#123 Nerzinfarkt

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"Keine Ahnung, ich war so wütend und wollte einfach weg. Nach einer Zugverbindung wollte ich nicht schauen, deswegen habe ich mir im Effekt einfach den Schlüssel genommen. Ich hatte im Flur kurz Halt gemacht und durchgeatmet und da lag dann der Schlüssel. Das Metall hat mich so unerklärbar angefunkelt." versucht Tommi zu rechtfertigen und setzt einen unschuldigen Blick auf, obwohl beide genau wissen, dass das eine scheiß Aktion war.

"Und warum die über 200 km/h auf der Autobahn?" fragt Felix weiter. "Naja, hättest du doch auch gemacht, oder nicht? In der Situation?"
"Ja, stimmt schon. Irgendwie. Wahrscheinlich."
"Also...?"
"Nichts 'Also'. Das war trotzdem scheiße. Ich hatte fast 'nen Nerzinfarkt als ich das gesehen habe. Bezahl einfach die Strafe und hoffe, dass sie dir deinen Fleppen nicht abziehen. Und lass mich heimfahren."
"Jetzt? Und was ist mit dem Leihwagen?"
"Stimmt, scheiße, der kann hier ja nicht stehen bleiben. Ja dann fahr du halt wieder Meinen." beschließt Felix bedrückt.
"Willst du denn jetzt schon wieder nach Berlin?" fragt Tommi und schaut Felix zweifelnd an.
"Ja, irgendwie schon. Berlin ist meine Heimat, mein zu Hause. Und ich bin gerade ausnahmsweise mal nicht auf Tour."

Tommi schluckt. Felix hatte einmal gesagt, dass er sich überall da zu Hause fühlt, wo er auch ist. Anscheinend hat sich das jetzt geändert.
"Ich würde gerne noch etwas hier bleiben." sagt Tommi tonlos, ohne Erwartungen.
"Kannst du ja machen. Ein Auto hast du ja, selbst, wenn ich schon wieder in Berlin bin. Wäre ja kein Problem." erwidert der Neuköllner kalt.
Tommi pfeift Diego wieder zu sich heran und streichelt ihn. Sie bleiben kurz stehen, Felix stöhnt genervt auf.
"Man, Felix, ist da noch irgendetwas, das du klären willst?"
Der Angesprochene schiebt den Unterkiefer vor, verschränkt die Arme vor dem Körper und schaut von Tommi weg.
"Ey, Felix. Das ist unfair. Rede mit mir, bitte."

"Tommi, komm bitte wieder nach Hause. Unser Bett ist frisch bezogen. Ich hab die ganze Zeit nur auf der Couch oder auf dem Boden geschlafen. Das Bad riecht gar nicht mehr nach dir. Ich bin froh, dass ich geduscht habe, bevor ich losgefahren bin. Das Wohnzimmer ist so leer ohne dich. Dein Lachen ist da gar nicht mehr. Sogar mein Handy ist traurig. In meiner Küche hängt nicht mehr dieser Kaffeegeruch, der nur da ist, weil du da bist."
Er schluckt.
"Du fehlst mir." bricht er aus und schaut ihn verzweifelt an. Sein Kopf wird heiß und er muss sich dazu zwingen, nicht wegzuschauen.
"Fuck, Felix, ja." erwidert Tommi und zieht ihn in eine Umarmung. Sie fühlt sich nicht so an wie die anderen Umarmungen, aber es ist immerhin mehr Körperkontakt als in den vorherigen Monaten.

"Okay, okay." beginnt Tommi. "Geht klar. Wir machen das. Ich brauche dich ja auch. Aber ich brauche auch sowas wie einen Deal. Weil noch einmal halt' ich das nicht aus."
"Und wie sieht dein Deal aus?" will Felix wissen.
"Also ich will nicht, dass du mir irgendwas versprichst oder schwörst oder unterschreibst. Das wäre affig."
Felix nickt zustimmend.
"Aber ich brauche irgendetwas, bei dem ich mir sicher bin, dass du es nicht brichst. Ich weiß, dass du kaffee- und zigarettensüchtig warst. Und du weißt das auch ganz genau."
Wieder nickt Felix. Diesmal eher einsichtig.
"Und es ist nicht einfach, einer Sucht nicht wieder zu verfallen." ergänzt Tommi weise und es fehlt noch, dass er den Zeigefinger hebt.

"Was ist es denn, was du möchtest?" fragt Felix weiter.
"Mach dir bitte nochmal 'nen Termin bei deinem Hausarzt und lass dir das alles erklären."
"Was "alles"?"
"Naja, deine Werte und warum du auf Teufel komm raus keinen Alkohol trinken und Zigaretten rauchen darfst. Und was das dann in deinem Körper macht und was das bedeutet. Von mir aus komm ich auch gerne mit."
"Okay, aber dann lässt du dir erklären, was es für deinen Körper bedeutet, wenn dein Essverhalten so ist wie es ist. Und bitte brich die Therapie nicht ab."
Tommi schluckt, nickt aber.
"Also, du isst, ich rauche und trinke nicht."
"Deal."
"Einverstanden."
Eine Pause entsteht, in der sie sich auch, ganz still, darauf verständigen, dass Kommunikation immer noch das wichtigste ist.

"Man Tommi, ich bin so stolz auf dich, dass du dich bei diesem Psychologen gemeldet hast." sagt Felix.
Tommi schaut Felix in die Augen, ihre Blicke bleiben aneinander kleben. "Danke."
Es ist für beide ungewohnt, den anderen wieder so lang und intensiv anzuschauen. Ein leichtes Lächeln huscht über Tommis Lippen, dann schaut er verlegen zu Boden.
"Es ist so komisch, so mit dir zu reden. Einerseits freue ich mich natürlich riesig, weil sich an dem Gefühl, dass wir zusammengehören, nichts verändert hat. Aber andererseits hatten wir noch nie so einen Streit und ich weiß nicht so richtig, wie ich mich verhalten soll." beichtet Tommi.

"Naja, willst du jetzt noch irgendetwas besprechen?" fragt Felix.
"Nee, eigentlich nicht."
Er überlegt noch einmal.
"Nee. Du?"
Felix schüttelt den Kopf.
"Hm, wollen wir vielleicht wieder langsam zu meiner Mutter laufen? Diego sollte jetzt ausgepowert sein und es wird langsam kalt."
Felix nickt nur zustimmend, danach pfeift Tommi den Hund wieder zu sich heran und nimmt ihn an die Leine.
Die letzten Meter zurück zu der Wohnung sind gelöster als die ersten zum Feld, trotzdem herrscht immer noch eine gewisse Spannung zwischen den Männern.

"Hallo Felix." sagt Tommis Mutter freundlich, nachdem sie sich die Sohlen abgestrichen haben und Diego schon wieder im Inneren der Wohnung verschwunden ist. "Komm rein."
"Danke." erwidert Felix verhalten, weil er mit neuen Leuten noch nie schnell warm wurde. Seine Schuhe stellt er akkurat neben die seitliche Fußmatte, die vor der Wand steht und betritt dann hinter die Tommi fremden Räume.
"Du lebst nicht irgendwie vegetarisch oder so, richtig?" fragt sie, er schüttelt verneinend den Kopf. Sie lächelt zufrieden. "Gut, dann kann ich also kochen, was ich will?" vergewissert sie sich, während sie sich die Hände an einem Geschirrtuch abtrocknet, das um ihre Hüften geschlungen ist.
Tommi schaut Felix an, als müsse er ihn wegen irgendetwas ermahnen.
"Nur bitte nichts mit Rotwein oder so ablöschen, also ich trinke keinen Alkohol." korrigiert Felix in ihre Richtung und wirft dann einen fragenden Blick zu Tommi. Dieser nickt, kaum wahrnehmbar.

"Jungs? Ich merke, doch, dass da noch etwas zwischen euch steht. Umarmt euch mal." sagt sie und lässt sich gegen den Türrahmen der Küche fallen, verschränkt die Arme und sieht die beiden erwartungsvoll an.
Zögerlich schauen sich die Männer an, machen dann aber gleichzeitig eine Bewegung auf den anderen zu und ziehen sich in eine Umarmung. Es ist keine Umarmung von Menschen, die eine romantische Beziehung führen. Eher eine nach einer bestandenen Prüfung oder einem geschossenen Tor eines guten Kumpels. Aber trotzdem ist sie nicht leer.
Tommi schaut seiner Mutter währenddessen in die Augen, sie fragt ihn mit einem Blick, den nur Mutter und Sohn verstehen, ob Felix der richtige und er glücklich sei. Der Detmolder nickt nicht, wieder reicht nur ein Blick, der "Ja" sagt. Seine Mutter lächelt zufrieden, Tommi drückt Felix noch einmal fester an sich und schließt die Augen, während Felix über seinen Rücken streicht.

"Na dann, macht euch mal ins Wohnzimmer. Oder wohin auch immer. Ich rufe euch dann, wenn das Essen fertig ist." sagt Tommis Mutter liebevoll, als sie sich langsam wieder lösen.
Sie nicken synchron und Felix streicht noch einmal motivierend über Tommis Rücken.
Dann setzen sie nebeneinander auf die Couch. Für mehr sind beide noch nicht bereit und das ist okay so.
"Wollen wir alte Kinderbilder anschauen?" bietet Tommi an, da er seinen Blick durch den Raum schweifen lässt und an den alten, braunen Bändern hängen bleibt.
"Gerne." sagt Felix lächelnd.

Mit jeder Seite, die Tommi umblättert, offenbart sich eine weitere Phase aus Tommis Kindheit, jede Seite knistert beim Umblättern, als würden sich die Abenteuer und Geschichten ersteinmal entfalten müssen.
"Guck mal, das war mein Lieblingskuscheltier damals. Hast du Micha mit?"
Felix nickt und beißt sich auf die Unterlippe.
Dann lässt er seinen Kopf gegen Tommis Schulter fallen und lächelt ehrlich.

Platzierte, verkopfte, elegalante Gemischtes Hack Story Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt