#107 Die dritte Tür

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Ein Lacher und damit ein verlorenes Leben ist zwar traurig, aber okay. Ich will nur nicht der Erste sein, der rausfliegt. Das wäre eine Blamage. Also muss ich mich ab jetzt wirklich stark konzentrieren und zusammenreißen.
Zuerst jedoch dürfen wir einen kurzen Moment der Ruhe genießen. Die Zeit, in der wir lachen dürfen, ist eigentlich die Beste. Nur währt sie leider nicht lang.
Bullys Control Room liegt für meinen Geschmack nämlich viel zu nah an unserem Studio. Das hätte ruhig ans andere Ende Berlins gezimmert werden können. Dann wäre sein Weg durch die dritte Tür länger und wir hätten mehr Zeit, um uns auszulachen.
Jetzt, als es weitergeht, ist da wieder diese unendliche Anspannung, die ich in allen von uns feststellen kann.
Mein Bier muss wieder herhalten. Noch fünf Stunden.
Als Kurt die Lampe nach Hack fragt, esse ich stattdessen wieder den Backofenhandschuh, habe mich gegen den Goldenen von vorhin entschieden.
Die ganze Zeit über finde ich nicht den Mut, eine meiner vorbereiteten Sachen zu präsentieren und bin eher passiv. Dafür muss ich die ganze Zeit daran denken, wie witzig die Reaktionen wären. Auch das führt leider dazu, dass ich oft fast lache.

Unschuldig sehe ich mich im Studio um und entdecke Klaas, wie er eiskalt und ganz selbstverständlich Frauenohrringe trägt. Allein anhand der grotesken Situation habe ich Probleme, nicht zu lachen. Da muss nicht einmal etwas passieren, das ansatzweise lustig ist. Aber leider ist der Raum zusätzlich nicht gerade inaktiv.
Vor Allem Pastewka ist unermüdlich. Und das ist das Beschissenste an dem Mann. Sonst ist er perfekt. Bastian und Max sind einfach viel zu lustig. Die beiden in einem Raum sind für alle anderen Beteiligten ungünstig. Außerdem belastet mich, dass Krömer mich mit seinem Berliner Dialekt immer an Felix erinnert. Das macht es sehr schwer, nicht zu grinsen,weil ich immerzu an meinen Freund denken muss.

Mir ist warm. Ich will hier raus, habe nicht viel geschlafen, befinde mich bereits an meinen Grenzen.
Ich schließe die Augen und schicke ein wirres Stoßgebet zum Himmel, in der Hoffnung, dass irgendetwas davon irgendwie hilft. Aber nur akustisch ist Pastewka leider nicht weniger lustig. Sobald ich weiter darüber nachdenke, komme ich immer näher an die Schwelle zum Lachen. Das darf keinesfalls passieren.
Ich realisiere, dass wenn ich jetzt nichts mache, es zu spät wird. Also hole ich meinen vorbereiteten Computer aus dem Locker Room. Comic Sans MS stellt sich wunderbar für komödiantische Zwecke heraus und ich greife schon seit vielen Jahren darauf zurück. Für den durchaus primitiven, in eigenartigem, pastellgrünem Schriftzug "Sprachcomputer" scheint es perfekt. Im Zuge der Konstruktion meines vorbereiteten Acts habe ich mich von Heimwerkerkönig Fynn Kliemann inspirieren lassen und nach der Anleitung seines Stimmband-OP-Videos einen Laptop plus Lautsprecherbox auf eine Holzplatte mit Gurten gebastelt. Nur eben unprofessionell und dilettantisch. Aber es hält. Ich sitze ja eh nur auf der Couch.
Den Stern auszuschneiden war dabei eigentlich die größte Herausforderung. Denn ich habe einfach keine Schere zu Hause oder in irgendeinem Büro. Und wenn ich eine besorgen konnte, war sie keine Linkshänderschere.
Trotzdem empfand ich die Aktion von Kliemann als total witzig, wie er die Leute in seinem Umfeld damit genervt hat. Also sehe ich jetzt meine Chance.
Anke Engelke ist mein erklärtes Opfer. Zu hohes Kaliber, wie ich im Nachhinein feststellte. Ich scheitere an ihrem steinharten Willen, nicht zu lachen. Außerdem stiehlt mir nach kurzer Zeit Larissa die Show.

Leider mit Erfolg. Schon wieder mache ich den Fehler und halte mir den Mund zu. Aber es geht nicht anders. Ein verhängnisvoller zweiter Fehler. Mir wird hier nichts verziehen. Niemandem wird hier irgendetwas verziehen. Blöderweise bin ich also doch der Erste, der sein zweites Leben verliert und damit der Erste, der rausfliegt. 
Dass ich es nicht bemerkt habe, ist keine faule Ausrede. Lachen ist einfach so subtil, so normal, dass ich es nicht aus Intention getan habe. Irgendwie beruhigt mich dieser Gedanke und ich freue mich auch ein bisschen. Denn jetzt kann ich wieder Felix schreiben und darf ungehemmt lachen. Es fühlt sich fast an wie ein Befreiungsschlag.
Gleichzeitig bin ich aber auch enttäuscht. Enttäuscht von mir selbst. Enttäuscht, weil ich so früh raus bin. Enttäuscht, weil ich einfach gelacht habe. Enttäuscht, weil ich mehr erwartet habe. Enttäuscht, weil ich der Erste bin.
Ich bin so enttäuscht, dass ich beim Rausgehen nicht einmal auf Bully warte. Wie unhöflich. So wurde ich nicht erzogen. Ich beiße mir auf die Unterlippe, versuche all meine Emotionen zu unterdrücken und bleibe stehen. Mir fällt wieder auf, wie klein Bully eigentlich ist. Ist Felix größer? Ich müsste ihn nur umarmen, um das abschätzen zu können. Aber das fällt aus. Ich bin raus.

