Die zugesagte Stunde konnte ich natürlich nicht einhalten. Mit einiger Verspätung traf ich bei Omas und meiner Unterkunft ein.
„Weißt du eigentlich, wie spät es ist?" Sie war sauer.
Ehrlich gesagt, hatte ich nicht die geringste Ahnung – es war mir auch egal.
„Nein...?" war die wahrheitsgemäße Antwort.
„Wir sollen um 11:00 Uhr in Aibling sein, es ist bereits 20 vor 11:00! Wie glaubst du..."
Ich unterbrach sie: „Ist doch kein Problem, wir brauchen ja nur 15 Minuten hin, wenn überhaupt. Du bist ja eh schon fertig, dann fahren wir! Ich ziehe mir nur schnell ein frisches T-Shirt an."
Ich überreichte ihr die Autoschlüssel.
„Du kannst dich schon mal rein setzen. Bin gleich da.", und sauste die Treppe hoch in mein Zimmer, um mich umzuziehen.Kurze Zeit später sprintete ich zu meinem Wagen, meine Großmutter wartete bereits ungeduldig auf mich. In den frischen Klamotten fühlte ich mich gleich besser. Sicherheitshalber hatte ich mir auch einen Schal übergeworfen, damit der Knutschfleck nicht sofort auffiel.
Danke Till!
Die ersten Minuten verliefen schweigend und ich war froh darüber. Ich wollte die letzten Stunden noch nicht Revue passieren lassen – und was sollte ich meiner Oma davon erzählen? Eine jugendfreie Variante à la wir haben die ganze Nacht geredet und getrunken und ich durfte dann auf der Couch schlafen? Würde sie mir nicht glauben.
„Na erzähl mal, wie lief der Abend gestern? Wo wart ihr?"
Oh Mann, bitte nicht...
„Hm, war ganz nett.", nuschelte ich.
„Aha. Für ganz nett warst du aber lange weg."
Bitte, bitte, bitte lass mich jetzt nicht rot werden.
„Omaaaa," ein genervtes Ausatmen, „wir haben gequatscht und ich habe getrunken – viel getrunken. Was ich ja eigentlich nicht mache. Und offenbar war ich so betrunken, dass ich nicht mehr viel mitbekommen habe, und dann auf der Couch munter geworden bin." Bitte frag jetzt nicht nach, auf wessen Couch.
„Und ich möchte nicht drüber reden, weil ich mich im Moment dafür selbst nicht leiden kann, dass ich so gesoffen habe...". Ich hatte ein schlechtes Gewissen, dass ich meiner Oma diese Lüge auftischte, aber was sollte ich sagen? Nein, Oma, war ganz toll, wir haben die ganze Nacht gefickt?!„Solange du nicht betrunken Auto fährst, ist alles in Ordnung."
„Keine Sorge, das passiert nicht."
Die restliche Fahrt verlief ruhig. Wir holten ihre Schwester ab und machten uns auf den Weg in das kleine Café, das neben der Seniorenresidenz lag. Die beiden unterhielten sich angeregt, war doch schon einige Zeit vergangen, seit sie sich das letzte Mal getroffen hatten.
Ich hielt mich zurück und versuchte irgendwie, mir meine Kopfschmerzen nicht anmerken zu lassen.„Alles ok bei dir, Mädel? Du bist so ruhig.", Mimi musterte mich besorgt.
„Kopfschmerzen, war gestern fort. Party und so," murmelte ich.
„Ach, du bist ja noch jung", zwinkerte sie mir zu.
Wenn ich mich nur so fühlen würde...
Ich entschuldigte mich kurz – ein wenig frische Luft würde mir guttun – kramte in meiner Tasche nach meinem Handy. Wo hatte ich es nur hingelegt? Ich schnappte meinen Autoschlüssel, vielleicht war es dort.
Nachdem ich zum zweiten Mal mein Auto innen quasi auf den Kopf gestellt hatte, mein Handy allerdings noch immer nicht gefunden hatte, dämmerte es mir langsam.
Hatte ich es im Hotel liegen lassen? Ich hatte es in der Hand, als ich aus dem Bad raus bin, dann wurde ich von Till „abgelenkt". Und danach? Verdammt! Vor lauter schnell anziehen und abhauen ist es wohl irgendwo im Zimmer liegen geblieben.
