2. Oktober 2020, Köln
Perspektive Thomas "Tommi" Schmitt
Endlich sehe ich ihn wieder. Endlich, endlich, endlich. Seine Nachrichten taten mir so unfassbar weh. Auf dem Bild, das er mir von sich geschickt hat, sehen seine Augen unglaublich traurig aus. Und viel müder als sonst. Tiefe, dunkle Ringe dominieren seine Augenpartie. Er versteckt sein Gesicht hinter Micha, hält sich an ihm fest. Umso mehr schreit mich sein Trübsinn an.
In den folgenden zwei Tagen erhielt ich neben unzähligen Nachrichten zwei besondere Dinge von ihm: Ein Bild von seinem neuen Gürtel per WhatsApp und am nächsten Tag einen Brief im Briefkasten.
Auf dem Bild trägt er den Gürtel, es zeigt einen knappen Ausschnitt seiner Hüfte. Das T-Shirt zieht er mit der anderen Hand nach oben, sodass nicht nur die Sicht auf das Accessoire, sondern auch auf seinen Bauch für mich freigegeben ist. Den herausstehenden Hüftknochen, der seine weiße Unterhose betont, nicht zu vergessen. Minutenlang saß ich verliebt lächelnd vor meinem Handy und habe mir das Bild angesehen, kenne jeden Pixel, habe die Wäsche im Hintergrund aufmerksam studiert, jede seiner Adern an Händen und Armen gezählt, genau begutachtet. Die Beule in seiner Hose ist eindeutig zu erkennen, das Preisschild hängt noch über ihr. Er ist einfach nur verdammt heiß.Der Brief war, wie sich herausgestellt hat, ein echter Liebesbrief. Als wären wir Teenager, die zu schüchtern sind und es nötig haben, sich Schriftstücke mit Liebesbekenntissen zu schicken. Aber irgendwie ist es ja doch verdammt süß. Und ich vermisse ihn ja auch.
Vorfreudig schmunzelnd habe ich mich auf die Couch gesetzt, nachdem ich am Briefkasten war und den Absender gelesen hatte. Ich wusste davon nichts, es war eine heimliche Aktion seinerseits. Umso mehr musste ich grinsen, als ich las, was er alles zu Papier gebracht hatte. Fast wörtlich kann ich es zitieren, weil ich mir den Text so oft durchgelesen, jedes Wort hinterfragt und interpretiert, seine Handschrift analysiert habe und auch nach dem hundertsten Mal auf den gleichen Entschluss komme: Er meint es wirklich ernst. Mit mir, mit uns. Nicht, dass ich daran jemals gezweifelt hätte, seine Worte fungieren nur als deutliche Bestätigung für das Gefühl, das ich habe, seit wir uns im Krankenhaus das erste Mal geküsst haben.Später hat er mir dann mitgeteilt, dass er den Text noch in der Nacht geschrieben und den Brief am gleichen Morgen weggebracht hatte. Meine Verwunderung, wie schnell Post von Berlin nach Köln kommt, hält sich nicht in Grenzen. Sonst schreibe ich ja nur E-Mails. Die sind innerhalb weniger Sekunden im Postfach des Empfängers.
Auch jetzt, in Köln habe ich den Zettel dabei. So oft habe ich ihn schon auseinander- und wieder zusammengefaltet, dass die Knicke und Lesespuren mehr als nur deutlich zu sehen sind. Ich trage ihn in der Innentasche meiner schwarzen Anzugsjacke und warte gespannt auf den Mann, um den es für mich heute Abend geht. Scheiß auf den Comedypreis. Okay, vielleich nicht ganz- sollten wir ihn gewinnen. Aber Felix ist wichtiger.
Ungeduldig schaue ich auf meine Uhr, die andere Hand steckt in meiner rechten Hosentasche, die etwas eng ist, weil es sich um eine Anzughose handelt. Natürlich ist er zu spät. Trotzdem muss ich lächeln. Und dann grinsen. Breit grinsen. Denn dann erscheint er. Er scheint. Meine Erscheinung. Seine beige Guccihose, sein weißes T-Shirt, die Rolex, die perfekten Zähne, die leuchtenden Augen. Sie strahlen mich an. Mir geht das Herz auf als er auf mich zukommt. Ich sehe, dass auch er ein verdächtig breites Grinsen unterdrücken muss und sich auf die Unterlippe beißt."Hey." sagt er und hält sich eindeutig zurück. Ich kann mir nicht ausmalen, was er in diesem Moment mit mir machen wollen würde. Küssen auf jeden Fall. Und die Hände an meinen Arsch legen, reinkneifen. Safe.
