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Erstaunt hob ich den Zettel auf und betrachtete ihn eingehend, warf nochmal einen Blick in das Buch, aus wessen Seite er gerutscht war: genau dort, wo ich aufgehört hatte, zu lesen. Ich drehte den Zettel zwischen meinen Fingern, und wusste nicht so Recht, ob ich es wagen sollte, ihn zu entfalten. Seufzend ließ ich mich auf den Steinboden sinken und lehnte mich an die Wand. Innerlich lechzte ich nach einigen Worten von Till, andererseits könnte da etwas drin stehen, das mir nicht gefallen könnte – schließlich hatte er sich bis jetzt auch nicht bei mir gemeldet. Aber warum dann die Sache mit dem Buch?
Minuten verstrichen und schließlich nahm ich allen Mut zusammen und schlug das Zettelchen auf. Fein säuberlich, in dunkelblauer Schrift, stand da zu lesen:

                                     Für meine Giulia

Nass und dunkel ist die Welt
du treibst davon
ich schau dir nach*
In mein Herz die
Sehnsucht springt
Tiefes Loch in meiner Brust
Ich bin allein

                                                   Till

Immer und immer wieder las ich diese Zeilen. Für meine Giulia, für MEINE Giulia...ein kleines Lächeln schlich sich in mein Gesicht und eine einzelne Träne lief über meine Wange. Dieser Mann schaffte es doch tatsächlich, mich mit ein paar geschriebenen Worten aus der Fassung zu bringen. Ich schloss die Augen, drückte den Zettel fest an mich und überlegte, was ich darauf antworten sollte. War es überhaupt sinnvoll? Ich mochte ihn – sehr sogar, das stand außer Frage - aber wenn das weitergehen würde, konnte ich mich emotional drauf einlassen? Wollte ich das? Die letzten Tage waren schon schwierig genug und Till hatte meine kleine Welt in nur fünf Tagen so auf den Kopf gestellt, dass ich mir nicht ausmalen wollte, was passieren würde, wenn ich mich darauf einlassen würde. Aber vielleicht war es auch nur eine nette Geste?

Ach, das glaubst du doch wohl selbst nicht? Dann würde da wohl kaum stehen Für Meine Giulia! Oder sein gerauntes Du Gehörst Mir am Tage unseres Abschieds!

„Ach, scheiß drauf!", murmelte ich zu mir selbst, rappelte mich auf und suchte nach meinem Handy.

Endlich fündig geworden setzte ich mich auf die Couch und musste erst mal den jüngeren Kater zufrieden stellen, der sich einbildete, dass genau jetzt Zeit zum Spielen war. Lachend schmiss ich ihm seine Plüschmaus zu, die er mir immer wieder brachte und darauf wartete, dass ich sie wieder quer durch das Wohnzimmer warf. Der Ältere sah sich das Theater von seinem Schlafplatz aus gelangweilt an.

„Paulchen, hat dir niemand gesagt, dass du eine Katze bist und kein Hund?", lachte ich und kraulte seinen kleinen Kopf. Wie auf Kommando spuckte er die Maus wieder aus und warf mir einen ungeduldigen Blick zu: na mach schon! Kopfschüttelnd schleuderte ich diese auf den Kratzbaum – damit war er erst mal ein wenig mit Suchen beschäftigt.
Ich widmete mich meinem Handy und versuchte einen möglichst unverfänglichen Text zu schreiben – nach einer gefühlten Ewigkeit war ich mit meinem Ergebnis soweit zufrieden.

Servus Till,
dein Gedicht ist mir gerade in die Hände gefallen und ich finde es wunderschön und wollte mich bedanken ;)
Hoffe, ihr seid gut daheim angekommen.
Deine Giulia

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Das war geschafft. Sein Gedicht legte ich vorsichtig in den Gedichtband In Stillen Nächten, dort war es gut aufgehoben. Nervös machte ich mich wieder an die Arbeit, das restliche Zeug wegzuräumen. Ob ich eine Antwort bekommen würde? Um mich weiter abzulenken beschloss ich, noch die Wohnung auf Vordermann zu bringen: staubsaugen, aufwaschen, bügeln. Damit war ich erst mal einige Zeit beschäftigt.

Gute zwei Stunden später glänzte wieder alles und ich war zufrieden. Ich stieg unter die Dusche und ließ das heiße Wasser meinen Körper hinunterlaufen – was für eine Wohltat. Dann machte ich mich am PC an die Arbeit und sortierte die Hundefotos aus.

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