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Meine Gedanken rasten und mit jedem Schritt wurde ich wütender. Was bildete er sich eigentlich ein, gleich auszurasten und herum zu schreien? In einer inneren Diskussion versunken donnerte ich den Zuckerstreuer auf den Tisch, was mir im selben Moment leidtat und mich auch etwas peinlich berührt dastehen ließ, da der dumpfe Laut durch den ganzen Raum hallte.

Demonstrativ setzte ich mich nun mit dem Rücken den Lindemanns zugewandt, an den Tisch. Meine Oma hatte den Krach vorhin natürlich mitbekommen und sah mich nun interessiert an.

„Ist alles in Ordnung? Was war denn los?"

„Ach, kleines Missverständnis, nichts weiter", murmelte ich.

„Kennst du die beiden denn?", wollte sie nun wissen und griff nach dem Zucker, um ihren Kaffee zu süßen

Lustlos stocherte ich in meinem Biskuit.

„Nein." Pause. „Kannst du dich noch an das eine Bild von dem Sänger erinnern, dass ich dir nach dem Rammstein Konzert gezeigt habe?"

Ein verwirrter Blick.

Ich kramte mein Handy hervor, scrollte durch die Bildergalerie und als ich besagtes Foto von einem ca. 40-Jährigen Till Lindemann in voller Konzertmontur gefunden hatte, hielt ich ihr das Handy hin.

„Ach, der Fesche. Ich kann mich erinnern. Und was ist damit?"

Mit einem Kopfnicken hinter mich und die Stimme noch mehr gesenkt, antworte ich: „Der Typ da hinten, der vorhin so rumgeplärrt hat, DAS ist der Sänger von Rammstein. Der Mann von dem Bild!"

Unverständnis machte sich auf ihrem Gesicht breit.

„Aber, wenn er so berühmt ist, kann er sich doch nicht so benehmen? Man schreit doch nicht in aller Öffentlichkeit so rum!"

Ich zuckte nur mit dem Schultern. Mir war die Lust auf die Mehlspeise und den Kakao vergangen, es ärgerte mich immer noch. Wie kann einem jemand, den man nicht mal persönlich kennt, so den Tag vermiesen?

Ich entschuldigte mich kurz, stand auf und durchquerte schnell den Raum um draußen frische Luft zu schnappen. Im Hinausgehen war mir, als spürte ich Blicke auf mir...Egal, nichts wie weg.
Vor der Türe wandte ich mich erstmal nach rechts, um ums Hotel herum zu gehen und mich neben der Terrassenabsperrung an den Holzzaun zu lehnen. Von hier hatte man einen schönen Ausblick auf die umliegenden Hügel und Felder und das weiter entfernte Wildgehege unten in der Senke.

Was würde ich jetzt für eine Zigarette geben! Blöd nur, dass ich vor drei Jahren mit dem Rauchen aufgehört hatte, dennoch holte mich in gewissen Situationen dieses Verlangen immer wieder ein.
In Gedanken steckte ich mir trotzdem eine an und genoss die Gänsehaut, die sich Macht der Gedanken (oder wegen der kühler werdenden Brise - wahrscheinlich eher letzteres) auf meinem Körper ausbreitete.

In Gedanken versunken beobachtete ich die Gegend, genoss die Sonne und hörte erst viel zu spät den Schotter knirschen, was darauf hindeutete, dass ich gleich Gesellschaft bekommen sollte.

Ein genervtes „Geh bitte... echt jetzt?" kam über meine Lippen und ich verdrehte die Augen.
Durfte ich nicht einmal hier meine Ruhe haben? Offenbar hatte ich lauter gesprochen als gedacht, denn die Schritte stoppten in einigem Abstand hinter mir. Ich lehnte weiter am Zaun und beachtete die Person hinter mir nicht weiter. Meine Großmutter konnte es schon anhand des Schrittklanges nicht sein, somit uninteressant.

„Zigarette?" Die tiefe Stimme Tills ließ mich innerlich zusammenzucken, aber ich schaffte es, betont lässig zu bleiben und drehte mich nicht einmal um.

„Nein, danke!"
Den Teufel werde ich tun, und es dir so einfach machen, schoss es mir durch den Kopf.