Genau das schreibe ich auch meinem Freund, sobald ich neben Bully auf seiner großen Couch sitze. Dabei bin ich bemüht, es so unauffällig zu machen, dass ich keinesfalls sein Interesse wecke, einen Blick auf meinen Bildschirm zu erhaschen. Das wäre fatal. Gleichzeitig muss ich ja aber auch weiter Interesse am Geschehen im Studio zeigen.

Heimlich schicke ich Felix ein Bild von mir als Beweis. 
Seine Antworten sind so direkt wie unangebracht:
<<mein Tommi lachend is sowieso viel schöner als mein Tommi nicht lachend>>
Sie werden nicht besser, je länger er sich das Bild anschauen kann.
<<wow das dunkle Poloshirt passt so gut zu dieser helleren Couch>>
<<und es betont deine Brustmuskeln und Arme so krass>>
Ich weiß, dass ihn das nicht kalt lässt und auf jeden Fall anmacht. Ich schmunzle kurz schelmisch.
Zum Glück verzichtet er auf eindeutige Emojis. Jedem, der auch nur einen Bruchteil einer Sekunde unseren Chat sieht, wäre sofort klar, dass wir mehr als nur einen Podcast haben. 

Für seine nächste Nachricht braucht er länger. Ungeduldig wechselt mein Blick zwischen Bully, Studiobildschirmen und Handy unter dem Tisch. Immerhin geschehen ja um mich herum auch noch spannende Sachen, denen ich Aufmerksamkeit schenken sollte.
<<Tommi, du siehst in diesem Poloshirt und mit der Kette und dem Bart verboten gut aus. ich glaube wir müssen Sex haben wenn wir uns das anschauen.>> schreibt Felix und scheint ziemlich entschlossen. Noch immer bin ich in der Stimmung des Lachverbots gefangen. Das ist eigentlich auch gar nicht so schlecht. Denn wie sähe das denn aus?

Augenscheinlich hat er sich die Zeit genommen, um sich an meinem flüchtig geschossenen, leicht verwackelten Selfie von schräg unten zu weiden und es zu bewundern.
Wieder muss ich grinsen und beiße mir auf die Lippe. In den nächsten Sekunden versuche ich, meine Aufmerksamkeit komplett auf das Geschehen im Studio zu richten, um meine Abgelenktheit nicht allzu auffällig erscheinen zu lassen und auszugleichen.
Jedoch schiele ich mehrere Male ganz kurz verstohlen nach unten und antworte <<!!!!!!!>>
<<ich bin nicht alleine hier>>
Ich kann nur hoffen, dass davon nicht allzu viel in der fertigen Folge landet. Weil irgendwie ist es ja auch unhöflich, nach Niederlage seinen kämpfenden Kolleginnen und Kollegen einfach keine Beachtung mehr zu schenken.

Felix scheint nun langsam einzusehen, dass es für uns wirklich brenzlig werden könnte, wenn er weiter so machen würde und zügelt sich etwas. Ich bezweifle zwar, dass Bully, sollte er es herausfinden, das Geheimnis nicht bewahren könnte. Aber eine Person mehr kann eben auch eine Person zu viel und eine Gefahr sein. Also nehme auch ich mich zurück. Noch ein kurzer Nachrichtenwechsel, bis meine Konzentration wieder mehr auf der Show liegt.
<<die Maske hamse auch cool gemacht. man sieht weder Augenringe noch Einblutungen.>>
<<...>> erwidere ich knapp. Das ist noch zu viel. Ich höre sein Seufzen bis hier.
<<ich freu mich schon auf dein Intro. der eitle Herr Schmitt wollte mir ja nicht verraten, welche Idee er hatte>>
Okay, damit kann man arbeiten. Das ist eine Vorzeigenachricht, die ich ungelesen lasse, sodass sie auf meinem Startbildschirm angezeigt wird. Sollte den jemand sehen, liest er oder sie wenigstens eine unschuldige Nachricht inklusive Absender und schöpft keinen Verdacht. Zum Glück habe ich nie angefangen, Felix mit einem Herz hinter seinem Namen einzuspeichern. Das wäre auch viel zu gefährlich.

Mir fällt ein, dass ich mit meinem Management sprechen sollte. Nicht wegen Felix und mir. Sondern wegen meiner zugegeben kurzen Rolle in LOL Staffel zwei. Sofort greife ich wieder zu meinem Handy, diesmal etwas auffälliger. Ich schreibe Ansa Seidenstücker direkt, dass ich nach so kurzer Zeit rausgeflogen bin. Nur wenige Sekunden später kommt ihre Antwort, die eher eine sehr direkte und nicht zu ignorierende Aufforderung ist: <<Wir müssen dringend telefonieren.>>

So, es kann sein, dass jetzt erstmal keine Kapitel so häufig kommen, aber es geht auf jeden Fall weiter.

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