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Ich hatte mir ein Taxi gerufen, dass mich zu meinem Auto bringen sollte. Dummerweise hatte ich nicht an den üblichen Sonntagabendverkehr Richtung Wien gedacht und war demzufolge ziemlich spät dran, als mich der Fahrer bei meinem Wagen absetzte. Noch einmal las ich mir grinsend Tills letzte Nachricht durch, die heute Morgen angekommen war:

Kleiner Giftzwerg, ich freue mich auch schon auf dich ;)

Tills Flug würde in zwanzig Minuten angekommen – das war für mich von hier nicht zu schaffen, aber für den Giftzwerg musste er jetzt eben einige Minuten Warterei in Kauf nehmen.
Vorsichtig stieg ich in mein Auto und versuchte, den verletzten Fuß so wenig wie möglich zu belasten. Jeder Tritt auf das Gaspedal verursachte ein unangenehmes Ziehen und ich war froh, als ich endlich die Autobahn erreicht hatte: hier würde der Tempomat das Gas regeln – ein Hoch auf die automatische Abstandskontrolle!

Der Verkehr war heute wieder besonders dicht – es war bereits 21:00 Uhr und ich hatte noch immer zehn Kilometer Fahrt vor mir, als plötzlich mein Handy klingelte und auf dem Display TL angezeigt wurde.

„Hi!"

„Hallo, sorry, der Flug hatte Verspätung, ich muss jetzt noch auf mein Gepäck warten. Bist du schon da?", kam Tills Stimme etwas verzerrt aus dem Lautsprecher.

„Mach dir keinen Stress, ich stecke im Stau. Habe nicht an den Sonntagabend Verkehr gedacht. Ich schätze mal in zwanzig Minuten..."
Weiter kam ich nicht, denn ich wurde durch lautes Gekreische am anderen Ende unterbrochen und hörte Till aufstöhnen.

„Mist. Ich melde mich, wenn ich hier raus bin."

Die Verbindung wurde unterbrochen und ich starrte verdutzt auf das Display, bis mich das Hupen des Wagens hinter mir „freundlich" darauf aufmerksam machte, dass es ja doch wieder vorwärts ging. Leise fluchend stieg ich aufs Gas, das mein Bein mit einem Stechen quittierte und mich noch lauter Fluchen ließ.

Überraschenderweise schaffte ich das letzte Stück relativ zügig und reihte mich direkt vor dem Eingang in die wartende Schlange an Autos ein. Zwei Taxler hupten ungehalten, weil ich ihnen offenbar den Platz wegnahm, aber ich ließ mich nicht beirren und wartete mit laufendem Motor auf Till.
Gerade, als ich seine Nummer wählen wollte, sah ich ihn mit zügigen Schritten das Gebäude verlassen. Ich hupte kurz, was ihn erst zusammenzucken ließ, dann eilte er auf meinen Wagen zu.
Er riss die hintere Türe auf, warf sein Gepäck auf den Rücksitz, schlug die Türe wieder zu, und ließ sich mit einem Schnauben auf den Beifahrersitz fallen.
Verwundert sah ich ihn an: so hatte ich mir unser Wiedersehen nicht vorgestellt.

„Hi, was ist...", doch ich wurde unwirsch unterbrochen.

„Fahr los."

Ich verdrehte die Augen, atmete geräuschvoll aus und fand eine Lücke in den vorbeifahrenden Autos. Wir reihten uns in die Autoschlange ein und verließen das Flughafengelände. Erst auf der Autobahn warf ich einen kurzen Blick auf meinen Beifahrer. Till hatte die Augen geschlossen, aber er schlief offenbar nicht, denn dafür ging sein Atem viel zu unruhig.
Endlich ließ es der Verkehr einigermaßen zu und ich konnte den Tempomat wieder aktivieren, was mir auch mein Bein dankte, denn die Schmerzen wurden zunehmend unerträglicher. Ich musste daheim unbedingt eine Schmerztablette nehmen.
Vorsichtig strich ich mit meiner Hand über Tills Oberschenkel, was ihn kurz zusammenzucken ließ, dann griff er danach und hielt sie fest. Ich hörte ihn Seufzen und fragte mich, was wohl die letzten Stunden passiert sein musste, dass er so durch den Wind war.

„Tut mir Leid...wegen vorhin", murmelte er und schloss wieder die Augen, dabei fuhr er mit seinem Daumen immer wieder über meinen Handrücken.

„Was war denn los?", wollte ich wissen.

Wieder ein Seufzen.
„Fans."

