21. Streit, Verrat und Versöhnung

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Benommen öffnete Noire die Augen. Sie lag auf etwas Weichem. Sie hob kurz den Kopf, bevor sie ihn sofort wieder sinken ließ. Er schmerzte, sobald sie ihn bewegte, und fühlte sich schwer und wund an. Nach ein paar Minuten startete sie langsam einen neuen Versuch, sich umzusehen.
Sie lag in der Heilerhöhle, vorne an den Wänden waren die Nischen für Kräuter. Sie war ganz hinten in der lang gezogenen Höhle.
Ihre Schulter schmerzte, doch sie konnte den Kopf nicht weit genug herum drehen, um zu sehen ob sie dort verletzt war.
Und plötzlich kamen die Erinnerungen wieder. Der Streit, ihre Wut, die Wut ihrer Mutter, der Weg nach unten, der eine falsche Tritt und sie hatte den Halt verloren und war abgerutscht.
Wie spät war es jetzt? Durch den Busch vor dem Eingang konnte Noire nicht einmal erahnen, wo die Sonne stand. War es noch der gleiche Tag? Wie lange war sie weggetreten gewesen?
Sie bemerkte eine Bewegung neben sich. Vorsichtig hob sie den Kopf noch etwas weiter, bis sie eine undeutliche Gestalt im Dämmerlicht ausmachen konnte, die wie Noire selbst auf einem Moospolster lag.
Flame! Natürlich, er war ja auch hier. Sein Atem ging regelmäßig und geräuschlos. Es schien ihm besser zu gehen.
Erleichtert sank Noire wieder auf ihr Moos. In diesem Moment schob sich der Busch beiseite, und Snowdrop kam herein. Ihrem plötzlichen Instinkt folgend schloss Noire die Augen wieder, und tat so, als wäre sie noch bewusstlos.
Sie hörte, wie Snowdrop zu ihr kam, aber er berührte sie nicht sondern beschnüffelte sie nur. Seufzend ging er weiter zu Flame. Doch auch dort blieb er nicht lang und ging einen Moment später wieder nach vorne.
Noire wagte es, ihre Augen einen winzigen Spaltbreite zu öffnen, als der Busch sich erneut verschob.
Ihre Mutter kam herein. Durch ihre Wimpern sah Noire, wie Alpha Snowdrop anschaute, doch der schüttelte nur den Kopf und beide sahen zu den Verletzten herüber. Noire bemühte sich, nicht zu blinzeln. ,,Das Rudel ist in Aufruhr. Viele denken, wir sind verflucht, weil zuerst Flame gestürzt ist und jetzt Noire.", sagte Alpha.
,,Das ist vollkommener Quatsch. Du hast ihnen doch schon gesagt, dass Noire sehr viel Glück gehabt hat, und morgen schon wieder auf den Beinen sein wird.", antwortete Snowdrop.
,,Aber bist du dir wirklich sicher? Du sagtest doch, sie sollte schon aufwachen."
Alphas Stimme war so leise, dass Noire die Ohren spitzen musste.
,,Absolut sicher. Sie hat nur eine leichte Schramme an der Schulter und eine Gehirnerschütterung, das wird schon bis morgen wieder. Vertrau mir.", sagte Snowdrop überzeugt.
Eine Gehirnerschütterung. Deshalb tat Noires Kopf also so weh. Doch Alpha sprach schon weiter: ,,Snowdrop, könntest du mit ihnen reden? Du kannst andere überzeugen, dir werden sie glauben."
,,Bist du dir da jetzt sicher? Ich kann es natürlich versuchen, aber ob es was nützt...", antwortete Snowdrop mit skeptischem Blick.
,,Ja, bitte versuche es wenigstens. Am besten gleich."
,,Na gut . . . Gehen wir."
