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Der restliche Tag verlief ruhig. Ich arbeitete die Fotos ab, beantwortete Mails für anstehende Fotoshootings und telefonierte mit Martin, um mir für den morgigen Freitag frei zu nehmen. Wie erwartet war er zwar nicht begeistert, aber da aufgrund der Ferienzeit nicht viel los war, ging das in Ordnung. Till hatte uns in der Zwischenzeit Pizza bestellt und gerade, als wir es uns damit bei Tisch gemütlich gemacht hatten, klingelte mein Telefon: Tanja.
Entschuldigend sah ich zu ihm, doch er nickte nur und ich nahm das Gespräch entgegen.

„Hi, Tanja!"

„Giulia, hallo. Ich möchte jetzt gar nicht um den heißen Brei herumreden. Was war denn gestern los? Raphi hat mich total genervt und fertig angerufen. Ich erspar dir jetzt die Details, aber er hat nicht gerade nett von dir gesprochen..."

„Äh ja, das war...so nicht geplant, um es kurz zu fassen."

„Aha. Aber ich habe nicht verstanden, warum Raphi dauernd von deinem Freund gesprochen hat? Ihr beiden habt euch doch so gut verstanden, deswegen wollte ich euch gestern auch alleine losziehen lassen."

Aha, daher wehte der Wind also – von wegen keine Zeit haben und so.

„Und dann bekomme ich von ihm einen Anruf, wie schrecklich du nicht bist, dass du offensichtlich einen Freund hast und mit ihm nur spielen wolltest. Wie kommt er bitte auf so eine Idee?"

Mir gegenüber betrachtete mich Till gespannt, während er auf seinem Pizzastück herumkaute. Ich formte mit den Lippen lautlos Darf ich es ihr sagen? und erntete wiederum ein Nicken.

„Tanja, Till ist gestern Abend vor meiner Tür gestanden und da habe ich Raphael weggeschickt."

„Ach..." Kurze Stille am anderen Ende der Leitung.
„Und? Was heißt das jetzt?"

„Wir sind zusammen."

„Oh. Das freut mich natürlich für dich. Musst du mir bei Gelegenheit mal alles genau erzählen. Vielleicht solltest du trotzdem mit Raphi kurz darüber sprechen..."

„Nein. Er hat mir explizit zu verstehen gegeben, dass er nichts mehr von mir hören will. Aber Tanja, unabhängig davon, ob Till jetzt hier gewesen wäre oder nicht, das mit uns hätte nicht funktioniert."

„Wieso?"

„Naja, es hat einfach nicht gepasst. Mehr möchte ich dazu nicht sagen."

Ich warf Till einen kurzen Blick so, der vor sich hin grinsend da saß, sich ein extra großes Stück Pizza in den Mund schob und mir einen unschuldigen Blick zuwarf.

„Weißt du was? Wenn du nächste Woche mal Zeit hast, bequatschen wir alles bei einem Kaffee, wie klingt das, Tanja?"

Schließlich verabschiedeten wir uns und seufzend legte ich das Handy beiseite. Stumm nahm ich das letzte Pizzastück und kaute lustlos darauf herum. Wenigstens waren diese unangenehmen Gespräche für's Erste erledigt.

„War er so schlecht?", zwinkerte Till mir zu und lehnte sich zurück.

Ich verdrehte die Augen.
„Nein. Aber auch weit entfernt von gut. Und jetzt möchte ich nicht mehr darüber reden, kapiert?"

„Jawohl!"

Spät in der Nacht, als wir im Bett lagen, kam mir eine Idee, wie wir den nächsten Tag verbringen konnten. Till war im Laufe des Abends sehr in sich gekehrt gewesen und ich wollte ihn auf andere Gedanken bringen – nun war mir endlich etwas Sinnvolles eingefallen.

„Bist du noch wach?", flüsterte ich.

„Mhm."

„Was hältst du davon, wenn wir morgen Vormittag ins Revier fahren und jagen gehen? Keine Menschen, nur viel Wald und Wild."

„Mhm, klingt gut", nuschelte er.

