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Nach diesem ersten, anstrengenden Arbeitstag gönnte ich mir daheim erstmal ein heißes Schaumbad, nachdem ich meine beiden Katzen begrüßt und gefüttert hatte. Die Reisetaschen standen noch immer (ungeöffnet) neben der Badezimmer Türe, doch auch jetzt konnte ich mich nicht aufraffen, diese zu entpacken. Ich suchte auf meinem Handy nach passender Musik (es wurde Hans Zimmer), ließ mich in das dampfende Wasser gleiten und schloss genussvoll die Augen. Die Trommeln und Streicher von The Dark Knight verursachten mir selbst in dieser Hitze eine Gänsehaut und beförderten mich innerhalb von wenigen Augenblicken in die Welt der Träume. Das vorletzte Lied des Albums riss mich aus dem unruhigen Schlaf und zitternd stellte ich fest, dass die Wassertemperatur mittlerweile alles andere als angenehm war. In meinen Bademantel gewickelt schlurfte ich in die Küche, bereitete mir Tee zu und begab mich danach auf die Couch.
Ich hing meinen Gedanken nach und ließ den gestrigen Nachmittag Revue passieren:
Nachdem ich unsere Sachen gepackt und im Auto verstaut hatte, waren wir auch schon aufgebrochen. Die ganze Fahrt war sehr still verlaufen, mir war nicht wirklich nach Reden gewesen und meine Großmutter hatte das Feingefühl, mich nicht auf die letzten Stunden anzusprechen. Nur mein blaues Auge hatte sie erschreckt und ich musste ihr mehrmals versichern, dass es nicht Till gewesen war, der mir das verabreicht hatte – ich blieb stur bei meiner Ausrede.
Am späten Nachtmittag (und nach zwei kurzen Pausen an Raststationen) waren wir endlich daheim angekommen und es hatte mich in den Fingern gejuckt, Till eine Nachricht zu schreiben, ob sie auch gut angekommen waren. Einige Zeit hatte ich mit mir selbst gehadert, ließ es schlussendlich aber dann doch bleiben. Schließlich hätte er genauso gut schreiben können, tat es aber nicht. Ich musste das ganze wirklich als Urlaubsflirt abhaken, so weh es mir auch tat. Um mich abzulenken hatte ich meinen Fellnasen neues Spielzeug aus meinem „Katzenspielzeugvorratsschrank" geholt und den beiden zugesehen, wie sie damit die Wohnung unsicher machten.

Das Vibrieren des Handys riss mich aus den Träumereien: meine beste Freundin rief an! Mit einem Lächeln auf den Lippen nahm ich das Telefonat entgegen.

„Tanja, wie schön, endlich wieder von dir zu hören!"
Ich freute mich riesig, endlich mal wieder mit ihr reden zu können, denn durch ihre Hundezucht war sie die meiste Zeit schwer beschäftigt.

„Hallihallo Urlauberin! Wie geht's, wie steht's? Wie war Bayern? Und vor allem: was wolltest du mir denn erzählen? Deine Nachricht klang ja richtig kryptisch!"

Ich vernahm ihr vertrautes Lachen. Ach ja, die Nachricht – die hatte ich schon fast wieder vergessen.
Aber im Gegensatz zu Martin konnte ich Tanja alles erzählen, sie war immer unvoreingenommen und ehrlich und das Wichtigste: sie konnte Geheimnisse für sich behalten!

„Ach Tanja, wenn du wüsstest...das war der Urlaub meines Lebens!", ich seufzte auf.

„Jetzt mach es doch nicht so spannend! Du hast wen kennengelernt, stimmts?"

Ein Lachen entkam mir.
„Dir kann ich auch gar nichts vormachen, was? Aber ja, ich habe jemanden kennengelernt. Und das ist auch schon der Knackpunk. Es ist nicht IRGENDJEMAND."

„Wie meinst du das?", Tanja klang verwirrt.

„Rammstein ist dir doch ein Begriff, oder?"

„Als Band, ja, aber wenn du mich jetzt nach gewissen Liedern fragst, muss ich passen. Das ist nicht meine Musik."

„Weiß ich doch. Hast du ein Bild von dem Sänger der Band im Kopf?"

„War das nicht der mit dem Dildo auf der Bühne?", sie klang verunsichert.

Wunderbar, von alles Möglichkeiten musste sie ausgerechnet das Bild zu „Bück dich" in Erinnerung haben. Ein weiteres Seufzen meinerseits.

„Ja, genau der ist es."
Ich ließ das mal so im Raum stehen. Kurze Zeit war es still am anderen Ende.

„Der ist was?"