Gemeinsam verließen sie die Höhle. Einen Moment später konnte Noire den bekannten Ruf ihrer Mutter hören: ,,Ich rufe das komplette Felsenrudel auf, sich hier und jetzt auf der Lichtung zu versammeln." Während Noire von draußen Schritte des Rudels hören konnte, versuchte sie sich vorsichtig aufzusetzen. Ihr Kopf pochte noch immer unglaublich schmerzhaft, doch sonst konnte sie sitzen. Sie spitzte die Ohren. Ohne Mühe konnte sie jetzt Snowdrops starke, selbstbewusste Stimme verstehen.
,,-schließe ich komplett aus. Wie Alpha euch bereits gesagt hat, wird Noire wahrscheinlich heute noch aufwachen, zwar mit Kopfschmerzen, aber sonst gesund. Und auch Flame erholt sich den Umständen entsprechend gut."
,,Aber so kurz darauffolgende Stürze, von Vater und Tochter, das kann doch gar kein Zufall sein. Und auch noch beide auf dem Weg zur Alphahöhle.", rief South ein.
,,Vielleicht ist es ein Zeichen dass die Himmelswölfe eine andere Alpha wollen." Das war Pfeil, doch auf seine Worte folgte lautes Gerufe, das meiste ablehnend oder entsetzt.
Auch Noire war entsetzt, wie gespalten das Rudel war. Jetzt konnte man Dagger und Snow hören, wie sie versuchten, das Rudel zu beruhigen.
,,Ruhe! Lasst Alpha und Snowdrop reden!"
Die beiden wurden jedoch übertönt und ignoriert.
Noire beschloss, zu handeln. Mühsam versuchte sie, auf die Pfoten zu kommen.
Das ganze Rudel war in Aufruhr, jeder rief oder schrie irgendetwas. Man konnte keine klaren Stimmen oder Wörter erkennen, es war ein Gewirr aus Vorwürfen, Wütenden oder Entsetzten Ausrufen, Bitten um Ruhe oder ängstliche Schreie.
Doch dann erhob sich eine neue Stimme.
Rose heulte.
Sie heulte laut, bis das Rudel langsam verstummte und sie überrascht anstarrte.
,,Ihr werdet mir jetzt zuhören.", Rose war wütend, so wütend wie Noire es ihr gar nicht zugetraut hätte. Ihre Stimme war eisigkalt, als sie weiter sprach. Das ganze Rudel starrte sie an, als hätte sie sich vor ihren Augen in einen Fuchs verwandelt. ,,Hört mir zu. Gut. Und jetzt denkt ihr mal darüber nach, was ihr gerade gesagt habt. Wisst ihr eigentlich, wie hilflos ihr ohne Alpha wärt? Ihr wärt ein Haufen hilfloser, streitender Wölfe, der sich zerstreuen und verteilen würde. Alpha ist die, die unser Rudel zusammen hält. Und irgendwann wird es Noire sein, die uns leitet und führt und beschützt. Doch dafür müssen wir sie unterstützen. Ihr wisst Nacht, wie schwer es ist, auch ich weiß es nicht. Allein Alpha kann das beurteilen. Also urteilt nicht über etwas, von dem ihr keine Ahnung habt. Und damit meine ich wirklich keine Ahnung." Rose machte eine Pause. Viele Wölfe des Rudels hatten inzwischen den Kopf gesenkt. Einer der wenigen, die noch aufrecht standen, war Pfeil. Rose richtete sich jetzt direkt an ihn und sah dem braunen Wolf wütend mit kaltem Gesichtsausdruck in die Augen. ,,Pfeil. Du willst eine andere Alpha? Du bist mit unserer nicht zufrieden? Soll ich dir sagen was du machen sollst?" Nochmal machte Rose eine Pause, bevor sie weiterredete. ,,Geh. Geh, such dir ein anderes Rudel. In einem anderen Rudel wird es bestimmt eine bessere Alpha geben, keiner wird je verletzt werden. Geh einfach." Angewidert wandte sie sich wieder an das restliche Rudel.
