#9

1.9K 36 25
                                    

Mein instinktiver Weg führt mich nach draußen und es wird direkt eine Gänsehaut bei mir ausgelöst. Ich atme aus und verfolge mit den Augen meine Atemluft,wie sie sich langsam auflöst. Meinen Blick kreuzt Felix, welcher an einem Geländer steht: nur in T-Shirt, sich mit einer Hand daran festhaltend und die andere auf seinen Bauch gelegt. Von Weitem sieht es aus,als würde er sich die Seele aus dem Leib husten und letzendlich geht er in die Hocke, klammert sich regelrecht am Geländerstab fest und stützt sich auf dem Boden ab.
Ich kann nichts tun- meine Füße haben Wurzeln gebildet und sie fest im Boden verankert; ich kann nicht zu ihm laufen. Alles, was ich tue, ist erbärmlich "Felix??" zu rufen, doch er hört mich nicht. Zeigt zumindest keine Reaktion. Alles,was er tut, ist sich in die Ecke zwischen Hauswand und Geländer hinzusetzen und den Kopf hängen zu lassen.
Es zerreißt mir das Herz.

Perspektive Felix Manuel Lobrecht

Scheiße. Meine Brust tut extrem weh. Die kalte Luft am ganzen Körper und in meiner Lunge ist nicht mehr gut und erfrischend, sondern wie tausend Nadelstiche. Jede Bewegung brennt auf der Haut und im Inneren, obwohl ich nur dasitze und die Augen geschlossen halte. Atmen reicht mir gerade schon. Mir ist schlecht und irgendwie auch mega warm, ich schwitze auf jeden Fall stark. Alles dreht sich. Teile meines Körpers spüre ich nicht mehr, doch ich kann nicht genau definieren, welche.
Ich muss endlich aufhören zu rauchen, mein Körper ist total gefickt. Ich nehme mir das schon ewig vor. Ich fange an, zu zittern, während Tommi drin wahrscheinlich mit einer wildfremden Frau rummacht.
Sogar vor Schmerz Augen zusammenkneifen tut weh und ist anstrengender als Marathon laufen. Zumindest, wie es ich mir vorstelle, Marathonläufer zu sein. Hab noch nie einen mitgemacht. Aber es ist auch egal, jedenfalls spüre ich in jeder Sekunden höllische Schmerzen und muss wohl irgendwann so abschalten, dass ich mein Bewusstsein verliere.

Perspektive Thomas "Tommi" Schmitt

Ich sehe, wie Felix erst stark krampft und dann zusammensackt. Auf einmal ist mein Körper von Adrenalin durchströmt und ich renne auf ihn zu. "FELIIX!" rufe ich, obwohl er mich sowieso eh nicht hört. Es sieht aus, als wäre er ohnmächtig und als ich bei ihm ankomme und ihn schüttele, eine Ohrfeige gebe und er nicht reagiert, bin ich mir darin auch sicher. Seine Haut ist kalt. Sofort bringe ich ihn in die stabile Seitenlage und während ich die 112 rufe, schießen mir Tränen in die Augen und mein Kopf wird heiß, obwohl es vielleicht 2° sind. Ich setze mich erschöpft neben ihn- auf die Idee, andere zur Hilfe zu holen, komme ich nicht. Meine Atmung ist schwerfällig, ich beobachte mit verschwommener Sicht Felix, dessen Atmung das komplette Gegenteil zu meiner ist und aus dessen Mund Speichel fließt. Das war aber schon so, als ich zu ihm gekommen bin.
Nach wenigen Minuten höre ich das Sondersignal,welches mich aus meinem Halbschlaf herauszieht. Nicht, dass ich müde gewesen wäre- für meinen Kopf war das einfach zu viel. Ich springe auf und glückerweise hält der Krankenwagen direkt vor uns, da Felix' weißes, großes T-Shirt im Gegensatz zu unserer dunklen Umgebung heraussticht.
"Guten Abend, um was geht es?" fragt mich einer der Sanitäter, der auf einmal vor mir steht. Ich erkläre ihm daraufhin die Situation und ehe ich mich versehe, liegt Felix auf einer Trage und wird in den Wagen geschoben.
"K-kann ich mitfahren?" auf diese Frage erhalte ich ein nettes Lächeln von dem anderen Sanitäter und er muss mir sogar helfen, einzusteigen.
Wie erbärmlich ich wohl rüberkomme. Normalerweise bin ich nicht allzu panisch, wenn jemand in Ohnmacht fällt,aber bei Felix ist es was anderes. Komplett anderes.
Ich setze mich auf den Sitz neben der Trage, auf der Felix liegt und nehme seine Hand. Instinktiv. Das ist vorher noch nie gewesen und ich realisiere, wie groß seine Hand im Gegensatz zu meiner ist. Sentimental streichle ich seinen Daumen und muss schniefen, gleichzeitig aber auch irgendwie lachen, weil es eigentlich halt so bescheuert ist, dass ich innerlich so ein Drama daraus mache.
Ich schließe die Augen, lehne den Kopf gegen die Wand des RTW und spüre die Vibrationen und die Kurven, die wir fahren, intensiv.
Nach einigen Minuten verspüre ich einen leichten Druck an meiner Hand und öffne schlagartig meine Augen: Felix schaut mich an. In dem hellen Licht sieht er blasser aus, seine Augen strahlen nicht so wie sonst. "Tommi, was is los?" fragt er, doch ich habe keine Chance, ihm eine Antwort zu liefern. Dem Sanitäter, der mit hinten steht, gilt seine gesamte Aufmerksamkeit. "Herr Lobrecht, sie haben ihr Bewusstsein verloren. Haben Sie irgendwo Schmerzen?" wird Felix gefragt, seine Antwort bekomme ich kaum mit. Ich weiß nur, dass er eine Nikotinvergiftung hat und ihm eine Sauerstoffmaske aufgesetzt wird, nachdem er sich so halb in eine Nierenschale übergeben hat. Seine Hand liegt längst nicht mehr in meiner, ich streichle sie längst nicht mehr. Mir fehlt ein Stück Mut und Sicherheit, die mir dieser Mann immer gibt, wenn wir beieinander sind. Doch gerade sehe ich ihn nur, wie er mit verschwitzten Klamotten, halb mit Erbrochenem überzogen vor mir liegt und aussieht, als wäre es um ihn geschehen. Sein Körper strahlt nicht mehr diese Kraft und dieses Beschützerische aus, welches mir immer Sicherheit gibt. Ich fühle mich verloren, weil ich schon wieder nichts unternehmen kann. "Wir müssen Sie im Krankenhaus dann einer Magenspülung unterziehen. Sind Sie einverstanden damit?". Felix nickt leicht, sodass man es kaum erkennen kann. Der Santitäter, der eine ehrenwerte Arbeit leistet, scheint seine Intention jedoch zu verstehen, nickt ebenfalls und trägt etwas auf einem Zettel ein. Unsicher greife ich nach Felix' Hand, unwissend,ob er das möchte.

Perspektive Felix Manuel Lobrecht

Ich greife blind mit meiner linken Hand in die Luft, mit dem Ziel,Tommis Hand zu halten. Mir egal, ob er das will, ich brauche es gerade dringend. Ich hasse Krankenhäuser schon seit ich klein bin. Für die Zeit, die ich meine Mutter kannte, habe ich sie im Krankenhaus gesehen und dementsprechend nie viel positives damit erfahren. Ich weiß, dass mein Krebsrisiko hoch ist, aber ich ignoriere das regelmäßig. Vor allem, wenn ich rauche. Ich kann es einfach nicht gebrauchen, aktiv irgendwelche Nachteile des Nikotinkonsums mir vor die Augen zu halten, weil die Zigarette das einzige ist, was mich hält. Was immer da ist, wenn ich es brauche. Was ich einfach kaufen kann, wenn es alle ist.
Angezündet, dran gezogen, frei gewesen.
Das beste und einfachste Mittel,Sachen zu verdrängen, anstatt sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Weil es einfacher ist. Zumindest für ein paar Minuten.
Gerade merke ich aber, dass das unbedingt aufhören muss. Was genau diagnostisch mit mir los ist, weiß ich nicht mehr. Ich weiß nur, dass ich keinen Bock auf die kommende Zeit habe und das alles hier nie wieder erleben möchte.
Unsere Hände berühren sich und sofort und als ich jeglichen Kontakt spüre, greife ich fest danach. Zumindest so fest, wie ich gerade kann. Sprechen ist fast unmöglich. Ich bin froh, dass ich das gerade schaffe.
Mit aller Kraft und erst nach einiger Zeit schaffe ich einen Satz: "Tommi, ich will hier weg."

Versuche ab jetzt btw, jedem Kapitel einen Umfang von mindestens 1000 Wörtern zu schreiben
Knv!

Platzierte, verkopfte, elegalante Gemischtes Hack StoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt