#17 Ich weiß es nicht

2.5K 39 11
                                    

Perspektive Thomas "Tommi" Schmitt

"Ich weiß es nicht." erhalte ich nach einiger Zeit als Antwort und bin mir nicht sicher, wie ich darauf reagieren soll. Schließlich nicke ich stumm, auch wenn Felix es sowieso nicht sieht. Vielleicht hört er es ja.
Ich glaube, der Fernseher läuft die ganze Nacht, denn er scheint einfach einzuschlafen und ich traue mich nicht, aufzustehen, wo wir so dicht aneinander liegen. Aufmerksam und irgendwie fasziniert höre ich seinem Atmen zu und muss lächeln. Wie sehr es mich gerade einfach freut, dass er lebt. Wenige Tage vor seinem 31. Geburtstag die Zeit mit ihm verbringen zu dürfen, schätze ich wirklich sehr. Ich habe keine Ahnung, wann, aber irgendwann schlafe ich ein. Vom nächsten Tag habe ich nicht viel, ich bin einfach viel zu müde, um irgendetwas Anständiges zu veranstalten.

24. Dezember, 16:43 Uhr

Es klingelt an der Tür.
Felix öffnet sie in seinem kurzärmeligen Hemd und Jeans. Ich, der gerade noch dabei ist, den spärlich bedeckten Tisch zurechtzurücken, höre nur, dass es sich um Felix' Vater und seine Freundin Heike handeln muss. Frank wird mit "alter Mann" begrüßt und ich muss schmunzeln, weil auch er lachen muss. "Alles Gute zum Geburtstag,Großer!".
Als keine Serviette und kein Messer mehr schief liegt, gehe auch ich in den Flur und begrüße die beiden. Felix unterhält sich lachend mit Julian, als ich Heike das Essen abnehme und in Felix' scheinbar fast unbenutzten, aber vorgeheizten Backofen stelle. Etwas anderes als Pizza hat der glaube ich noch nie gesehen.
Als Frank und sein jüngerer Sohn den Raum betreten, bleiben ihre Blicke an dem Bild ihrer Mutter bzw. Frau hängen und sie müssen kurz schlucken, ehe sie schier gleichzeitig lächeln. Die drei Männer schauen sich an und es scheint, als würden sie das Gleiche denken.
Ich glaube, aufgrund ihrer gemeinsamen Geschichte stehen sie sich auf eine so besondere Art und Weise nah, dass sie kein Außenstehender greifen kann- so empfinde ich es jedenfalls, wenn mindestens zwei von ihnen im Raum sind.

21:23 Uhr
"Ela kann leider nicht." offenbart mir Felix, als wir zu sechst am Tisch sitzen. "Und deine Freundin, Julian?" zieht er grinsend seinen Bruder auf. "Du bist ja mal wieder ganz witzig heute." erwidert dieser, muss aber kurz darauf auch lachen. Frank und Heike grinsen sich an.
Das Bild von Felix' Mutter steht die ganze Zeit auf dem Tisch und irgendwie scheint es, als wäre der Abend allein für sie geschaffen. Klar ist der 24. Weihnachten und Felix' Geburtstag, aber die verstorbene Frau scheint nachvollziehbarerweise auch so ein wichtiger Grund zu sein, um sich zu treffen. Und vor allem an so einem Datum steht eben auch sie im Mittelpunkt- immerhin ist sie der Grund für Felix' Existenz.
Akribisch, aber so unauffällig wie möglich, beobachte ich die Familie.
Nach einiger Zeit bemerke ich, wie Tränen über die Wange von Felix' Schwester rollen. Ehe ich mich versehe, weinen alle Familienmitglieder und meine Vermutung bestätigt sich: sie sind auf eine gesunde Art distanziert von dem Thema und lächeln sogar etwas, als sie das Bild betrachten.
Eine Box Taschentücher steht auf dem Tisch und jeder bedient sich, als ich sie rumreiche. Auch ich bin natürlich berührt und schniefe, drehe meinen Kopf zu Felix und wir lächeln uns an.
"Ein Hoch auf Fränki und seine Erziehungskünste! Aus uns Allen ist 'was geworden!" bricht Felix die Stille, welche ab und zu von Schniefen unterbrochen wird und hebt sein Glas mit dem alkoholfreien Bier. Alle anderen nicken lächelnd und wir stoßen an, der Angesprochene winkt bescheiden ab. Mit "Auf das Geburstagskind Felix!" grinst er und versucht anscheinend damit, von sich abzulenken.
Wenn ich so darüber nachdenke, zolle ich Frank unendlichen Respekt. Als frischer Witwer drei Kinder auf so eine geniale Art und Weise allein großzuziehen, verdient jeglichen Respekt. So wie Felix auch nicht müde wird, das zu loben. Die Augen seines Vaters sind noch feucht, Heike streichelt seinen Rücken und gibt ihm einen kurzen Kuss. Die beiden scheinen echt wie für einander geschaffen und die Kinder freuen sich auch extrem darüber, wie mir die Jungs schon erzählt haben.
Etwas sehnsüchtig schaue ich zu Felix, wieder mal wird deutlich, wie beeindruckt er von der Magie zwischen den beiden ist. Ich fühle mich als Nicht-Teil der Familie etwas fehl am Platz und greife schüchtern nach Felix' Hand unter dem Tisch, er verschränkt unsere Finger und lächelt mich mit beruhigender Wirkung an. Zusätzlich zwinkert er mir zu und streichelt im gleichen Moment mit dem Daumen über meinen Handrücken. Mein Körper kribbelt. Dieser Mann gibt mir, auch ohne etwas zu sagen, so unendlich viel Sicherheit, dass ich selbst überrascht bin. Nach Allem, was auch er so erlebt hat, wundert es mich manchmal, dass er mit mir, der mit Abitur auf dem ersten Bildungsweg und abgeschlossenem Bachelor-Studium einen gradlinigen Lebenslauf aufweist, so viel Zeit verbringt. Ich frage mich, ob ich ihm nicht zu langweilig und Dorfkind bin. Aber irgendwas muss ich ja an mir haben, dass er mich zu seinem engen Freundeskreis zählt.

Platzierte, verkopfte, elegalante Gemischtes Hack Story Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt