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21:08 Uhr

Verdammt, das mit der deutschen Pünktlichkeit bekomme ich als Österreicher einfach nicht hin.
Ich hielt etwas ruppig auf dem Schotterparkplatz des Hotels an und wirbelte eine ordentliche Staubwolke auf.
Großartig...ganz toll, hoffentlich hat das niemand gesehen!
Ein letzter Check im Spiegel, dann stieg ich aus und atmete ein paar Mal tief durch.
Was mache ich eigentlich hier? Schoss es mir durch den Kopf.
Ich stand mit dem Rücken zu meinem Wagen und musterte das nun beleuchtete Gebäude. Zum gefühlt hundertsten Mal wischte ich mir die schweißnassen Hände an meiner Hose ab.

„Gut, jetzt stell dich nicht so an! Du bist eh schon zu spät, jetzt geh da rein und genieße den Abend! Wie viele Menschen haben denn schon das verdammte Glück, von Till Lindemann eingeladen zu werden?", sprach ich mir selbst Mut zu.

Was gäbe ich jetzt für eine Zigarette...!
Ich schnaubte, verwarf den Gedanken sogleich und marschierte zum Eingang.

Die Hotelbar befand sich gleich neben der Rezeption – nichts Aufregendes: ein kleiner Tresen mit acht Barhockern, die alle LEER waren. Soviel zu meiner Sorge, ich wäre zu spät dran.
Ich sah mich um und konnte aber niemanden entdecken.

Etwas unschlüssig machte ich ein paar Schritte Richtung Rezeption, wo ich im Büro dahinter die Kellnerin von heute Nachmittag erspähte.

„Entschuldigung? Ich bin hier mit jemanden verabredet. War er schon hier?" fragte ich nach.

„Servus, nein, es war noch niemand hier. Die Bar hat heute aber auch nicht geöffnet", sie runzelte die Stirn.

„Oh, ok. Das wusste ich nicht. Danke!" wunderte ich mich und überlegte gerade, wieder nach draußen zu gehen.

Schwungvoll drehte ich mich um und rannte in eine Wand - eine menschliche Wand. Till.

„Na hallo hübsches Fräulein, wohin so schnell?", lachte er und fing mich auf. Er sah gut aus: Schwarze Hose, schwarzes T-Shirt mit einem Totenkopf und darüber ein schwarzes Sakko mit zwei goldenen Broschen.

Die Röte schoss mir ins Gesicht.

„Hoppla...äh, sorry...!"

Till lachte nun noch lauter, legte seinen Arm um meine Taille und bugsierte mich zur Bar. Zur Kellnerin gewandt sprach er: "Würden Sie uns bitte was zu Trinken bringen? Ein Bierchen für mich und für die Dame...?", fragend blickte er mich an.

„Hm, einen Sex On The Beach, bitte."

Schmunzelnd zog Till eine Augenbraue hoch, unterließ es jedoch, meine Bestellung zu kommentieren. Die Kellnerin nickte und verschwand hinter der Bar, um unsere Getränke zuzubereiten.

Wir nahmen am Tresen Platz.
Ich versuchte, meine Gesichtsfarbe wieder halbwegs unter Kontrolle zu bringen. Peinlicher konnte der Abend ja nicht starten.

„So, der Name Lindemann öffnet also Tür und Tor...oder in diesem Fall die Bar", grinste ich ihn an.

Till zwinkerte mir zu. „Manchmal..."

Er musterte mich. Sein Blick wanderte von den Tattoos zu meinem Ausschnitt, doch die Begutachtung wurde durch die Ankunft unserer Getränke unterbrochen. Die Kellnerin brachte Bier und Cocktail und stellte ein Schälchen mit Nüssen hin.

„Prost!" Ich nahm einen großen Schluck - nicht schlecht! Der Alkohol beruhigte meine Nerven. Normalerweise mied ich solche Getränke - Alkohol generell - weil ich einfach nichts vertrage, aber heute machte ich mal eine Ausnahme.

Till prostete mir zu, nahm auch einen Schluck und sah dann wieder zu mir.

