45. Winter im Wald

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Die nächsten Tage waren nicht einfacher. Es schneite immer wieder, sodass die ohnehin schon schwache Sonne keine Chance hatte, den Schnee zu schmelzen.

Das Glitzern und die Flocken verloren schnell den Zauber für Noire, denn die Beute wurde nicht mehr und das Leben immer schwerer.

Die Wölfe waren nun ausgehungert und leicht reizbar, viele hatten mehr oder weniger starken Husten, Federohr und Pfeil wurden oft von minutenlangen Hustenkrämpfen geschüttelt.

Die Welpen waren müde und hungrig, das Spielen war ihnen schon lange vergangen. Federohr machte nichts mehr, außer in der Höhle zu liegen, zu frieren und zu husten.

Jeder verbrachte den ganzen Tag mit jagen, und doch war die Beute nur zu knapp. Es gab kaum mal ein ganzes Beutetier für einen Wolf.

Sogar Snowdrop und Maroni gingen nun manchmal mit auf die Jagd. Es gab zwar kranke Wölfe zu behandeln, aber nichts womit sie behandelt werden könnten.

Insgeheim machte Noire sich große Sorgen um Alpha. Die Leitwölfin hustete zwar nicht stärker als andere Wölfe, aber sie arbeitete härter als alle anderen und nahm sich weniger Beute.

Noire verstand ihre Mutter zwar, da sie sich inzwischen auch für das Rudel verantwortlich fühlte, aber trotzdem sah sie mit großen Bedenken, wie Alpha immer dünner wurde, bis man die Rippen zählen konnte.

Trotzdem sagte sie nichts, denn sie wusste, dass alle Worte vergebens waren. Alpha wollte es so, und Überredungskünste trafen bei ihr auf einen unschlagbaren Gegner.

So lebte das Rudel vor sich hin, während es immer noch eisig kalt war, und die Wölfe hungerten. Noire fand Trost und Wärme bei Woody, mit dem sie so viel Zeit wie möglich verbrachte.

Die zwei versuchten nicht, es vor ihren Rudelgefährten zu verheimlichen, und so beobachteten alle das junge Paar.

Natürlich bemerkten Noire und Woody die Blicke, die ihnen zugeworfen wurden, doch beiden war es egal. Sie waren glücklich - mehr, als die meisten Wölfe im Rudel.

Die Ältesten des Rudels, Federohr und Snow, wurden schon bald gereizt und gelangweilt. Auch wenn niemand mehr etwas von den Bären und Dachsen gerochen, gesehen oder gehört hatte, hob Alpha die Regel, dass nur noch Jäger das Lager verlassen durften, nicht auf.

Also lagen die zwei Tag ein Tag aus nur in der Höhle und husteten und hungerten. Vor allem Federohr wurde griesgrämig. Er wollte niemanden - außer Snow - mehr näher als zwei Shweiflängen an sich heran lassen.

Sein Husten wurde nicht besser, doch Snowdrop oder Maroni durften ihn nicht untersuchen. Nahezu das ganze Rudel redete auf den alten Wolf ein, doch er stellte sich taub.

Viele Wölfe glaubten nun, dass die Gerüche und Spuren nur Zufall gewesen waren, und dass es keine Gefahr außer den Hunger gebe, doch Noire teilte diese Meinung nicht.

Sie traute der Ruhe nicht. Und, wie sie wusste, Alpha auch nicht. Unzählige Male hatten sie gerätselt und diskutiert, doch sie kamen auf kein stimmiges Ergebnis, was diese Hinweise zu bedeuten hatten.

So verging ein Monat. Der nächste Vollmond kam und ging, ohne ein Ereignis mit sich gebracht zu haben. Noire begann, immer unwahrscheinlichere Theorien aufzustellen, da sie einfach nicht wahr haben wollte, dass alles nur Zufall gewesen war.

Sie verglich außerdem die wirklich passierten Geschehnisse mit denen aus ihrem nun schon so lange zurückliegenden Traum. Damals hatte sie ihm zwar eine viel größere Bedeutung beigemessen, aber auch heute als nahezu ausgewachsener Wolf konnte sie ihn nicht vergessen.

Sogar die genaue Handlung hatte sie vergessen, aber trotzdem fand sie parallelen zu der Realität. Im Kopf setzte sie eine Liste an, die sie für sich behielt und die ihr oft einen gedankenverlorenen Gesichtsausdruck bescherte, der Woody ratlos ließ.

Zum Beispiel war Maroni Heilerin, es war die Lichtung in der Mulde und es waren Bären und Dachse ohne Kampf, die sich getroffen hatten gewesen.

Andererseits war der Wald in dem Traum trocken und sonnendurchflutet gewesen, der in der Realität musste zu Zeit des Treffens - falls es denn wirklich stattgefunden hatte - kurz nach dem verhängnisvollen Sturm gewesen sein, also nass und teilweise zerstört.

Es war mal wieder einer der gedankenversunkenen Momente von Noire gewesen, als Woody sie heraus holte. ,,Noire! Hör auf zu träumen! Pfeil hat dich etwas gefragt.'', riss die Stimme ihres besten Freundes sie aus den trübsinnigen Gedanken.

,,Was?'', fragte Noire verwirrt und schüttelte den Kopf. Pfeil rollte in gespielter Resignation die Augen. ,,Ich habe dich gefragt, ob wi-'', weiter kam er nicht, denn ein kräftiger Hustenanfall schüttelte seinen abgemagerten Körper durch.

Besorgt warteten Noire, Woody und Mondschein, bis der hellbraune Wolf sich wieder aufrichtete. Pfeil nieste noch einmal und sprach dann weiter, als wäre nichts passiert. ,,Ich fragte, ob wir nicht langsam zurück ins Lager gehen sollten. Es ist kalt und schon später Nachmittag.''

Überrascht stellte Noire fest, dass er Recht hatte. Auch ihre Pfoten zitterten vor Kälte und ihre Ohren waren gefühllos. Die Sonne stand schon tief über den Baumwipfeln. Sie nickte. ,,Ja, das sollten wir wohl wirklich tun.''

Die vier teilten die Beute unter sich auf. Keiner nahm übermäßig viel, wie Noire niedergeschlagen bemerkte. Trotzdem war die Beute schon wieder mehr geworden als vor einem knappen Mond, auch wenn es noch lange nicht genug war, um jeden satt zu machen.

In eher gemächlichem Tempo trabten sie durch den Wald und hoben die Pfoten möglichst weit, um dem Schnee zu entgehen. Sie benutzten die Pfade, die das Rudel nach dem letzten Schneefall getreten hatte, einer hinter dem anderen. Pfeil lief vorneweg, Noire bildete das Schlusslicht.

Ihr Atem bildete kleine Wölkchen in der Luft, die nach oben stiegen und sich schließlich auflösten. Noire beobachtete die wirbelnden Nebel, die aus den Mäulern der Wölfe vor ihr kamen und sah, wie diese verschwanden.

Schon wieder schweiften ihre Gedanken ab und gingen auf Wanderschaft. Sie bekam in letzter Zeit einfach zu wenig Schlaf, um sich richtig konzentrieren zu können. Nicht gerade ein bessernder Faktor ihres Jagderfolgs.

Mühsam unterdrückte sie ein Gähnen. Wenn sie sich doch nur kurz hinlegen könnte, nachdem sie im Lager angekommen waren. Aber sie wusste, dass sie sich freiwillig als Wache nach der Jagd bereiterklärt hatte, also musste sie diese Verpflichtung auch gewissenhaft ausführen.

Noires Gedanken waren gerade bei Maroni angekommen, die in dieser Zeit auch immer mal wieder mit auf die Jagd kam, und der Frage, wie es ihr wohl erging, als sie wohl als letzte Gruppe zurück ins Lager kamen.

Sofort merkten Noire und wohl auch ihre Jagdgefährten, dass etwas nicht stimmte. Aufgeregte Rufe, Angstgeruch und eine Anspannung lagen in der Luft, so stark, dass Noire sie beinahe greifen konnte.

Wolves - Eine unbekannte GefahrWo Geschichten leben. Entdecke jetzt