Platzierte, verkopfte, elegalante Gemischtes Hack Story

#82 Schwindigkeit

Perspektive Felix Manuel Lobrecht

"Cool." fügt er hinzu. Und lächelt. Er lächelt ehrlich. Das gefällt mir, mein Herzschlag beruhigt sich wieder und ich streichle mit dem Daumen über Tommis Handrücken. Auch seine Anspannung ist merklich abgefallen.
"Wie kommt's? Erzählt mal."
Der hoch gewachsene Mann hält seine Hände so, als wärme er sich an einer großen Teetasse und warte nun darauf, dass Oma vom Krieg erzählt.

"Puh, also, wie soll man da anfangen?" fragt Tommi und fährt sich mit der freien Hand ratlos durch die Haare. Ich hingegen versuche, es kurz zu fassen. Details kann er später erfahren.
"Naja, also er war mal für eine Aufnahme bei mir. Anfang oder Mitte Dezember. Da hatten wir irgendwie so 'ne sexuelle Stimmung. Wir waren dann noch auf 'nem schlechten Weihnachtsmarkt, haben Alkohol getrunken."
Ich schlucke.
"Irgendwie kam dann eins zum anderen, aber irgendwie hat es sich auch gezogen, finde ich."
Mein Kopf dreht sich zu Tommi, ich kann mich nicht zu einem Lächeln durchdringen. Er nickt nur.
"Ich war dann mal im Krankenhaus. Da ging's mir ziemlich beschissen. Er war die ganze Zeit für mich da. Wir haben uns da dann auch das erste Mal geküsst."
"Ich hab' mich dann von Selina getrennt."
Jetzt schluckt er.
"Und irgendwann waren wir dann zusammen." ergänzt Tommi nach einer weiteren Pause. Ich finde, dass es das ziemlich gut zusammenfasst, auch, wenn es im Rückblick komisch klingt. Aber es hat sich alles irgendwie entwickelt, ohne, dass wir darüber nachgedacht haben. Stefan nickt anerkennend und lächelt. Ich lasse Tommis Hand los, da er nun sicherer zu sein scheint.

"Ich find's wirklich sehr stark von euch beiden. Wer weiß es denn alles schon?"
"Also mein Bruder, meine Managerin, meine beste Freundin und ein Kumpel von mir. Und die StandUp44-Crew, Arbeitskollegen sozusagen."
"Marvin auch. Der, der immer die Bilder macht." fügt Tommi hinzu.
Max nickt, irgendeine Frage scheint ihm aber noch auf den Lippen zu brennen.
"Und Selina?"
"Ja, die auch."
Er merkt, wie sehr uns das Thema belastet.
"Weißt du was, Tommi? Ich finde das wirklich gut. Dass du dich nicht versteckst. Dass ihr euch nicht versteckt. Dass ihr dazu steht. Ich bin wirklich stolz auf meinen kleinen Bruder."
Er klopft ihm anerkennend auf die Schulter.
"Das trauen sich nicht viele. Respekt."
Tommi lächelt. Er lächelt so ehrlich und zutiefst froh, dass es so aussieht, als wäre zum ersten Mal in seinem Leben jemand stolz auf ihn.

"Habt ihr schon irgendwie Hate in der Richtung oder so bekommen?" will er dann wissen und schaut uns missmutig an. Wir schütteln die Köpfe. Zum Glück nicht.
"Ey, wenn jemand was gegen meinen kleinen Bruder hat, dann hat er ein Problem mit mir – das gilt nach wie vor, das weißt du hoffentlich." sagt er und schaut Tommi in die Augen, lächelt.
"Danke, man." sagt dieser.

Ich kenne Max nicht sonderlich, schätze ihn aber so ein, dass er das ernst meint. Er steht auf und geht in die Küche, holt sich eine weitere Bierflasche.
Tommi und ich schauen uns an, unsere Blicke sagen das Gleiche: Es fühlt sich einfach gut an, von einer Person Akzeptanz entgegengebracht zu bekommen und offen reden und handeln zu können.

"Mama und Papa wissen es noch nicht, oder?" fragt er vorsichtig und schaut sich nervös um. Auf mich macht er den Eindruck, als hätte auch er ein Problem mit der Trennung ihrer Eltern- was ich natürlich verstehen kann. Inwieweit er mit einer vertrauten Person darüber gesprochen hat, vermag ich nicht einzuschätzen. Aber er scheint sich in diesem Punkt nicht sehr von seinem Bruder zu unterscheiden.
Dieser schüttelt den Kopf.
"Nein. Aber ich habe vor, es zumindest Papa zu sagen. Meinst du, das ist 'ne gute Idee?" fragt er unsicher. Max überlegt kurz, starrt in die Luft.
"Hm. Ich denke nicht, dass er dich enterben wird. Er wird aber auch nicht freudestrahlend eine Regenbogenflagge rausholen. Vielleicht akzeptiert er es. Diplomatisch, wie er ist. Sicher bin ich mir aber absolut nicht. Ich mein', das war nie Thema."
Tommi nickt. Diese Erkenntnis hatte er auch schon.