Mir wurde heiß und kalt. Wenn er durch mein Handy schaute, musste er auch denken, dass ich der ärgste Groupie war.
Ich hatte ja eingangs schon erwähnt, dass ich ein großer Rammstein / Lindemann-Fan war. Dementsprechend waren in der Galerie meines Telefons ein paar Bilder von besagten Bands...und ihm. Scheiße!Was sollte ich machen? Im Hotel anrufen und fragen, ob ein Handy abgegeben wurde? Oder hinfahren und hoffen, dass ich ihm nochmal über den Weg laufen würde?
Ich entschied mich für ersteres und marschierte zurück ins Café, um mir Omas Handy zu leihen.
Meine Oma lächelte mich an, als sie mich erblickte.„Da bist du ja wieder! Dieser Herr Lindemann hat auf meinem Handy angerufen, ich dachte zuerst, du wärst das, weil ja deine Nummer angezeigt wurde. Hast du dein Telefon gestern verloren?"
Verwirrt sah ich sie an.
„Ähh, ja, ich...habe vorhin gerade erst bemerkt, dass es weg ist. Till hat dich angerufen?"
„Der klingt eh ganz nett. Er hat gemeint, dass er dein Handy an der Rezeption hinterlegt, falls du es gleich abholen möchtest. Oder du sollst am Abend vorbeischauen, dann ist er wieder im Hotel."
„Aha," ich überlegte kurz. Einerseits wäre es schon schön, ihn wieder zu sehen, aber vielleicht glaubt er, dass ich das Teil absichtlich habe liegen lassen, damit ich ihn nochmal sehen kann.
Wobei, dann hätte er wahrscheinlich nicht angerufen sondern es gleich im Hotel hinterlegt.„Oma, darf ich mir kurz dein Handy borgen? Ich muss eine Nachricht schreiben."
„Natürlich, Liebes. Hier!"
Ich suchte meinen Kontakt heraus und tippte folgenden Text:
Für Till, wenn du mich heute früh nicht abgelenkt hättest, dann wäre mein Handy jetzt bei mir ;) 20:00h ok?Gerade als ich die Nachricht wieder aus dem Speicher gelöscht hatte, kam die Antwort von meinem Handy beziehungsweise Till:
Ok :PGut, ich wollte mir gar nicht ausmalen, was er gerade mit meinem Telefon anstellte und so gab ich Oma ihres retour, bestellte mir noch einen Latte Macchiato und freute mich insgeheim auf heute Abend.
So saßen wir noch eine ganze Weile, lachten und tratschten.
Gegen 15:00 Uhr verabschiedeten wir uns von Mimi, begleiteten sie noch zurück in ihr Zimmer und Oma und ich machten uns auf den Heimweg.
Mitten in Bad Aibling erspähte ich beim Vorbeifahren ein Gewandgeschäft – grinsend suchte ich einen Parkplatz in der Nähe.„Warum hältst du hier an?", wollte meine Großmutter wissen.
„Ich möchte nur kurz dort hinten ins Geschäft schauen, kommst du mit?", fragte ich.
„Natürlich, vielleicht finde ich mir was."
Gesagt, getan.
Dreißig Minuten später verstauten wir unseren Einkauf im Auto – ich hatte zwei Blusen gefunden, eine smaragdgrün, die andere dunkelblau. Außerdem ein relativ günstiges Dirndl in hellblau und schwarz. Oma freute sich über eine neue Bluse plus dazu passenden Rock.
Euphorisch traten wir nun endgültig die Rückfahrt an. Und mein Bedarf an Shopping war für dieses Jahr endgültig gedeckt.Langsam bemerkte ich den Schlafmangel und sobald wir zurück bei Omas Neffen waren und sie mir versichert hatten, mich rechtzeitig zu wecken, entschuldigte ich mich und ließ mich in meinem Zimmer aufs Bett fallen. Es war kurz vor 17:00Uhr – ich hatte also noch zwei Stunden, um etwas Schlaf von letzter Nacht nachzuholen.

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Dahoam
أدب الهواةIn Gedanken versunken beobachtete ich die Gegend, genoss die Sonne und hörte erst viel zu spät den Schotter knirschen, was darauf hindeutete, dass ich gleich Gesellschaft bekommen sollte. Ein genervtes „Geh bitte... echt jetzt?" kam über meine Lippe...