„Oh."
Darauf wusste ich keine Antwort. Einerseits, weil ich solche Situationen nicht nachvollziehen konnte (wie denn auch), andererseits irritierten mich die kleinen Liebkosungen auf meiner Hand und ließen mich an ganz andere Dinge denken. Ich fasste mir ein Herz und verdrängte die nicht gerade keuschen Gedanken in die hinterste Ecke meines Gehirns.

„Wir brauchen noch eine gute halbe Stunde, bis wir bei mir sind. Schlaf ein bisschen, dann geht's dir nachher sicher besser", redete ich beruhigend auf ihn ein.
Mehr als ein gemurmeltes Mhm war ihm auch nicht zu entlocken, doch als ich meine Hand schon von seinem Oberschenkel nehmen wollte, griff er nochmal danach und küsste meinen Handrücken. Dann legte er sie wieder auf seinem Schenkel ab und hielt sie fest, als ob er Angst hätte, dass ich sie wieder wegziehen könnte.

Ein Lächeln stahl sich auf mein Gesicht: Ich hatte Till für knapp acht Tage für mich allein! Ohne diese lästigen Fans, die ihm anscheinend so zusetzten, dafür würde ich schon sorgen. Dafür kannte ich eindeutig genug ruhige Plätze, die nicht von Rammstein-Fans überlaufen waren. Und sollten wir acht Tage nicht aus dem Bett kommen, sollte es mir auch Recht sein.
Mein inneres Fangirl hatte sich bereits willig ans Bett gekettet und verlangte sehnsüchtig nach Till. Dem würde ich bald Folge leisten.

Ich fuhr in die Parkgarage, parkte mein Auto und stellte den Motor ab. Till schlief tief und fest neben mir. Ich befreite sanft meine Hand aus Seiner, strich ihm dann über die Wange und hauchte in sein Ohr.

„Guten Morgen, Schlafmütze, wir sind da!"

Er murrte kurz, gähnte und zwinkerte. Dann sah er mich verwirrt an und ich musste lachen.

„Du siehst echt süß aus, wenn du so durch den Wind bist."

Ein Lächeln umspielte seine Mundwinkel.

„Ich habe was vergessen", brummte er.

„Was denn?"

Er beugte sich zu mir, nahm mein Gesicht in seine Hände, zog mich näher an sich und küsste mich. Er saugte an meiner Unterlippe und ließ seine Zunge schließlich in meinen Mund gleiten.
Gott, dieser Mann machte mich wahnsinnig!
Ich erwiderte den Kuss leidenschaftlich, doch als er anfing, mit einer Hand unter meinem Shirt auf Erkundungstour zu gehen, hielt ich ihn zurück. Sein enttäuschter Hundeblick brachte mich erneut zum Lachen und trieb ihm ein Schmunzeln ins Gesicht.

„Till, nicht hier. Du wirst es doch noch aushalten, bis wir oben in der Wohnung sind", ich leckte mir über die Lippen. Absichtlich. Ich wusste, dass ihn das nur noch mehr anturnte.
„War das die Entschuldigung für vorhin, weil du so schlecht gelaunt warst?", grinste ich.

„Das war nur der Anfang", er drückte mir noch einen Kuss auf die Lippen und seufzte leise, „tut mir Leid, nochmals, wegen vorhin..."

Ich machte eine wegwerfende Handbewegung.

„Schon gut, der Kuss gerade hat mich schon entschädigt. Komm, lass uns nach oben gehen."

Wobei gehen in meinem Fall lachhaft war, denn mittlerweile war der Schmerz fast nicht mehr auszuhalten und belastbar war mein Bein schon gar nicht. Mit schmerzverzerrtem Gesicht stieg ich aus und hielt mich am Auto fest.
Till hatte in der Zwischenzeit seinen Koffer hinausbefördert und runzelte die Stirn, als er mich so da lehnen sah. Bevor er jedoch etwas sagen konnte, fuhr ich zähneknirschend dazwischen.

„Hilf mir einfach, ok? Ich erkläre dir das nachher."

In einer Hand trug er den Koffer, den anderen Arm hatte er um meine Hüfte geschlungen und stützte mich. Gemeinsam arbeiteten wir uns so zum Aufzug vor, der uns schließlich in den zweiten Stock brachte und erleichtert schloss ich die Wohnungstüre auf, hinkte ins Wohnzimmer und ließ mich auf die Couch fallen. Die Katzen hatten sich offenbar angesichts des Besuchs verkrümelt, denn von ihnen war nichts zu sehen. Till sperrte die Eingangstüre zu und folgte mir schweigend.


DahoamWo Geschichten leben. Entdecke jetzt