Wir lächeln, umarmen uns und bevor er mir auf den Rücken klopfen kann, streichle ich noch über seinen Bauch. Er spannt extra an, das merke ich.
"Gut siehst du aus."Um uns herum versammeln sich immer mehr Comedygrößen, die wir alle kennen. Oder die uns kennen.
Wie auf dem roten Teppich stehen wir nebeneinander, lächeln, lachen, geben Leuten die Hände, umarmen sie, reden kurz mit ihnen. Manche bleiben kurz oder länger bei uns stehen, einige ingorieren uns.
Ich finde das Rampenlicht, die vielen Menschen, Gesichter und Kameras sowie die Aufregung befremdlich. Wenn es besonders schlimm ist, stelle ich mich leicht hinter Felix, was kaum stört, da ich eh größer bin als er. Dann fühle ich mich sicher und auch irgendwie zuhause.
Manchmal schaue ich ihn proaktiv an, beobachte ihn sowieso die ganze Zeit, er meistert die Situation ziemlich solide.
In seinen Augen erkenne ich trotzdessen das Bedürfnis, seinen Kopf auf meine Schulter zu legen.
Während einer ruhigeren Minute neige ich mich zu ihm hinunter und flüstere "Wer von den Anwesenden soll es eigentlich wissen?"
Ich lächle kurz für ein Foto.
"Ich will uns nicht permanent verstecken. Einige hier haben es echt verdient."
Professionell nickt er nur kurz und greift dann nach meiner Hand. Mein Herz bleibt für eine Sekunde stehen. Unauffällig zieht er mich aus dem Trouble heraus und nimmt mich zur Seite."Nicht so spontan, bitte. Ich muss mich darauf vorbereiten. Hallo übrigens, mein Prinz." sagt er, dreht sich kurz vergewissernd um, stellt sich auf Zehenspitzen, legt die Hand an meine Brust und gibt mir einen Kuss. Einen viel zu kurzen, aber schönen Kuss.
Ich nicke.
"Für Vorschläge bin ich aber offen."
Er lehnt sich neben mich gegen die Wand.
"Hazel und Thomas vielleicht? Denen sind wir das sozusagen doppelt schuldig. Von denen wusste außerhalb der Medienbubble auch keiner, dass sie seit mehreren Jahren zusammen sind. Und mittlerweile sogar verheiratet. Die können uns bestimmt gute Tipps geben, was das angeht." schlage ich vor.
"Hm ja okay, agreed. Die hab ich vorhin auch irgendwo rumtanzen sehen. Hazel trägt eine babyblaue Latzhose und Thomas weicht ihr nicht von der Seite. Ist schon süß."
"Ich hab' ja dann noch einen Drehtermin mit Pierre." setze ich fort.
"Dem vertraue ich eigentlich. Der hält dicht. Ich bekomme das Video zur Sicht eh nochmal geschickt, die sollen das einfach nicht mit reinnehmen."
Zögerlich nickt mein Freund.
"Aber bitte nur, wenn's ranpasst. Du musst es nicht rausposaunen."
Jetzt nicke ich. Etwas überzeugter als er. "Versprochen."
"Ihr esst danach noch diesen Podolski-Döner, wa?"
"Ja genau, so war's geplant. Er holt mich hier ab, laufen dann dort hin und fressen wie die Schweine!"
Ich lache kurz.
"Naja, 'ne Henkersmahlzeit wird's nicht, aber der soll schon gut sein."
Felix nickt, schmunzelt leicht.
"Na dann muss ich dem Krause wohl nochmal sagen, dass er meinen Prinzen ordentlich eskortieren soll.""Heeeey Tommi!" höre ich dann eine aufgedrehte Stimme hinter mir. Einen Augenblick später erscheint ein 1,89 Meter großer, schlanker Mann mit Wuschelhaaren neben mir. Luke Mockridge. Er trägt einen komplett schwarzen Anzug.
Wir schlagen kurz ein, dann sieht er auch Felix, der immer noch gegen die Wand gelehnt ist. "Ach, hi." Sie nicken sich verhalten zu.
"Podcast seid ihr nominiert, oder?"
"Ja, und ich noch Comedian." fügt Felix knapp hinzu.