„Ich habe schon gedacht, du versetzt mich", schmunzelte er über sein Bier hinweg. Seine Augen fixierten mich. Ein komisches Gefühl.

„Quatsch! Wenn ich schon eingeladen werde und dann noch von Till Lindemann persönlich, werde ich doch nicht einfach absagen. Dass mit der Verspätung tut mir leid!"

„Kein Problem. Wegen heute Nachmittag", ein Räuspern, „es tut mir wirklich leid. Ich verbringe mit meiner Mutter hier ein paar Tage und manchmal ist es wirklich lästig... ."

Ich fiel ihm ins Wort: „Ist schon ok. Ich kann mir schon vorstellen wie "leiwand" das sein muss, wenn man seine Ruhe haben will und irgendwelche Leute einen dauernd anquatschen. Ich würde nicht mit dir tauschen wollen, nicht für alles Geld der Welt."
Noch ein Schluck vom Cocktail, ich zwinkerte ihm zu: „Aber lass die Leute das nächste Mal zumindest ausreden."

Ein Lächeln umspielte Tills Lippen.
„Nicht für alles Geld der Welt? Da wärst du aber die Erste, die das behauptet."
Drei Schlucke, und der Bierkrug war leer. Er orderte ein Weiteres.

Ich sah ihm in die Augen.
„Weißt du, ich bin nicht wirklich ein Menschenfreund, wenn du verstehst, was ich meine."

Ein fragender Ausdruck trat in sein Gesicht.

„Ich bin gerne allein, gehe alleine jagen oder verbringe die Nächte draußen im Wald, ich vermeide Menschenmassen so gut es eben geht. Außer bei Konzerten, die ich unbedingt sehen will, da muss ich dann halt durch. Aber das Wichtigste: ich habe meine vier Wände wieder für mich allein."
Ich schlürfte den letzten Rest des Cocktails aus dem Glas und begann, mit dem Strohhalm zu spielen. Der Alkohol zeigte langsam Wirkung. Ich grinste dämlich in Tills Richtung.

„Das waren jetzt viele ALLEIN. Aber so bin ich halt."

Ich signalisierte der Kellnerin, dass ich nochmal so einen Cocktail haben wollte.

„Soso, die Dame ist gerne alleine... Und trotzdem sitzt du jetzt hier mit mir." Es war keine Frage.
Seine Stimme war leiser und dunkler als vorhin. Er beobachtete mich ganz genau. Ich konnte diesen Mann nicht einordnen. Die Tonart rief ein eigenartiges Gefühl in mir hervor. Flirtete er mit mir? War das nur eine Einladung, um mich ins Bett zu kriegen? War ich hier die Beute, die es zu erlegen galt?

Na das wollen wir doch mal sehen, wer hier die Beute ist und beschloss, aufs Ganze zu gehen. Wenn er spielen will, dann spielen wir... Aber nach meinen Regeln.

Ich nahm meinen frischen Cocktail entgegen, sah Till in die Augen, nahm den Strohhalm langsam in den Mund und saugte ein paar Schlucke von dem köstlichen Getränk in meinen Mund. Ich genoss den Anblick, der sich mir bot: offenbar hatte er damit nicht gerechnet und starrte mich kurz fassungslos an, bevor er sich wieder gefangen hatte.

„Tja, ich sagte, ich bin gerne allein aber manchmal ist es zu zweit auch ganz nett... ."
Ich ließ das mal so im Raum stehen und lächelte unschuldig. Der Alkohol vernebelte mir ganz schön den Kopf. Ich würde dann auf Wasser oder Cola umsteigen müssen.

Er drehte sich am Hocker in meine Richtung, lehnte sich mehr gegen den Tresen. Sein Knie berührte meinen Oberschenkel. Die linke Hand hielt das halbvolle Bierglas, die rechte zupfte an der Kette, die an seiner Hose hing.

„Erzähl' mir mehr von dir," forderte er mich auf.

„Was möchtest du denn wissen?", ich konnte mir das Grinsen nicht verkneifen.

„Alles!"


DahoamWo Geschichten leben. Entdecke jetzt