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Wir hatten uns in dem angrenzenden Gastraum bei der Bäckerei in eine Ecke verzogen und genossen das Frühstück: gekochte Eier, Gebäck, Schinken und Kaffee für Till und Heiße Schokolade und einen Toast Deluxe für mich. Letzterer bestand aus doppelt getoastetem Weißbrot mit Hühnerfiletstreifen, Speck, Ei und Rucola. Den amüsierten Blick von Till überging ich gekonnt.

„Sowas geht bei dir als Frühstück durch?"

Ich zuckte nur mit den Schultern und antwortete trocken: „Nach der ganzen Vögelei brauche ich ein paar Kalorien."

Er besah sich seinen Teller, setzte eine traurige Miene auf und seufzte.
„Stimmt, da muss ich noch nachlegen – nachdem du ja nachher auch noch auf eine Fortsetzung bestehst..."

Wir sahen uns kurz an und brachen dann in schallendes Gelächter aus, sodass sich einige der Gäste verwundert in unsere Richtung umdrehten. Als wir uns soweit beruhigt hatten und Till sich gerade wieder seinem restlichen Essen widmen wollte, klingelte sein Handy.

„Stört es dich, wenn ich abhebe? Es ist Scholle", vergewisserte er sich.

„Nein, mach mal, ich bin hier eh noch beschäftigt", und deutete auf den Toast.

Till lehnte sich zurück und tippte auf das Display.
„Scholle, was gibt's?"

Ich hatte mir unterdessen aus dem Zeitschriftenständer die heutige Tageszeitung geangelt und lauschte nur mit einem Ohr dem Gespräch. Es ging mich ja auch nichts an, was die beiden zu besprechen hatten. Dummerweise war besagte Zeitung intellektuell nicht übermäßig fordernd und spätestens, als ich bei der Klatsch & Tratsch Rubrik angekommen war, war das Lauschen des Telefonats bei weitem interessanter als das Lesen. Tills Tonfall hatte einen gelangweilten Ton angenommen.

„Ja, und? Wen interessiert das denn? Dann wird morgen auch wieder irgendwer ein Foto machen, wenn ich dort in den Flieger steige. Ist doch ein alter Hut. Außerdem..."

Doch der Rest ging in einem gewaltigen Hustenanfall meinerseits unter. Ich hatte durch die Klatschseiten geblättert, als mir plötzlich ein Bild von Till in die Augen gesprungen war und ich mich an meinem Kakao verschluckt hatte. Dazu ein nahezu reißerischer Titel: Till Lindemann – Rammstein Konzert vor Absage? Hat er eine Neue in Österreich? Das Foto war etwas unscharf, allerdings war er alleine zu sehen, wie er mit seiner Tasche vom Flieger in ein Taxi stieg. Dem Hintergrund nach meinte ich den Flugplatz in Bad Vöslau zu erkennen. Hustend stützte ich mich am Tisch ab.

„Warte mal, Scholle, hier erstickt mir gerade jemand..."
Er warf mir einen beunruhigten Blick zu und klopfte mir ein paar Mal kräftig auf den Rücken.
„Besser?", flüsterte er mir zu.

War es tatsächlich. Räuspernd und die Hand vor dem Mund deutete ich nur auf die Zeitung vor mir. Till nahm sie entgegen, drehte sie und überflog den Artikel, dann widmete er sich wieder seinem Gespräch.
„Ach, wie's der Zufall so will, halte ich gerade den neuesten Klatsch und Tratsch in Händen. Hast du gewusst, dass ich in Österreich eine Neue habe?", dabei zwinkerte er mir verschwörerisch zu, „Scholle, du bist wirklich nicht auf dem neuesten Stand. Wenn es doch hier in der Zeitung steht, wart mal..."
Er fotografierte den Artikel ab und leitete ihn weiter.
„Da, kannst dir die geistigen Ergüsse selbst durchlesen. Wer weiß, vielleicht gibt's ja morgen die nächste Schlagzeile."

Gebannt hörte ich nun den beiden zu und wechselte immer wieder einen belustigten Blick mit Till. Offenbar unterhielten sie sich über einige Details für das morgige Konzert und schließlich auch über den Flug nach Trondheim.

„Wann hat das Management den Jet gebucht? – Ah, ok, das ist ja eine halbwegs menschliche Zeit. Gut, Scholle, ist noch irgendwas Wichtiges? Eigentlich störst du gerade beim Frühstück..."

Aus dem Grinsen aus Tills Gesicht konnte ich lesen, dass Richard wohl neugierig war, mit wem Till hier genau seine Zeit verbrachte. Doch er ließ ihn zappeln.

„Geht dich nichts an, Scholle, ich sag's dir jetzt zum letzten Mal. Wirst du...", er brach mitten im Satz ab.