"Ich weiß. Ich auch." Der Berliner nickt gleichgültig. Ich weiß nicht, ob es ihm egal oder er siegessicher ist.
"Und noch Comedyshow und Moderation. Ach ja- und ich eröffne das Ding."
Ich weiß nicht, ob er angeben will. Felix kann er damit nicht wirklich beeindrucken. Abgebrüht nickt er nur.
"Naja, na dann bis dann. Viel Erfolg."
Er geht. Wir atmen gleichzeitig aus.
"Ihm erzählen wir's nicht. Der mit seiner Moderation ist doch eh nur Aushängeschild für das, was die vielen Comedyautoren hinter den Kulissen fabrizieren. Und über die Inszenierung seiner Person reden wir erst gar nicht".Felix seufzt, scheint mies gelaunt. Ich klopfe ihm auf die Schulter.
"Ach man, warum sind wir so verplant und haben das nicht vorher geregelt?" fragt er und seufzt, fährt sich mit den Händen über das Gesicht. Ich stelle mich schützend vor ihn.
"Weil wir beide mehr damit beschäftigt waren, den anderen zu vermissen." Er nickt, legt die Hand an meinen Bauch, spürt den Brief in der Innentasche und grinst.
"Als ob du den mit hast."
"Na klar." Ich grinse selbstbewusst, Felix muss lachen.
"Du Spinner."
"Du hast doch damit angefangen."
"Ja okay, hast recht." Er lacht. Das ist gut."Was ist mit Simon Stäblein? Der ist doch schwul. Der freut sich bestimmt, wenn er innerhalb der Szene noch Ähnlichgesinnte hat. Auch, wenn wir in etwa das komplette Gegenteil zu ihm sind." schlage ich dann weiter vor.
"Hm, ja. Aber wir kennen ihn kaum. Einfach random zu ihm hingehen und ihm das offenbaren wäre zu awkward."
Beccy unterbricht unsere Überlegungen.
"Jungs, wir müssen ins Studio. Die Aufzeichnung beginnt in wenigen Minuten."
Ein weiteres Mal bin ich von ihrer stumpfen Organisiertheit fasziniert, die auch bei Felix greift.
Gemeinsam laufen wir durch den großen Saal zu unseren Plätzen- drei schwarze Sessel um einen kleinen Tisch herum, ziemlich weit links von der Bühne. Auf dem rechten Sessel steht ein Zettel mit meinem Namen, in der Mitte sitzt Felix und ganz links Beccy. Sie fällt mit ihren dunklen Haaren und den schwarzen Klamotten im Raum kaum auf- im Gegensatz zu Felix. Mit dem weißen T-Shirt, den Augen und dem Lächeln leuchtet er in dem abgedunkelten Saal. Mein Aussehen pendelt sich irgendwo zwischen diesen beiden Extremen ein.Ab jetzt müssen wir wirklich zu 100 Prozent so tun, als wären wir nicht zusammen. Das Risiko, dass uns irgendeiner der Anwesenden oder eine Kamera beobachtet, ist einfach zu groß.
Unauffällig beugt sich Felix zu mir herüber und flüstert "Torsten Sträter würde ich es aber schon gern sagen. Der is' lieb, der hält dicht, dem vertraue ich. Er hat 2018 so 'ne geile Laudatio auf mich gehalten, wir kennen uns seit fünf Jahren. Torsten Sträter ist ein guter Mann. Hab' mit ihm schon viel über Beziehung und so gequatscht, weil er geschieden mit Sohn ist. Und er will immer, dass alle um ihn herum glücklich sind."
Dabei spüre ich seinen Atem an meinem Hals, bekomme eine leichte Gänsehaut, nicke aber. Dagegen habe ich keine Einwände, soll er machen. Ich weiß, wie sehr sich die beiden Männer gegenseitig verehren.
Felix nickt auch noch einmal, richtet sich wieder auf und sieht sich neugierig nach dem Mann mit Mütze um.

DU LIEST GERADE
Platzierte, verkopfte, elegalante Gemischtes Hack Story
RandomKreativerer Titel kommt vielleicht noch,aber so wisst ihr wenigstens, worum es geht. Für die Tzex-Ferkel: Kapitel 18: Felix top, Sicht Felix Kapitel 57: Felix top, Sicht Tommi Kapitel 69: Tommi top, Sicht Tommi Kapitel 100: Tommi top, Sicht Felix Ka...