#52 Tunnel bauen

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Perspektive Felix Manuel Lobrecht 

>>Weil ich dir blind vertraue, du es aber trotzdem nicht siehst.<<

Tommi hat mir immernoch nicht darauf geantwortet, das schlechte Gefühl bin ich immernoch nicht los.
Dafür Julian eine Antwort schuldig.

Zügig mache ich mich auf den Weg nach Hause, dusche, stecke eine Waschmaschine an und frage ihn nebenbei, ob es okay wäre, wenn ich gleich vorbeikomme.
Er ist mein Bruder, sagt bei so etwas nie "Nein". Vor Allem, weil er weiß, wie es mir zur Zeit geht.
Sein "Klar😊" lässt mich zum ersten Mal wieder ehrlich lächeln und motiviert mich zum Beeilen.

Der Hauseingang, das Treppenhaus und seine Wohnung sind vertraut. Ich ignoriere den einen Holzstuhl, der unverändert unter der Gaderobe steht und lasse mich auf seine graue Couch fallen, nachdem wir uns zur Begrüßung umarmt haben.
"Du siehst fertig aus." sagt er und hat wahrscheinlich recht.
Ich nicke, überlege, was ich sage.
Er schmeißt sich neben mich, schaut mich an.
"Tommi schreibt mir nicht mehr."
Ein bedrückter, mitfühlender Blick wird mir entgegengebracht, ratlos beißt Julian sich auf die Oberlippe.
"Was habt ihr denn geschrieben?" fragt er.
"Naja primär ich, wa?" ergänze ich fast sinnlos, während ich mein Handy aus der Hosentasche ziehe, den Chat mit Tommi öffne und meinem Bruder das Gerät in die Hand drücke.

Während dieser unsere letzten Nachrichten liest, missbrauche ich die Tischplatte als Schlagzeug, schaue aus dem Fenster, stehe auf, laufe um die Couch herum und setze mich wieder hin.
Diesmal auf die andere Seite.
Leicht erwartungsvoll schaue ich ihn an, gespannt auf seine Meinung, wissend, dass er selbst nicht gerade ein Beziehungsexperte ist.
Seufzend gibt er mir mein Handy wieder und schüttelt den Kopf.
Noch kurz werfe ich einen prüfenden Blick auf das Display, schalte es danach aus und lasse es danach gegen das Polster der Couch schauen.
"Du weißt, wie es Tommi geht und welchen Stress er grad im Leben hat. Ich weiß, wie es Tommi geht und welchen Stress er grad im Leben hat. Du noch mehr als ich."
Er legt eine kurze, theatralische Pause ein.
"Aber verstehen tue ich ihn trotzdem nicht so wirklich."

Ich nicke, weil ich erkenne, dass er mit seinen Ausführungen fertig ist.
Für einen kurzen Moment denke ich daran, vorzuschlagen, dass wir uns auf den Balkon stellen und eine rauchen.
So, wie wir es oft getan haben, wenn einer von uns beiden- oder wir beide- Probleme irgendeiner Art hatten.
Den Gedanken schlage ich mir erstaunlich schnell zu 75% aus dem Kopf, der Rest umtreibt mich weiterhin im Hintergrund.

Mit durchaus ergründbarem "Du siehst aber auch nicht grad prickelnd aus heute." lenke ich von meinem Thema ab und schlage ihm brüderlich von hinten auf die Schulter.
"Lange Nacht gehabt?" frage ich witzelnd und ahme dabei seine Position nach, indem ich mich nach vorn lehne und den Kopf auf die Hände stütze.
"Ja." antwortet er knapp.
Mir fällt verstärkt auf, dass er eher traurig als verkatert aussieht. Vielleicht auch beides, vor Allem aber bedrückt.
"Alles gut?" frage ich weiter nach, ohne meinen intensiven Blick von ihm zu lösen.
Er weiß, dass das meinerseits keine allgemeine Floskel ohne Nachdruck ist.
"Ich hab' mich die ganze Nacht mit Jenny gezofft." gibt er zu.
"Heute morgen...irgendwann um sieben oder um acht ist sie dann weg. Wutentbrannt, haben beide nicht geschlafen."
Diesmal nicke ich ratlos und schaue mich im Wohnzimmer um, als würde ich diesen Raum nicht in- und auswendig kennen.
Ich entdecke einen hellrosa Pullover über einen Stuhl hängen, der definitiv nicht meinem Bruder gehört.

"Warum habt ihr euch denn gestritten?" frage ich.
"Sie will immer, dass ich das aufräume, was sie aufgetragen hat." setzt er an.
"In ihrer Wohnung und hier. Essenssachen oder so. Teller, Tüten. Oder wenn sie 'was aus 'nem Schrank sucht und den offen lässt...rate mal, wer daran dann Schuld ist und es ausbaden muss...."
Zugegeben, Jenny war mir noch nie symphatisch. Außerdem finde ich "J und J" viel zu bilderbuchmäßig.
"Ich muss sie auch immer zum Feiern begleiten, weil sie ja erst 20 ist. Und ihre Freundinnen haben nicht oft Zeit."
Sorry, aber ich wusste es. Der Gedanke, dass sie zu jung für ihn ist, verfolgt mich schon seit Längerem. Und dass mein Bruder kein Club-Gänger ist, wissen alle, die ihn kennen.
Einige Sekunden Stille erfüllen den Raum.

"Wenn wir auf Tour sind und nur schreiben, da vermisse ich sie ja auch. Man, da würd' ich für sie eigenhändig 'nen Tunnel quer durch Deutschland bauen, nur, dass wir uns sehen können."
Ich nicke wissentlich. Das habe ich schon mitbekommen.
"Aber wenn wir die ganze Zeit aufeinanderhocken und sie einfach...unselbstständig ist...man, dann kann ich das nicht."
Er schaut mich an.
"Man, alter, merkst dus nicht? Die Alte nutzt dich nur aus, kommandiert dich rum, die's nicht gut für dich."
Eindringlich sehe ich ihn an.
"Man, was weißt du denn eigentlich? Meine Beziehungen haben bis jetzt immer besser funktioniert als deine. Du kriegst doch selbst nicht wirklich 'was hin. Siehe Tommi."

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