Ich fuchtelte vor ihm herum um ihm zu verstehen zu geben, dass ich das Handy haben wollte. Till zog erstaunt die gepiercte Augenbraue nach oben, grinste noch amüsierter und hielt mir dann das Telefon hin, nachdem er sich von Richard mit den Worten verabschiedet hatte: „Ich reiche dich mal weiter!"

Mich muss wohl der Teufel geritten haben, doch das ziehe ich jetzt durch!

„Guten Morgen, Hr. Kruspe! Hier ist der Grund, dass Till momentan in Österreich weilt. Morgen haben Sie ihn wieder, gesund und munter. Wobei ich für letzteres nicht garantieren kann!"
Ich musste mich zusammenreißen, um nicht laut los zu lachen, vor allem, nachdem ich Till angesehen hatte.
Ohne ein weiteres Wort oder auf die Stille am anderen Ende der Leitung einzugehen gab ich das Handy wieder an seinen Besitzer zurück und presste die Hand auf dem Mund, um das Prusten zu unterdrücken.

„Da hast du's, Scholle. Bis morgen!", und ohne ein weiteres Wort der Verabschiedung beendete er das Gespräch.
„Du bist ein böses, böses Mädchen", raunte er mir leise lachend zu und gab mir einen flüchtigen Kuss.

„Hat er noch was gesagt?", kicherte ich.

„Nein. Du hast ihn überrascht. Sprachlos ist er sonst selten. Vielleicht sollte ich dich mal zu unseren Proben mitnehmen, wenn du es dann auch schaffst, dass er nichts mehr sagt, knie ich vor dir, ich versprech's!"

Der war einfach viel zu aufgelegt, um ihn nicht zu bringen...

„Mein Süßer, du wirst heute noch vor mir knien, das verspreche ich dir!", flüsterte ich ihm, über den Tisch gebeugt, zu.

Till schloss kurz die Augen und ließ seine Hand unter dem Tisch mein Knie hinauf wandern, bis ich sie stoppte und fest hielt. Er lehnte sich zu mir herüber und knurrte mir ins Ohr.
„Ist das eine Drohung oder ein Versprechen?"

„Vielleicht beides", hauchte ich in sein Ohr. Sein Atem kitzelte an meinem Hals. Wenn er so weiter machte, würde ich mich selbst hier in der Öffentlichkeit vergessen. Ich lehnte mich zurück und blickte in seine Augen. Darin spiegelte sich unverhohlenes Verlangen.
„Komm, lass uns zahlen und hier abhauen. Du hattest deine kleine Pause und dein Frühstück, und ich will meine dritte Runde!", neckte ich ihn. Das süffisante Grinsen in seinem Gesicht ließ mich innehalten und ich sah ihn fragend an.

„Ja zum Zahlen und zum Abhauen, aber Nein zur dritten Runde."

Hatte ich mich gerade verhört?

Diesmal war ich es, die erstaunt die Augenbrauen in die Höhe zog.

„Ich dachte da zuerst noch an einen Besuch bei deiner Großmutter – falls sie daheim ist. Was hältst du davon?"

Ich lachte auf.
„Gute Idee. Ich frage mal schnell nach."

Das Telefonat war schnell geführt, meine Oma hatte Zeit und freute sich auf uns. Till beschloss, noch ein Stück Cremeschnitte, Linzer Torte und Punschkrapfen mitzunehmen, um sie zu überraschen. Wir zahlten, verließen das Kaffee und machten uns auf den Weg.
Gemächlich schlenderten wir die Strecke zum Auto zurück, das ich neben einer Brücke geparkt hatte. Neben uns rauschte der Fluss wild in seinem Bett. Till betrachtete den Strom.

„Ganz schön voll. Habt ihr hier keine Probleme mit Hochwasser?"

„Selten. Hier ist die Böschung ja relativ hoch, und weiter hinten im bebauten Gebiet wurden Überlaufbecken angelegt. Früher war auch nicht durchgehend so viel Wasser drinnen, maximal in der Schneeschmelze oder bei starken Regenfällen. Da wurde viel in kleinere Kanäle abgeleitet und damit auch Kraftwerke betrieben. Nachdem die aber gesperrt wurden, läuft seitdem alles hier durch. Im Volksschulalter bin ich mit Freunden oft da unten schwimmen gewesen, aber jetzt wäre das lebensgefährlich. Wieso fragst du?"

„Nur so. Hat mich irgendwie ein wenig an Kanada erinnert."

„Yukon?"

Ein Nicken.

„Das würde ich auch gerne mal machen. Zwei oder drei Wochen den Yukon hinunter paddeln, zelten, fischen und jagen...", seufzte ich verträumt.

Till nahm mich an der Hand und lächelte.
„Lässt sich nach der Tour sicher mal einrichten."

Ich strahlte ihn an.

DahoamWo Geschichten leben. Entdecke jetzt