62. Blut und Tod

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Blut. Überall Blut.

Fellfetzen.

Überreste der Barriere, die sie so mühevoll aufgebaut hatten.

Blut.

Blut und Tod.

Der Gestank, der an jedem Steinchen hing. An jedem Farnwedel, Dorn, Moosbüschel.

Blut.

Blut und Tod.

Alle Dornenranken, die sie tags zuvor sorgfältig ineinander verwoben hatten, waren zerrissen und kreuz und quer durcheinander geworfen. Überall sah man das verräterische rote Glänzen, selbst an der Decke. Noire schluckte und holte zitternd Luft.

Blut.

Blut und Tod.

Sie trat weiter in die Höhle hinein. Dort hinten lag der blutverkrustete, ursprünglich weiße Körper von Snowdrop, bedeckt von einem vertrockneten Farnwedel. Direkt davor sah man einen Haufen rotbraunen Fells.

Mit zitternden Pfoten wagte Noire sich vor, bis sie den ganzen Körper sehen konnte. Überall war Blut, unzählige Fellplacken waren ausgerissen worden. Kaum eine Blattgröße Fell war noch in seiner ursprünglichen Farbe. Doch dieses kleine Stückchen war dunkelbraun.

Es gab nur einen Wolf, den dieses regungslose Fellhäufchen darstellen konnte. ,,Pfeil.'', flüsterte sie mit erstickter Stimme. Sie wollte sich gerade der Trauer und dem Entsetzen hingeben, als ihr auffiel, wie still es war. ,,Die Welpen!'', keuchte sie und wirbelte zu Woody herum.

Doch der hellbraune Wolf hatte den Blick nicht auf sie gerichtet, sondern auf etwas am Rande der Höhle. Es war ein kleines, braunweißes Etwas, das in einem leuchtenden hellrot glänzte.

Nachdem sie zwei Schritte in die entsprechende Richtung gemacht hatte, erkannte Noire, dass es sich um Wuschel handelte. Der Welpe lag reglos wie Pfeil und Snowdrop zwischen blutgetränkten Moosfetzen und rot glänzenden Dornenranken. Er war furchtbar entstellt, seine Ohren abgerissen und sein Schweif fast durchgebissen. Ihm waren schreckliche Wunden zugefügt worden. Übelkeit stieg in Noire auf.

In diesem Moment hörte die Wölfin ein schwaches Winseln, kaum lauter als das Piepsen einer Maus, doch in der Stille durchdringend wie ein Donnerschlag. ,,Einer lebt noch.'', flüsterte Noire erstickt und sah sich mit wild hämmerndem Herzen um.

Eine schwache Bewegung erregte ihre Aufmerksamkeit. Ein kleiner Farnwedel zitterte noch leicht, als Noire mit dem Kopf herum fuhr. Sofort stürzten Woody und sie sich auf die Bewegung und schoben Moos, Farn und Dornenranken von einem blutigen Fellbündel. Es war Fussel, die die Augen nur als Schlitz geöffnet hatte. Lediglich anhand der sich kaum merklich hebenden und senkenden Flanke wusste Noire, dass die Kleine noch lebte.

Direkt neben der Überlebenden lag ein weiteres Fellhäufchen, diesmal dunkelbraun. Reglos. Tot. Strubbel. Nur mit Mühe konnte Noire verhindern, dass sie umkippte. Fussel war die einzige, die überlebt hatte. Ihre zwei Brüder und ihr Vater waren abgeschlachtet worden und wer weiß, wie es um ihre Mutter bestellt war.

,,Wir müssen sie zu Maroni bringen.'', sagte Woody leise. ,,Fussel, kannst du mich hören?'', fragte er und beugte sich zu dem Welpen herunter. Die Kleine zitterte leicht und atmete nur noch schwach. Wahrscheinlich hatte sie nur überlebt, weil der Angreifer gedacht hatte, sie war tot.

Auf Woodys Frage zeigte sie keine Reaktion. Noire beugte sich hinunter und nahm den Welpen vorsichtig am Nackenfell. Sie nickte Woody zu, der sie vorbeiließ. ,,Bring sie zu Maroni. Ich ... trage die anderen hinaus. Beeil dich.'', drängte er sie.

Noire verschwand im Tunnel und lief, so schnell sie konnte, mit dem blutigen Bündel im Maul und ihren eigenen zahlreichen Wunden.

Sie war froh, als sie endlich wieder an der frischen Luft war. In der Schlafhöhle hatte es stark gestunken.

Wolves - Eine unbekannte GefahrWo Geschichten leben. Entdecke jetzt