den übrigen Tagen nahm ich die bereits geplanten Fotoshootings in Angriff. Hauptsache, ich hatte nicht viel Zeit, um über Till nachzudenken. Das gelang mir auch soweit ganz gut, nur hin und wieder besah ich mir die Orte, in denen Rammstein gerade unterwegs waren, und sinnierte darüber nach, was er wohl gerade machen würde. Ob er ab und zu auch an mich dachte?Der Sommer war mit dem Juli über uns hereingebrochen, anders konnte ich es nicht beschreiben. Temperaturen jenseits der 35 Grad hielten sich bereits seit über einer Woche hartnäckig. Des Öfteren war ich nun mit Tanja und Raphael, einem Freund ihrerseits, unterwegs und wir hatten immer richtig viel Spaß – so auch an diesem drückend schwülen Mittwochabend.
Raphael war 36 und der Typ Beachboy – eigentlich gar nicht mein Fall – halblange, blonde Haare, die er immer lässig hinter den Ohren trug, sonnengebräunt und trainiert. So auf den ersten Blick konnte man meinen, er wäre aus einer dieser klassischen, amerikanischen Strandwerbungen entsprungen. Lernte man ihn dann näher kennen, erschloss sich einem, dass er ein total lieber, entspannter Mensch war, der gerade durch eine hässliche Scheidung ging, und sich an Tanja – seine beste Freundin – krallte, um etwas Abstand zu dem Rosenkrieg zu bekommen.Wir hatten uns am Badeteich verabredet, und da ich den nachmittäglichen Fototermin bereits früh zu Ende gebracht hatte, hatte ich mich schon am vereinbarten Treffpunkt eingefunden und wartete auf meine Freunde. Das Piepsen meines Handys verkündete eine Nachricht von Tanja:
Giulia, es tut mir Leid, aber ich schaffe es nicht. Wünsche euch beiden trotzdem viel Spaß ;)
Na gut, dann eben nur Raphael und ich. Sollte mir Recht sein. Um ehrlich zu sein, war ich über den „Ausfall" meiner Freundin auch nicht allzu böse, denn Raphael war wirklich lustig und wir konnten uns stundenlang über irgendwelchen Blödsinn unterhalten. Insgeheim freute ich mich darauf, ein wenig Zeit alleine mit ihm zu verbringen.
„Servus, Giulia!"
Lachend und winkend kam er auf mich zu und umarmte mich.„Hi, freut mich, dass du nicht auch noch abgesagt hast", grinste ich und bot ihm einen Platz auf meinem Badetuch an. Dann klärte ich ihn kurz auf, dass wir Tanjas Drinks heute zwischen uns aufteilen mussten.
Wir verbrachten den restlichen Nachmittag mit Schwimmen und redeten über Gott und die Welt, bis uns beim Sonnenuntergang die Lust auf ein paar Cocktails überkam. Gleich hier um die Ecke war eine kleine, gemütliche Bar, die wir ansteuerten. Andere Badegäste kamen auch regelmäßig hier her und so fielen wir mit unseren Badesachen, Sandalen beziehungsweise Flipflops und der mehr als legeren Freizeitkleidung nicht weiter auf.
Raphael bestellte die erste Runde – einen Sex on the beach für mich und einen Swimming Pool für ihn – und wir nahmen mit den Drinks an einem kleinen Tisch Platz. Ich genoss die Zeit mit ihm, wir blödelten herum und ich fühlte mich seit Monaten das erste Mal wieder richtig wohl. Nach zwei weiteren Cocktails – diesmal allerdings alkoholfrei, schließlich musste ich noch fahren – entschuldigte ich mich kurz bei ihm, um die Toilette aufzusuchen. Lange stand ich dort vor dem Spiegel und haderte mit mir: eine Seite von mir wollte Raphael heute mit nachhause nehmen. Er hatte etwas an sich, dass mich neugierig werden ließ. Und der letzte Sex war nun auch schon einige Zeit her. Die andere Seite erinnerte mich mit Vehemenz an Till... mit dem ich das letzte Mal Sex gehabt hatte. Ich verscheuchte ihn aus meinen Gedanken. Heute nicht! Nein, wenn Raphael mitkommen wollte, dann war heute kein Platz für Till in meinen Gedanken!Endlich retour vom stillen Örtchen, nahm ich wieder neben Raphael Platz.
„Ich glaube, mir reicht es für heute mit dem süßen Zeug hier", ich deutete auf mein leeres Glas, „und, um jetzt mal geraderaus zu fragen: willst du noch mit zu mir kommen?"
Wenn er ob meiner Direktheit überrascht war, so zeigte er es zumindest nicht. Ein Grinsen huschte über sein Gesicht und er nickte. Dann stand er auf, zahlte und wir schlenderten zurück zu unseren Autos. Er fuhr hinter mir nach, da er den Weg nicht kannte, und bei meinem Wohnhaus angekommen, nahm ich ihn einfach an der Hand und zog ihn mit ins Stiegenhaus. Keine Zeit für unbeholfene Annäherungsversuche – ich hatte Lust, richtig Lust und wollte einfach nur nicht mehr nachdenken wollen.
Etwas unsanft drückte ich Raphael noch im Halbstock an die Wand, und begann, ihn zu küssen. Diesmal war er wirklich überrascht, denn sanft schob er mich von sich, sah mich an und schmunzelte.„So eilig?"
„Mhm...ja", etwas genervt und heiser fuhr ich fort, „hör zu, ich will nicht lange rumquatschen. Ich will dich – jetzt!"
Kurz schien er ein wenig überfordert mit dieser Situation, doch dann zog er mich an sich und schob mir seine Zunge in den Mund. So forsch er anfangs war, so schüchtern wurde er mit jeder weiteren Minute. Fordernd legte ich meine Hand in seinen Nacken und ließ die andere in Richtung seines Schrittes gleiten, doch er keuchte auf und rückte wieder von mir ab.
„Du willst doch nicht hier...?"
Seine Stimme klang unnatürlich hoch.Oh Mann...das konnte noch was werden...
„Blödsinn...", presste ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, dachte mir aber Warum denn nicht? Andere stellen sich nicht so verklemmt an! doch ich nahm seine Hand und führte ihn in den zweiten Stock.
Wir bogen in den Gang ein, der zu meiner Wohnung führte, Raphael strich mir sanft den Rücken hinauf und hinunter, was ich nur halbherzig wahrnahm. Ich wollte ficken, und keinen Blümchensex mit viel Kuscheln. Aber wie konnte ich ihm das möglichst schonend beibringen? Langsam fragte ich mich, ob es eine gute Idee gewesen war, ihn mitzunehmen. Vielleicht war er doch nicht der Richtige für einen schmutzigen One-Night-Stand?
Im Vorbeigehen betätigte ich den Lichtschalter und blieb plötzlich wie angewurzelt stehen. Raphael rempelte mich an, da er nicht mit einer Vollbremsung gerechnet hatte.„Oh, alles ok?", wollte er wissen, bevor er an mir vorbei schielte.
Den dunklen Schatten hatte ich im Finstern zunächst nicht wahrgenommen: an meine Wohnungstüre gelehnt saß...Till!

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Dahoam
أدب الهواةIn Gedanken versunken beobachtete ich die Gegend, genoss die Sonne und hörte erst viel zu spät den Schotter knirschen, was darauf hindeutete, dass ich gleich Gesellschaft bekommen sollte. Ein genervtes „Geh bitte... echt jetzt?" kam über meine Lippe...