An seiner Stimme erkannte ich, dass er geistig gerade ganz woanders war - und ich konnte mir auch denken, wo. Ich rückte näher an ihn heran, schlang meinen Arm um seinen Oberkörper und drückte ein paar sanfte Küsse in seine Halsbeuge. Dann lehnte ich mich an seine Schulter und schlief ein.

Die Jagdausrüstung war schnell gepackt und um die Mittagszeit brachen wir auf. Kurz davor hatte ich meinem Jagdleiter Bescheid gegeben, dass ich mich mit einem Gast im oberen, abgelegenen Teil des Revieres bis in den Abend hinein aufhalten würde. Till hatte sich, in Ermangelung eines richtigen Jagdoutfits, für schwarze Jeans und Shirts entschieden. Was im Endeffekt ja egal war, da wir zwar einen Teil der Strecke im Wald zu Fuß laufen mussten, aber dann ja sowieso im Hochstand saßen. Er war definitiv wieder besser drauf und erkundigte sich über die Lage des Reviers, die vorkommenden Wildarten und auf was wir es heute abgesehen hatten.
Nach einer guten halben Stunde waren wir schließlich angekommen, ich parkte das Auto am Rande des Weges, schulterte mein Gewehr und drückte Till den Rucksack in die Hand.

„Damit du dich auch ein wenig nützlich machen kannst", lachte ich.

Lächelnd schwang er sich das Teil auf den Rücken.
„Was hast du denn da drinnen? Ziegelsteine?"

„Goldbarren. Ne Quatsch. Säge, Handschuhe, Taschenlampe, Fernglas – das übliche eben. Und natürlich ein wenig Proviant, dass wir nicht verhungern. Weiß ja nicht, wie lange wir bleiben."

Still gingen wir nebeneinander her über den Waldweg. Dieser würde in einigen hundert Metern in einen schmalen Trampelpfad übergehen, der uns schlussendlich nach zwanzig Minuten zum Hochstand bringen würde. Die Hitze war auch heute wieder unerträglich, obwohl wir uns auf knapp 850m Seehöhe befanden und die Bäume Schatten spendeten. Trotzdem stand mir nach wenigen Metern der Schweiß auf der Stirn, und, ein Blick in Tills Richtung bestätigte mir, dass es ihm nicht anders ging. Der Hochstand befand sich am Ende einer Fichtenschonung, die in eine kleine Lichtung mündete, die wiederum die Grenze zum Mischwald darstellte. Ideale Bedingungen für Rot- und Schwarzwild. Leise machten wir es uns in der überaus komfortablen Jagdeinrichtung bequem, öffneten alle Fenster und ließen die stickige Luft entweichen. Die Sitzbank war mit einer Matratze ausgelegt, auf der man mühelos einige Stunden verbringen konnte. Das Gewehr deponierte ich vor mir auf der Ablage, nahm das Fernglas aus dem Rucksack, den Till mir reichte, und stellte es auf die richtige Entfernung scharf. Danach lehnte ich mich neben Till an die Rückwand.
Es war erstaunlich ruhig um diese Uhrzeit, sogar das Vogelgezwitscher hielt sich in Grenzen, was aber wahrscheinlich dieser unglaublichen Hitze zuzuschreiben war. Ich starrte hinaus auf die Lichtung, ließ die Gedanken schweifen und genoss die Ruhe. Eine leichte Brise wehte durch den Hochstand und ich bemerkte, dass der Wind zu unseren Gunsten gedreht hatte.
Till beäugte in der Zwischenzeit mein Gewehr und ließ die Finger über den Holzschaft gleiten.

„Hübsch. Welches Kaliber?", flüsterte er mir zu.

„7x57R & 12/70. Brünner ZH", gab ich genauso leise retour und drehte mich zu ihm.
„Was für Kaliber schießt du eigentlich?"

„Unterschiedlich. .308WinMag, 30-06 Spr., .357 H&H, je nachdem. Aber meistens 30-06 Spr."

Schweigen breitete sich eine Zeit lang aus, bis ich hinter uns in der Fichtenschonung ein leises Knacksen vernahm.

DahoamWo Geschichten leben. Entdecke jetzt