#60 Dicke Milchtitten

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Perspektive Thomas "Tommi" Schmitt

Der Berliner Hauptbahnhof ist groß. Sehr groß.
Selbst ich, der an die Großstadt Köln gewöhnt ist, bin überwältigt von den Menschenmassen, der Lautstärke und der Hektik.
Etwas orientierungslos bleibe ich in irgendeiner großen Halle stehen und schaue mich um. Alles, was ich weiß, ist, dass ich auf Gleis 14 muss und beginne, auf den unübersichtlichen Anzeigetafeln über mir nach meiner Verbindung zu suchen.
Noch 37 Minuten habe ich, um mich endlich zurechtzufinden.
Sich zu konzentrieren ist so fast unmöglich, weshalb ich mich nach einer Entspannungsmöglichkeit umschaue.

Wie ein Leuchtturm in einer stürmischen Nacht auf der See strahlt mich ein leerer grauer Sitzplatz zwischen vielen geschäftigen Leuten an und wirkt wie ein Magnet.
Erschöpft von fünf Minuten Hauptstadtbahnhof setze ich mich, schließe die Augen und versuche, mich auf die Musik zu konzentrieren, die aus meinen AirPods kommt.
Aber auch das gelingt mir nicht.
Eine fast schon schreiende Durchsage kündigt die Verspätung irgendeines Zuges an, ob es meiner ist, keine Ahnung.
Ich werde schon nach Hause finden, zur Not fahren die Züge jede Stunde bis abends noch. Gegen etwas mehr Zeit in Berlin habe ich nichts, solange ich an einem Ort bin, an dem ich mich sicherer fühle.

Zur Ablenkung und froh darüber, dass ich sitze, hole ich mein MacBook heraus und stelle es auf meinen Schoß.
Als ich es hochfahre, wird mir schmerzlich laut wieder in Erinnerung gerufen, dass es einen Initialisierungsfehler hat und es erst einen Neustart benötigt, um richtig verwendet werden zu können.
Seufzend klappe ich es wieder zu, die Lust an produktiver Arbeit ist mir vergangen.

Meinen Kopf lasse ich nach hinten fallen, schließe die Augen wieder.
Die Lehne des Stuhls ist zu niedrig, ich knicke weg und schrecke auf.
Wie scheiße kann eine Situation eigentlich sein?

So, wie ich es immer tue, wenn ich Zuflucht brauche, hole ich umständlich mein Handy aus der Hosentasche.
Felix hat mir geschrieben.
"Ja" antworte ich knapp auf seine Frage.
Innerhalb eines Bruchteils nur einer Sekunde taucht eine neue Nachricht im Chat auf:
"Kannst du telefonieren?"

Ich sehe mich um und nehme wieder die Menschen wahr, die ziemlichen Lärm verursachen. 
Seit ich Felix' Nachricht gelesen habe, konnte ich diesen auf wundersame Weise ausblenden.

"gib mir eine minute. ich ruf dich an."
tippe ich flüchtig, springe auf und nehme meine Tasche in die Hand. Ich laufe nach draußen, den Weg finde ich wie fast automatisch, ohne mich groß umsehen zu müssen. 
Während mich die frische Luft anzieht hoffe ich, dass ich in meiner Hast die Nachricht überhaupt abgeschickt habe.

Ich überprüfe dies nicht, als ich draußen bin, tief einatme und meine erste Aktion der Anruf ist.
Alles andere blende ich aus.
Mein Herz schlägt schneller, als das monotone Tuten beginnt. Es ertönt nicht lang, nur eineinhalb Mal, bis es durch Felix' vertraute Stimme ersetzt wird.
"Tommi?". Er klingt aufgeregt.
"Ja?" frage ich unsicher zurück. Ob irgendetwas passiert ist?
"Was siehst du um dich herum? Wo bist du?" Seine Stimme zittert. Ich mache mir echt Sorgen. Stumpfe Verkehrslaute aus seinem Hintergrund dringen an mein Ohr.

Das große Schild "Ausgang Washington-Platz" habe ich noch in Erinnerung und teile ihm das mit.
"Ecke Friedrich-List-Ufer." kann ich noch ergänzen, als ich einige Schritte nach links gehe und mich weiter umsehe.
"Hier ist so'n Dunkin Donuts." fällt mir auf.

Ein Hupen erschreckt mich. Ob es bei mir oder bei ihm am Telefon war, kann ich nicht sagen. 
Ich klammere mich an die Tasche in meiner Hand.

"Alles klar. Bleib da, wo du bist. Ich hol' dich ab."
Ich nicke, auch wenn er das nicht sehen kann. 
Gerade hänge ich noch der Frage "Was soll ich sonst tun?" nach, als mich das ernüchternde Geräusch der Verbindungstrennung darin unterbricht.
Perplex antworte ich mir selbst leise mit "Nichts", zucke ratlos mit den Schultern und tue an meinem Fleckchen Erde genau das, was er mir befohlen hat- ich warte.
Wie lang, weiß ich nicht.

Platzierte, verkopfte, elegalante Gemischtes Hack Story Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt