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Ich ließ Till den Vortritt ins Bad, denn in der Zwischenzeit wollte ich das leider notwendige Gespräch mit meinem Chef führen, wenn möglich ungestört. Mit dem Handy am Ohr lehnte ich an der Balkontüre und sah dem Regen zu, der unaufhörlich auf das Glasdach der Loggia prasselte.

„Hallo?", meldete sich Martin, er klang gehetzt.

„Servus, Giulia hier. Störe ich gerade?"

„Es...nein, geht schon. Was gibt es?"

„Du, wegen morgen...", begann ich und erklärte ihm kurz und knapp, was am Wochenende vorgefallen war.
Martins Begeisterung hielt sich, wie befürchtet, in Grenzen, allerdings war er froh, dass nicht mehr passiert war.
„Wie gesagt, ich kann das Bein nicht richtig belasten, also fällt die Schlepperei die nächsten zehn Tage flach. Ich kann dir nur anbieten, dass ich die Kassa übernehme, wenn dir das hilft?", schob ich zum Schluss noch hinterher. Ich wollte ihn ein wenig versöhnlich stimmen.

„Naja, es wäre mir zumindest geholfen, wenn du morgen Vormittag an der Kasse aushelfen könntest. Ich habe schon einige Anfragen bezüglich der Munition bekommen und vier von denen haben bereits 6.000 Schuss reserviert. Da wäre es mir schon Recht, wenn du zumindest das erledigen kannst, während ich die Schachteln bereit stelle."

„Klar, kein Problem. Also wie immer um 08:30 Uhr im Geschäft?"

„Natürlich, wie immer. Bis morgen!"

„Bis dann, Martin."

Erleichtert atmete ich auf, das war doch ganz gut gelaufen. Ich würde den Vormittag an der Kasse sitzen und Martin würde den Rest erledigen. Somit hatte ich zumindest schon den Nachmittag frei und konnte mit Till etwas unternehmen. Blieb nur die Frage, wie begeistert er davon war, dass ich in dem Zustand arbeiten ging.
Draußen wurde der Regen immer heftiger und ich schlang den Bademantel noch enger um mich. Normalerweise liebte ich dieses Wetter – perfekt, um daheim auf der Couch zu gammeln und zu lesen, aber eigentlich wollte ich meinem Besuch ein wenig die Gegend zeigen. Das fiel jetzt wortwörtlich ins Wasser. Kopfschüttelnd wandte ich mich ab und betrat die Küche. Es war mittlerweile fast 11:30 Uhr, für ein Frühstück somit zu spät. Ein Blick in den Kühlschrank verriet, dass aus dem Kochen auch nicht allzu viel werden würde – also Plan B: etwas bestellen oder auswärts essen gehen. Ich sammelte die leeren Futternäpfe ein, wusch sie gründlich aus und stellte frisches Nass- und Trockenfutter an den üblichen Platz. Schon beim ersten Geklapper mit den Schüsseln schossen beide Kater auf mich zu und machten sich gierig über ihr Futter her – als ob sie seit Wochen nichts bekommen hätten! Schmunzelnd betrachtete ich die beiden und streichelte ihnen über den Rücken, als ich hörte, wie Till aus dem Badezimmer schlurfte. Sofort verschwand Tiger wieder in seinem Versteck.

„Du bist wirklich ein Feigling", rief ich ihm nach.

„Wer? Ich?", kam prompt Tills Antwort, als er um die Ecke bog, lässig in schwarzer Jogginghose und dazu passendem T-Shirt.

„Quatschkopf... Ich habe den Kater gemeint. Der hat dich gehört und ist wieder verschwunden", lachte ich.

„Jetzt, wo du es sagst, ich hatte da gestern schon mit einem die Bekanntschaft gemacht, allerdings hat sich seine Begeisterung schwer in Grenzen gehalten", grinste nun auch Till, während er zu mir trat. „Komm her, Kleine." Und damit zog er mich in eine Umarmung und vergrub seine Nase in meiner Halsbeuge.
„Du riechst gut", stellte er murmelnd fest.

„Hm, nach Sex und dir", kicherte ich.
Ich schloss die Augen und sog seinen Duft ein: da war wieder dieser herbe Duschgel-Duft, vermischt mit seinem Eigenen. Ich strich durch seine Haare und hauchte schnell einen Kuss auf seine Schläfe, nur um mich dann von ihm zu lösen.
„Wenn du so weiter machst, kommen wir nie zum Essen – und ehrlich gesagt, brummt mir der Magen". Ich zwinkerte ihm zu.

„Schade, aber Essen ist eine gute Idee. Was hast du geplant?"
Neugierig betrachtete er mich, wollte mich aber nicht ganz los lassen. Seine Hände lagen auf meinem Allerwertesten.

„Ich weiß genau, was du vor hast."

„Ach, ist das so?"

„Ja, ist es. Du wirst dich bis nach dem Essen gedulden müssen, fürchte ich", ich streckte ihm die Zunge heraus, „zuerst gehe ich duschen, und du überlegst dir mal, auf was du so Lust hättest. Dann sehen wir weiter."

