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Die folgenden Stunden bis in den frühen Nachmittag hinein kreuzten wir auf dem See umher. Zu Beginn Richtung Illmitz und Rust, danach nahmen wir Kurs auf Podersdorf und schließlich fuhren wir wieder mit dem Wind an Illmitz vorbei und steuerten eine kleine Bucht an, in der wir ungestört ankern konnten. Till hatte mir beim Kreuzen fleißig geholfen, da ich mit dem Bein doch etwas in der Bewegung eingeschränkt war. Nicht nur einmal hätte ihn der Baum beinahe am Kopf getroffen, was sich immer nur in allerletzter Sekunde verhindern ließ, indem ich die Pinne herumriss.
Aber wir hatten es geschafft – das Boot lag vor Anker und wir hatten die Bucht für uns alleine. Weit und breit war kein anderes Schiff auszunehmen.
Während ich die kleine Leiter ins Innere des Bootes hinab kletterte, machte Till es sich draußen auf der Sitzbank gemütlich. Das Innenleben bestand aus einem kleinen runden Tisch mit Sitzgarnitur, gegenüber eine Mini-Kochnische mit Gasherd und Spüle. Links von der Leiter, die ich gerade herunter gestiegen war, befand sich das Bad (ein kleines Waschbecken und ein Porta Potti – eine tragbare Toilette), rechts davon eine Koje für eine einzelne Person oder eben Platz für das Gepäck. Der Bug des Schiffes beinhaltete unsere Schlafgelegenheit, gerade groß genug, dass wir bequem nebeneinander liegen konnten.
Ich richtete eine Kleinigkeit zum Essen her: Gebäck, Schinken, Käse, Wasser, Cola und Bier. Letzteres reichte ich Till mit einem Bierglas aus der Kabine heraus.

„Wow, sogar ein echtes Bierglas?", lachend nahm er mir beides ab.

„Du würdest dich wundern. Wir haben hier Rot- und Weißwein-, sowie Schnapsgläser. Nur leider keinen Wein dazu. Aber Zirbenschnaps, sollte es dich überkommen."

„Ich bin beeindruckt! Flaschenöffner?"

„Das ist ein Dreh-und-Drink."

„Was?"

Sein verdutztes Gesicht brachte mich zum Lachen.
„Ein Dreh-und-Drink oder auch Schrauf-und-Sauf. Ein Drehverschluss, mein Lieber."

„Aha", mit einem leisen Zischen öffnete er die Flasche, „Ihr Österreicher habt echt lustige Ausdrücke."

„Sagt gerade der Piefke...", und brachte mich quietschend hinter der Leiter in Sicherheit, denn Till warf den Bierverschluss nach mir.

„Schon vergessen, was mit dir passiert, wenn du frech bist, junges Fräulein?", murrte er gespielt böse und schenkte sich das Bier ein.

„Oh nein, wie könnte ich. Aber du wirst hier Schwierigkeiten haben, mich da drinnen fest zu ketten", ich streckte ihm die Zunge raus.

„Ach, sag das nicht. Bei den ganzen Seilen, die hier herum liegen, wird sich schon was finden lassen."
Gelassen gönnte er sich den ersten Schluck Bier.

Ich gab ihm den Teller mit dem Essen und kletterte dann selbst wieder heraus.
„Abwarten. Du weißt ja nicht, was ich die nächsten Tage noch so mit dir vorhabe."

Amüsiert zog er eine Augenbraue in die Höhe und griente mich an. Ich zwinkerte nur und nahm mir eine Semmel, Schinken und eine Dose Cola.

Die nächsten Stunden vertrieben wir uns mit einigen Partien Canasta und genossen die Ruhe. Till döste schließlich ein, die dunkle Kappe tief ins Gesicht gezogen, und ich hatte mir mein Buch geschnappt. Neben mir im Schilfgürtel zirpte und zwitscherte es, die Wellen schlugen sanft ans Boot. Ab und an platschte es, wenn ein Fisch übermütig aus dem Wasser sprang, um sich an den Insekten gütlich zu tun. Eine Brise strich über mich hinweg und ließ einige Haarsträhnen ins Gesicht fallen. Ich schloss die Augen und erfreute mich an der Geräuschkulisse. Das leichte Schaukeln des Bootes beförderte auch mich innerhalb kürzester Zeit in den Schlaf.