Ein Feuerzeug klickte und ich hörte ihn den ersten Zug der Zigarette genüsslich inhalieren. Ein Schritt... Noch ein Schritt... der Kies knirschte unter seinem Gewicht und schließlich musste er schräg hinter mir stehen aber ich blieb stur und starrte nur geradeaus. Ich spürte seinen Blick auf meinem Rücken und roch den Tabak.

Ein Räuspern.

„Ich wollte mich für vorhin entschuldigen - das war unangebracht." Stille.

„Aha...", war alles, was ich von mir gab.

Wieder Schweigen, das nur von seinem Inhalieren und Ausatmen des Rauches unterbrochen wurde.

„Ich habe noch immer keine Entschuldigung gehört", stieß ich hervor und drehte mich endlich um. Und da war sie wieder, meine Schlagfertigkeit, die ich vorhin so schmerzlich vermisst hatte.

Damit hatte Till offensichtlich nicht gerechnet, denn er musste kurz husten, da er sich offenbar am Rauch verschluckt hatte, und musterte mich überrascht.

„Wie...?"

„Du sagtest ich wollte mich entschuldigen aber gehört habe ich davon noch nichts."
Er hatte mir zwar nicht das Du-Wort angeboten, aber es war mir egal – ich war sauer!
Eins zu null für die Kleine mit den Tattoos.

Dieser Gesichtsausdruck! Mein inneres Fangirl hatte ich vorsichtshalber in Ketten gelegt und weit, weit weggesperrt, sonst wäre ich sicher schon eingeknickt. Nach wie vor stand ich mit hochgezogenen Augenbrauen da und wartete auf seine Reaktion.

Ein kleines Grinsen huschte für den Bruchteil einer Sekunde über seine Lippen. Er dämpfte die Zigarette aus, schaute mich dann wieder ernst an und räusperte sich leise.

„Ich entschuldige mich für diesen Ausraster vorhin. Das war äußerst unangebracht."
Er hielt mir seine Hand hin. Ich nahm sie und schüttelte sie kurz.

„Till."

„Giulia."

Sein Blick blieb kurz an dem leider nur mehr zu einem Drittel verdeckten Rammstein Tattoo hängen aber er hatte sich eindeutig unter Kontrolle, denn er verzog keine Miene und schaute mich jetzt wieder direkt an.

„Giulia, ich würde dich heute Abend gerne zum Essen einladen. Als Wiedergutmachung, sozusagen."

Mit allem hätte ich gerechnet, aber nicht mit sowas - und dann rutschte mir nur ein Satz heraus, der meinem inneren Fangirl einen Herzinfarkt verpasste: „Ich bin heute Abend schon verabredet, tut mir leid!"

Eine Essenseinladung von Till Lindemann ausschlagen, macht man das? War das jetzt dumm? Oder dümmer? Nach dem anfänglichen Schock, dass ich das wirklich laut ausgesprochen hatte, konnte ich mir ein Grinsen nicht verkneifen.

„Aber NACH meiner Verabredung hätte ich Zeit für ein oder zwei Getränke in einer Bar."
Fangirl reanimiert.

Auf Till's Gesicht machte sich ein Lächeln breit und seine blauen Augen blitzten auf.

„Das freut mich! Ist 21:00 Uhr für dich in Ordnung? Dann würde ich vorschlagen, wir treffen uns hier in der Hotelbar."

„21:00 Uhr sollte ich schaffen", antwortete ich und schmunzelte.

„Dann darf ich die Dame noch zurück an ihren Tisch begleiten?"
Er hielt mir seinen Arm hin. Einen Moment zögerte ich, schließlich war er trotz alldem ein Fremder.

Ach was soll's, dachte ich und hakte mich bei ihm unter und so führte er mich zurück in Richtung der Gaststube. Bevor wir allerdings das Zimmer betraten, löste ich mich von ihm.

„Bis später", nuschelte ich nur und ließ einen etwas verdutzten Till Lindemann im Foyer zurück während ich zurück zum Tisch und meiner Oma ging.
Ich sollte mir das mit dem Shoppen gehen vielleicht doch noch überlegen.


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