Pfeil hatte den Kopf gesenkt und den Schwanz zwischen die Beine geklemmt.
,,Ihr solltest nicht urteilen, bevor Noire nicht wieder aufgewacht ist. Wartet ab, dann könnt ihr euch weiter auflehnen."
Jetzt drehte sie sich direkt zu Alpha.
,,Alpha. Du hast uns bis jetzt immer gut geführt. Hör nicht auf diese feigen Kätzchen. Sie haben Angst. Aber selbst wenn du uns in den Untergang führst, ich folge dir."
Ganz still saß Alpha da, dann sagte sie mit brüchiger Stimme: ,,D . . . Du weißt gar nicht, wie viel mir das bedeutet, Rose." Die weiße Wölfin neigte den Kopf, dann setzte sie sich wieder. Noch immer hatten alle Wölfe des Rudels den Kopf gesenkt. Nochmals ergriff Alpha das Wort: ,,Doch es geht heute nicht um mich. Heute geht es um Noire, und ihr solltet ihr Treue zusprechen. Mein Höhepunkt ist vergangen, Noire ist ganz am Anfang ihrer Zeit."
Jetzt trat Nightmoon vor. ,,Ich werde auch Noire zu ihrer Zeit überall hin folgen."
,,Ich ebenso.", erwiderte Dagger und stellte sich neben Nightmoon. Nacheinander traten alle Wölfe neben die beiden, und alle sagten nahezu den gleichen Wortlaut. Schließlich war nur noch Pfeil alleine am Rande der Lichtung.
Fest blickte er Alpha in die Augen und sagte: ,,Alpha. Es tut mir leid was ich gesagt habe. Auch ich werde dir und deiner Tochter bis ans Ende der Welt folgen, wenn es sein muss." Und er stellte sich zu der Gruppe in die Mitte der Lichtung und senkte kurz den Kopf vor Alpha. Auch Snowdrop stand bei ihnen, sodass Noires Mutter jetzt alleine auf dem Sommerfelsen stand. Während der ganzen 'Zeremonie' hatte sie kein Wort gesagt, doch jetzt sprang sie vom Felsen und stellte sich vor ihr Rudel.
Und dann senkte sie den Kopf tief vor ihrem Rudel.
Einige Momente blieb sie so stehen, dann reckte sie die Schnauze gen Himmel und heulte.
Das ganze Rudel stimmte mit ein, auch Noire, die es inzwischen geschafft hatte, sich am Eingang der Heilerhöhle hin zu setzen, heulte, auch wenn niemand ihre Stimme heraushören konnte. Das ganze Gespräch hatte sie mit angesehen, und wie ihre Mutter war sie zutiefst gerührt von den Reaktionen auf Rose' Rede.

Der Mond stand schon hoch am Himmel, als das Rudel verstummte. Einige Sekunden saßen alle still da, den Moment genießend. Das Geheul hatte sie wieder versöhnt, sie waren wieder ein Rudel. Noire wusste, dass jetzt jeder Wolf hier jedem Rudelgefährten sein Leben anvertrauen würde
Rose sprach wieder: ,,Doch jetzt wollen wir Noire erst einmal wieder gesund werden lassen, bevor wir sie weiter ausbilden. Sie muss sich vollständig erholen."
Zustimmendes Gemurmel von allen Seiten.
Und jetzt endlich trat Noire vor ins Mondlicht und sagte trotz ihrer unglaublichen Kopfschmerzen mit lauter und starker Stimme: ,,Ich kann dir in diesem Punkt nur zustimmen, Rose."

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Ich konnte mal wieder nicht aufhören, deswegen hat das Kapitel fast 1500 Wörter. 😂😂🤷 Normalerweise ist mein Ziel ungefähr 500 - 600 Wörter, Lol?

Wolves - Eine unbekannte GefahrWo Geschichten leben. Entdecke jetzt