#38 Cappuccio

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31. Dezember 2019

Perspektive Felix Manuel Lobrecht

"Hey. Ich hab' dich vermisst, Süße." höre ich einige Schritte hinter ihnen stehend Tommi säuseln. Seine Hände legt er verliebt lächelnd an Selina's Hüfte und küsst sie leidenschaftlich. Sie sehen zusammen echt glücklich aus und ihre Körper scheinen perfekt zueinanderzupassen. Seine Freundin ist etwas kleiner als Tommi, doch er muss seinen Kopf gerade noch so nach unten neigen, dass es eigentlich ganz schön aussieht. Ich könnte theoretisch ebenso an ihrer Stelle stehen.

Mich hat sie noch mit keinem Blick gewürdigt und tut gar so, als hätte sich das Paar jahrelang nicht gesehen. Nach gefühlt zwei Minuten lösen sie sich langsam aus dem Begrüßungskuss und ich kann sehen, wie sie ihn mit ihrem Blick festhält und sie verharren noch ein paar Sekunden in dieser Position. Viel zu lange Sekunden. Einen dummen Spruch, um die wie frisch Verliebten zu trennen, behalte ich mir vor.

Noch einmal küssen sie sich kurz, bevor sich Selina zum ersten Mal mir zuwendet und mich mit den ziemlich kalten Worten "Hey Felix." begrüßt. Verhalten lächele ich und wir umarmen uns kurz. Etwas zu ihr zu sagen habe ich nicht, doch das Ziehen in meinem Bauch verstärkt sich enorm.

Bevor wir uns aus der einsekündigen Umarmung lösen, schaue ich Tommi an: Es scheint, als käme er mit dem Anblick der Menschen, die er als letztes geküsst hat, in einer Umarmung nicht zurecht. Hektisch springt sein Blick zwischen meinem Arm und ihrem Rücken hin und her. Die plötzlichen Falten auf seiner Stirn verraten ihn zusätzlich.

Mir gefällt es ja auch nicht.

"Kann ich reinkommen?" fragt Selina, anscheinend mit rhetorischem Hintergrund, um die unangenehme Stille, in der Tommi sie anhimmelt, zu unterbrechen.
"Nein." antworte ich, woraufhin sie mich entrüstet anschaut.
"W-wir wollten direkt spazieren gehen. Is' ja warm draußen."
Tommi spielt den Plan zu seinem Schutz glücklicherweise mit und richtet seinen Schal so, dass die Enden unterschiedlich lang sind.

Wir sind nämlich schon angezogen- Selina noch. So schnell wird sich das auch nicht ändern.
Dass sich mein männliches Gegenüber bezüglich der angeblich hohen Temperaturen anhand seines Rollkragenpullis selbst widerspricht, ist zwar ungünstig, fällt Selina jedoch auch nicht auf.
Und irgendwie mussten wir die Flecken an seinem Hals halt verstecken. Zum Glück ist Tommi modisch der Typ dafür.

Immernoch leicht gereizt versucht Selina, ihren Unmut mit einem losen Kommentar zu überspielen:
"Hä, lasst mich doch mal wenigstens kurz rein und ankommen."
Sie lacht und es klingt gekünstelt.
"Oder was habt ihr in seiner Wohnung zu verstecken?"
Eigentlich würde ich beim dem Stichwort "verstecken" jetzt lachen, aber ihre Art, mit der sie sich nicht entscheiden kann, ob sie uns beide oder nur ihren Geliebten anspricht, nervt mich.
Ich liefere ihr keine Antwort; Tommi bleibt auch still.

"Warum trägst du eigentlich einen Schal, mein Schatz?" fragt sie flötend, nimmt die Enden des Accessoires jeweils in eine Hand und streicht von dort nach unten über seine Brust. Tommis Blick verzieht sich leicht und er beißt sich auf die Lippe. Als sich unsere Blicke treffen, erkenne ich jedoch, dass er froh über die Richtung ihrer Handbewegung ist. Nach oben an seinen Hals wäre fatal gewesen.

"Hab' mich wohl etwas verkühlt." flunkert Angesprochener wie ausgemacht und hustet gestellt.
Anhand ihres mitleidigen Blickes könnte man vermuten, sie würde die "Leiden" seiner "Erkältung" für ihn auf sich nehmen wollen, dass es ihm besser geht.
Ich ertappe mich dabei, wie ich in einem realen Krankheitsfall bereit wäre, das selbe Opfer für ihn zu bringen.
Dass ich mich beim Anblick der beiden wie ein vollkommen Außenstehender fühle, verbessert weder meine Laune, noch meine Einstellung zu Selina.

"Sieht aber gut aus. Der Schal, als auch der Pulli."
Selina, ich habe es verstanden. You adore him.
Sie kann echt nicht aufhören, zu schleimen.
Obwohl sie ja recht hat: das ziemlich eng sitzende Oberteil definiert seinen Körper verdammt gut und auch so gleicht seine Erscheinung einem Wunder.

Nur schwer kann ich meinen Blick von ihm lösen und das auch nur, als Selina sich damit abgefunden zu haben scheint, dass sie meine Wohnung vorerst nicht betreten wird.

"Das Blut hier hab' ich vorhin schon gesehen..."
murmelt sie leise, als wir uns kurz vor der Haustür befinden. Tommi's Hand hat sie auf dem Weg nach unten die ganze Zeit gehalten, als wäre sie unfähig, die Treppe allein zu gehen. Zumal ist mein Hausflur auch ziemlich eng- zumindest zu eng, als dass man bequem zu zweit nebeneinander gehen könnte.

Ihr subtiler Hinweis erinnert mich an den Morgen der Schlägerei und daran, dass wir das eigentlich noch wegmachen wollten. An das genaue Datum kann ich mich jedoch nicht einmal mehr erinnern.

Ich glaube, gesamt Berlin ist für sie Neukölln und asozial. Und gewalttätig. Und blutig.
Sie sagt das zwar nicht diekt, dafür übernimmt ihr Gesichtsausdruck das.
Anhand dessen bekomme ich eine Gänsehaut, obwohl ich aus Solidarität mit Tommi eine Jacke trage.
Leicht angesäuert, aber lustlos, ihrweitere Paroli zu bieten, schaue ich ihr kurz eindringlich in die Augen und öffne dann die Haustür, sodass die beiden austreten können.
"Berlin ist echt 'ne schöne Stadt."
Leere Floskel.

Dass man Berlin mit einer Einwohnerzahl von über vier Millionen nicht so verallgemeinern kann, ist ihr wohl offensichtlich nicht bewusst, was sie nicht symphatischer macht.
Eigentlich stand ich ihr neutral bis leicht positiv gegenüber, weil ich Menschen, die ich nicht persönlich kennengelernt habe, nicht beurteilen will.
Die knapp zwanzig Minuten, seit denen sie hier ist, hat sie nicht gerade zu ihrem positiven Image beigetragen- eher im Gegenteil.

"Schaaaaaatz?"
Der Kosename geht mir gegen den Strich.
"Können wir hier später nochmal spazieren gehen?"
Tommi nickt.
Ihr "Ohne Felix." hört jeder im Umkreis, ohne, dass sie es es ausspricht.
Ich verdrehe die Augen.
Den Rest des ach so tollen Spaziergangs bleibe ich weiterhin stumm; beobachte sie nur, wie sie sich bei Tommi eingehakt hat.
Die Funktion eines Stadtführers muss ich zum Glück nicht erfüllen.

Ich sperre meine Wohnungstür auf.
"Willst du was trinken?"
frage ich aus Höflichkeit.
"Die Fahrt vorhin war bestimmt anstrengend." vermute ich bedeutungslos, um etwas mehr scheinbare Tiefe in die Unterhaltung zu bringen.
"Ja, einen Cappuccio gerne. Äh, Cappuccino meine ich." antwortet Selina, während sie ihre Schuhe und Jacke auszieht.
Ob das Absicht war, weiß ich nicht.
Dass das ein Insider von Tommi und mir ist, weiß sie hoffentlich.
Zum ersten Mal in meinem Leben werde ich so richtig eifersüchtig.
Selina trinkt einen C-A-P-P-U-C-C-I-N-O.
Tommi trinkt einen Kaffee.
Ich trinke Wasser.
Ich beobachte Tommi; würdige seine Freundin keines Blickes.
Einen letzten Kommentar, um ihr wenigstens eine kleine Erinnerung an meine Existenz und Beziehung zu Tommi zu geben:
"Der Herr Schmitt trinkt auffallend elegalant."
Es ist unser Podcast. Und mein Tommi.


Bin selbst überrascht, dass ihr das gerade lesen konntet.

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