Eine plötzliche Bewegung unter mir und ein Plätschern weckten mich. Müde blinzelte ich in das gleißende Sonnenlicht und hielt mir dann die Hand vor das Gesicht. Umherblickend, versuchte ich die Ursache für das Schwanken des Schiffes auszumachen, konnte aber auf den ersten Blick nichts entdecken, außer, dass der Platz neben mir leer war. Ich setzte mich auf und sah erst links, dann rechts über die Reling, da spritzte mir auf einmal kaltes Wasser ins Gesicht. Erschrocken taumelte ich retour, donnerte mit dem Hinterkopf an den Baum und sank etwas benommen auf die Sitzbank. Mit einer Hand rieb ich mir die Stelle am Kopf und fluchte leise vor mich hin, während ich aus dem Wasser verhaltenes Lachen hörte, dass sich dem Heck näherte.

„So schreckhaft?", gluckste Till, der an der Badeplattform angekommen war. Das Wasser reichte ihm gerade bis zum Nabel.

„Idiot! Deinetwegen bekomme ich jetzt eine Beule!"

„Tollpatschig bist du ja nicht, ne?"

„Ach, halt die Klappe!", musste dabei aber schon wieder grinsen.
Ich musterte ihn, wie er da so im Wasser stand. Offenbar war er eine Runde geschwommen, denn Haare und Oberkörper glänzten nass in der Sonne.

„Ist dir nicht kalt? So warm ist der See ja doch noch nicht."
Ein besorgter Blick auf das Thermometer neben der Pinne ließ mich frösteln: 17 Grad.

Ein Schulterzucken.
„Ist nicht schlimm. Habe eine Runde um den Schilfgürtel gedreht, da wird einem schon warm."
Kurz wandte er sich nach allen Seiten und erklomm dann schwungvoll die Leiter zur Badeplattform.

„Keine Sorge, hier gibt's keine Paparazzi", zwinkerte ich und reichte ihm ein Handtuch entgegen, „und außerdem, nach deinem letzten Video gibt es ja nichts, was nicht schon alle gesehen hätten...", legte ich nach, da er im Adamskostüm vor mir stand.

Till grinste anzüglich, schnalzte halbherzig mit dem Handtuch nach mir und trocknete sich ab. Lachend langte ich unter die Treppe in das Innere des Bootes und beförderte eine Decke zutage – unterdessen war er wieder in Shirt und Shorts geschlüpft und setzte sich neben mich. Ich warf die Decke über seine Beine.

„Hier, wickle dich damit ein. Nicht, dass du krank wirst. Sonst bin ich noch daran schuld, dass du nicht zum Termin mit deinen Kollegen kommst."

Er schlang seinen Arm um meine Schultern, drückte mir einen Kuss auf den Scheitel und seufzte leise. Ich lehnte mich an ihn.

„Keine Sorge, das bisschen kalte Wasser haut mich nicht gleich um." Pause. „Danke übrigens."

„Wofür?", nuschelte ich – die Müdigkeit hatte mich wieder eingeholt. Das passierte mir immer beim Segeln. Man könnte es schon als Pawlowschen Reflex bezeichnen: Ich sah ein Segelboot und wurde müde.

„Dafür", ein Nicken, „dass, du mich mit diesem Ausflug überrascht hast."

„Schön, dass es dir gefällt. Ich hatte anfangs Bedenken, ob du dich nicht langweilst, wenn wir nur segeln gehen", murmelte ich an seine Schulter.
„Macht es dir was aus, wenn ich noch ein wenig Schlaf nachhole? Ich bin echt kaputt."

„Anstrengende Nacht, was?"
Sein lockerer Tonfall und das unterdrückte Lachen ließen mich ihn in die Seite stoßen.

„Ich werde mich revanchieren, keine Sorge. Du wirst bettelnd vor mir am Boden knien und dir wünschen, du hättest nie damit angefangen", kicherte ich leise und schob meine kalten Füße ebenfalls unter die Decke.

„Ich bitte darum", war alles, was ich zur Antwort bekam. Mit einem Lächeln, weil er dieselbe Phrase verwendete, die ich ihm vor zwei Tagen an den Kopf geworfen hatte, schlummerte ich ein.

DahoamWo Geschichten leben. Entdecke jetzt