„Tanja, ich habe den Sänger von Rammstein im Urlaub kennen gelernt. Till Lindemann."

„Du verarscht mich doch?!"

„Nein, keineswegs. Ich kann es selbst nicht wirklich glauben, das war ein wirklich komischer Zufall."

Und so erzählte ich ihr von dem Urlaub, von Till, von unseren gemeinsamen Stunden (ohne allerdings zu sehr ins Detail zu gehen) und von dem gestrigen Abschied. Tanja wollte alles ganz genau wissen.

„Und nun? Wie seid ihr verblieben? Trefft ihr euch mal oder schreibt ihr euch?", ihre Neugierde war geweckt.

„Ehrlich gesagt, keine Ahnung. Er hat gestern beim Abschied nur kurz was zu mir gesagt, mich geküsst und war weg. Er hat bis jetzt nicht geschrieben, ich ihm aber auch nicht. Einerseits würde ich ihn schon gerne wiedersehen, andererseits...ich weiß auch nicht. Ich will nicht wie ein verknallter Teenager wirken, wenn ich ihm jetzt schreibe. Wie sieht das denn aus?"

„Was hat er denn beim Abschied zu dir gesagt?"

„Ähm...irgendwas musste ich ihm versprechen. Scheiße, ich hab's vergessen!", meine Stimme brach weg.

Wie konnte ich seine letzten Worte an mich vergessen? WIE?

„Ok, Giulia, beruhig dich, es wird dir schon wieder einfallen. Und die Entscheidung, ob du ihm schreiben sollst oder nicht, kann ich dir zwar nicht abnehmen, aber wenn ich in deiner Situation wäre, würde ich das tun. Mehr als das du keine Antwort bekommst, kann ja nicht passieren. Dann weißt du zumindest Bescheid. Hat er dir irgendwann gesagt, dass er auf keinen Fall Kontakt halten will?"

Ich dachte kurz nach. Mir fiel dazu nichts ein.
„Nein, könnte mich nicht erinnern, aber ich vergesse ja gerade offensichtlich alles", gab ich zerknirscht als Antwort.
„Er hat allerdings seine Nummer in mein Handy eingespeichert, als ich es bei ihm liegen lassen habe..."

„Na siehst du? Warum sollte das jemand machen, wenn er nicht wollen würde, dass du dich bei ihm meldest?", hakte Tanja nach und ihr Lächeln konnte ich sogar durchs Telefon hören.

„Tanja, dein Grinsen kann ich bis hier hören!", lachte ich, „aber du hast Recht, ich werde ihm schreiben. Danke!"

„Nichts zu danken, und halt mich am Laufenden, ja?"

„Natürlich!"

Wir verabschiedeten uns voneinander, versprachen, bald ein Treffen zu vereinbaren und beendeten schließlich das Telefonat.

Die nächsten drei Tage verbrachte ich im Geschäft bei Martin, und boten mir eine gelungene Abwechslung von meinem innerlichen Gefühlschaos. Obwohl ich zu Tanja gesagt hatte, dass ich Till schreiben wolle, hatte ich es bis jetzt nicht über mich gebracht. Immer wieder verfasste ich abends einen Text und war kurz davor, ihn abzuschicken, dann überlegte ich es mir doch anders und löschte das Geschriebene wieder.

Freitags war ein Fotoshooting bei einem Hundezüchter anberaumt, das den Großteil des Tages dauern würde. Zuerst sollten die neuen Welpen für die Homepage fotografiert werden, anschließend der Deckrüde und die beiden Hündinnen der zukünftigen Würfe und zum Abschluss sollten noch einige Actionbilder beim Dummytraining entstehen.
Der Tag verlief auch überraschenderweise nach Plan, was man bei Shootings mit Tieren ja nie wirklich vorhersehen konnte. Die Bilder waren im Kasten und am frühen Nachmittag machte ich mich schließlich auf den Heimweg.
In meiner Wohnung angekommen, fielen mir wieder die Reisetaschen ins Auge, die nach wie vor unberührt neben der Badezimmertüre standen. Ich drehte erst mal meinen PC auf, schloss die Kamera an und kopierte die heutigen Fotos hinüber.
Dann schnappte ich mir die erste Tasche, leerte sie und schmiss die schmutzige Wäsche in die Waschmaschine, der Rest wurde im Badezimmer verstaut. Fehlte noch die zweite, kleinere Tasche. Diese öffnete ich genauso und als erstes fiel mein Blick auf Alexander Krützfeldt's Buch „Letzte Wünsche" – das hatte ich total vergessen! Ich nahm es vorsichtig in die Hand, blätterte es durch, als plötzlich ein kleiner, gefalteter Zettel aus dem Buch zu Boden fiel.


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