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So saßen wir einige Zeit schweigend nebeneinander und nippten an unseren Drinks.
Innerlich verfluchte ich mich, weil das Dirndl im Sitzen wirklich alles andere als bequem war. Ich schnitt eine Grimasse und Till beäugte mich belustigt.

„Was ist los?"

„Ach, ich bin es einfach nicht gewohnt, im Kleid rumzulaufen oder besser gesagt zu sitzen. Es ist verdammt unbequem", antwortete ich.

Till stellte sein Glas ab und beugte sich zu mir.

„Also da wüsste ich was..."

„Ja, das würde dir so passen. Gleich die Situation ausnutzen um die Frau aus dem Dirndl zu bekommen", lachte ich.

Er lehnte sich zurück und musterte mich. Fragend blickte ich ihn an.

„Ich weiß nach wie vor nicht viel von dir", stellte er fest. „Deine Großmutter ist von hier, ihr lebt aber in Österreich und du hast einen italienisch klingenden Namen. Warum?"

„Warum der italienische Name?"

Ein Nicken seinerseits.

„Der Opa väterlicherseits kam ursprünglich aus Italien. Und mit diesem Nachnamen hatten sich meine Eltern wohl gedacht, da muss auch ein anständiger Vorname her. Noch Fragen, der Herr?", schmunzelte ich.

„Einige – bis jetzt hast du ja nicht viel von dir preisgegeben." Er lachte und ich stieg mit ein.

„Naja, ich wurde auch hinterhältigst abgelenkt! Da blieb nicht viel Zeit zum Reden."

„Hm...",Till lächelte und sah mir tief in die Augen – ich konnte mich seinem Blick nicht entziehen.
„Hast du Geschwister?", wollte er jetzt wissen.

„Einen Zwillingsbruder – Mario – er wohnt aber in London. Wir sehen uns nur ein bis zweimal im Jahr. Er ist verheiratet und hat einen 4-jährigen Sohn namens Marco. Aber jetzt mal zu dir", ich grinste ihn an.

„War zu erwarten", brummte dieser. „Was möchtest du wissen?"

„Tja..." Ich saß da und auf einmal fehlten mir die Worte – wie unangenehm! Hätte mich jemand vor einer Woche darauf angesprochen, was ich einen Till Lindemann fragen würde, sollte ich ihn je treffen, wären mir wahrscheinlich hundert Fragen eingefallen. Und nun kannte ihn seit zwei Tagen, war mit ihm sogar im Bett gewesen...und mir fiel NICHTS ein! Peinlich berührt starrte ich auf die Couch.

„Nicht gleich so viele Fragen auf einmal!", witzelte Till und nahm einen Schluck Bier.

„Tut mir Leid, vor einer Woche wären mir wahrscheinlich tausende Fragen eingefallen und jetzt sitzt du vor mir und ...alles weg!", entschuldigte ich mich lächelnd. „Es ist halt nur so, das, was in den Zeitungen oder online geschrieben wird und so, wie ich dich in den paar Stunden in den letzten beiden Tagen kennenlernen durfte – das ist wie Tag und Nacht."

Till seufzte.
„Was in den Medien zu lesen ist, ist fast alles für'n Müll. Abgesehen von ein paar Interviews die wir persönlich abgeben, was Rammstein oder Lindemann betrifft. Aber ich bin sowieso kein Mensch, der gerne über sein Privatleben in der Öffentlichkeit spricht und Interviews sind nur ein lästiges Übel. Die Bühne ist halt genau das: Eine Bühne. Das ist Show. Genauso wie meine Texte, einige wenige sind aus meinem Leben gegriffen aber der Rest sind einfach Eindrücke. Die Welt ist krank und das verarbeite ich in den Gedichten oder Liedern. Ich finde das lustig, wenn Menschen diese Texte auf mich beziehen nur weil es aus der Ich-Perspektive erzählt wird. Aber Denken wird in der heutigen Gesellschaft offenbar nicht mehr allzu hoch bewertet."

„Kellerhumor...", gluckste ich.

„Was?", er sah mich verdutzt an.

„Wegen der Ich-Perspektive – dazu ist mir gerade „Wiener Blut" eingefallen. Wahrscheinlich gibt's da auch einige Leute, die glauben, ihr habt ein paar in den Keller gesperrt."

Till lachte auf.
„Das kann ich mir gut vorstellen."

„Da hat es doch vor einiger Zeit auch so einen „Kellerfall" in den Niederlanden gegeben. Da war dann im Onlineforum einer österreichischen Zeitung in den Kommentaren zu dem Beitrag Sachen zu lesen wie: Kinder in den Keller sperren könnte man in Österreich schon als immaterielles Kulturerbe anmelden. Oder Langsam verstehe ich, warum die BOKU das Fach Kellertechnik anbietet. Die Nachfrage ist wohl höher als erwartet. Klassischer, schwarzer, österreichischer Humor eben."

„Das ist schon tief, aber nicht schlecht", grinste er mich an.

„Sag ich ja, Kellerhumor", kicherte ich.

Till fischte seine Zigaretten aus dem Jackett und hielt sie hoch.
„Kommst du mit hinaus?"

Ich nickte und warf mir meine Jacke über.
Draußen war es richtig frostig geworden – ich zog die Jacke enger um mich, trotzdem zitterte ich. Ihm hingegen schien die Kälte nichts auszumachen, denn als er mein Frieren bemerkte, entledigte er sich wortlos seines Jacketts um hängte es mir um. Ich starrte ihn an.

„Nicht gut?", fragend sah er mich an und blies den Rauch in die Luft.

„Doch, das ist lieb von dir! Ich bin's nur nicht gewohnt...", nuschelte ich.

„Du kannst mir doch nicht erzählen, dass dir noch niemand seine Jacke gegeben hat, wenn du gefroren hast?" Stirnrunzelnd sah er mich an.

„Ehrlich gesagt, nein." Was sollte ich dazu noch sagen? Irgendwie war mir diese Fragerei unangenehm.
„Ich warte drinnen auf dich, ok?" Mit diesen Worten reichte ich ihm sein Jackett, das er wortlos entgegennahm. Im Zimmer lehnte ich die Terrassentür an, setzte mich auf die Couch und starrte abwesend aus dem Fenster. Ich konnte mit solch netten Gesten nichts anfangen. Wenn mich jemand wie Dreck behandelte, was in der Schule oder auch später öfter mal vorkam, damit konnte ich umgehen. Ich hing meinen Gedanken nach, und bemerkte erst gar nicht, das Till schon wieder neben mir Platz genommen hatte. Erst als er seinen Arm um mich legte, zuckte ich zusammen und stierte ihn an. Seine Stimme hatte eine tiefen, ruhigen Ton.

„Du bist eine ungewöhnliche junge Frau. Jedes Mal, wenn ich glaube, dich zu verstehen, belehrst du mich eines Besseren."

„Danke für das jung", murmelte ich. Eigentlich wollte ich noch viel mehr sagen, wie Du kennst mich doch gar nicht, aber ich verkniff mir diesen Kommentar. Ich wollte heute keine Diskussion mehr entfachen, das Trara in der Früh hatte mir gereicht. Stattdessen drehte ich mich zu ihm, nahm sein Gesicht in meine Hände und hauchte: „Ich will dich, Till!"


DahoamWo Geschichten leben. Entdecke jetzt