Seine Augen funkelten mich an und ein dreckiges Grinsen hatte sich auf sein Gesicht geschlichen.
„Auf was ich Lust habe, weiß ich schon..."
Wieder rückte er näher an mich heran und fummelte diesmal an den Bändern des Bademantels herum.

Diese Stimme jagte mir einen wohligen Schauer über den Rücken und wenn ich nicht sofort im Bad verschwand, würden wir wahrscheinlich erst am späten Nachmittag aus dem Haus kommen. Und ich hatte wirklich Hunger!
Energisch stoppte ich seine Hände, bevor er das Teil komplett geöffnet hatte.
„Tut mir Leid, Hr. Lindemann, aber du hast mich noch nie Hangry erlebt, und glaube mir, das willst du auch nicht. Lass mich duschen gehen. Kannst dich gerne in der Zwischenzeit ein bisschen umschauen, viel hast du ja gestern nicht mehr gesehen."
Mit diesen Worten ließ ich ihn stehen und hinkte ins Bad.

Das Prozedere, mit einem verbundenen Fuß zu duschen, dauerte für meinen Geschmack viel zu lange: Plastik drüber, abkleben, nur ja nicht nass werden lassen – mühsam. Nachdem ich das vollbracht hatte, meine Haare zu einem Zopf geflochten waren und ich schließlich in Jeans und T-Shirt steckte, humpelte ich zurück Richtung Wohnzimmer und bemerkte aus den Augenwinkeln, dass Till sich im Arbeitszimmer umsah.
Im Türrahmen stehend verweilte ich eine Zeit lang und beobachtete ihn, wie er meine Bibliothek und das kleine Fotostudio in Augenschein nahm.

„Und? Hast du schon etwas interessantes gefunden?"

Überrascht drehte er sich zu mir.
„Du hast eine wirklich beeindruckende Sammlung. Liest du oft englische Literatur?"

„Oft würde ich nicht sagen, aber hin und wieder. Es ist eine ganz eigene Leidenschaft. Ehrlich gesagt, bin ich auch erst vor ein paar Jahren so richtig auf Shakespeare „reingekippt", um es mal so auszudrücken. Im Deutschen finde ich den furchtbar, aber im Original ist er fantastisch. Da wird geflucht und geschimpft, das hättest du denen zu der Zeit und in einem Theaterstück gar nicht zugetraut. Dann stehen hier irgendwo auch noch einige Sachen von Chaucer herum, und der Gedichtband mit den gesammelten Werken von Emily Dickinson. Was noch? Ach ja, Sherlock Holmes natürlich. Und dort rechts oben", er folgte meiner Bewegung, „stehen auch ein paar lateinische Werke von Ovid und Cicero und mein größter Schatz: De arte venandi cum avibus."

Reichlich verwirrt blickte Till mich an. Ich lächelte ihn an, humpelte an ihm vorbei, griff in die oberste Reihe des Regals, beförderte ein altes, in Leder gebundenes Buch hervor und reichte es ihm.
„De arte venandi cum avibus – Von der Kunst, mit Vögeln zu jagen. Das war oder ist das Jagdbuch von Kaiser Friedrich II über die Beizjagd. Natürlich nicht das Original, aber doch ein sehr seltenes Exemplar, dass ich aus einer Verlassenschaft bekommen habe. Das ist einiges wert."

Ich sah ihm zu, wie er vorsichtig mit den Fingern über den Einband strich, das Buch langsam öffnete und sich staunend die erste Seite besah. Genauso ging es mir das erste Mal, als ich dieses Werk in Händen hielt.

„Das ist...wunderschön", er sah mich lächelnd an, „unfassbar schön geschrieben."

„Toll, oder? Wie gesagt, mein Schatz."
Ich konnte mir das Grinsen nicht verkneifen – wie ein kleiner Junge stand er da, der das erste Mal in seinem Leben ein Geschenk in Händen hielt.
Wortlos reichte er mich schließlich wieder das Buch und ich stellte es vorsichtig zurück ins Regal.
„Naja, und der Rest verteilt sich halt auf diverse Sparten – von Krimis, über Sachbücher und Belletristik bis hin zu Fotobänden. Nichts Besonderes."

„Nichts Besonderes? Das würde ich so nicht sagen!", murmelte er.
Er schlang den Arm um mich und ich legte meinen Kopf an seine Schulter. Eine Weile standen wir so da und Till stöberte weiter durch meine Bücher, bis er seine eigenen Gedichtbände entdeckte.

„Spätestens jetzt weiß ich, dass du wirklich guten Geschmack hast," lachte er auf, als er In Stillen Nächten aus dem Regal zog.

Peinlich berührt grinste ich vor mich hin.
Als er das Buch aufschlug, fiel ihm das Zettelchen entgegen. Er hob es auf, entfaltete es, las es durch und hob mit einem Finger mein Kinn an, dass ich ihm in die Augen schauen musste. Unsere Blicke trafen sich, dann zog er mich an sich und küsste mich leidenschaftlich. Ich vergaß alles um mich herum und genoss diesen Mann mit allen Sinnen.


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