63. Letzte Ehre

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Schlaff lag Noire auf der Seite, die Augen geschlossen, die Gedanken bei ihrer Mutter. Sie kümmerte sich nicht darum, dass Maroni sich an die Behandlung ihrer Wunden machte und ließ die Heilerin einfach gewähren.

Ihre Mutter war tot.

Dieser Gedanke kreiste in ihrem Kopf, wiederholte sich wie ein Echo, wie ein Mantra. Diese vier Worte klopften gegen ihre Schläfen, füllten ihren Kopf mit Nebel.

Sie würde nie wieder mit ihr sprechen können, keine Sorgen mit ihr teilen. Und Alpha würde nie erfahren, dass Noire Welpen austragen würde.

Mitten in dem Nebel in ihrem Kopf, irgendwo hinter den verräterischen vier Worten spielten sich einzelne Erinnerungen mit ihrer Mutter ab.

Wie sie mit ihren kurzen Beinen als Welpe vor der Wäsche geflohen war ... Wie sie endlich den Wald erkunden durfte ... Wie sie ihre erste Beute gefangen hatte und wie stolz Alpha gewesen war ... Wie sie als vollwertige Jägerin anerkannt worden war ... Ihr Zusammenhalt, als Flame um sein Leben kämpfte ... Ihre zahlreichen Streitigkeiten ... Noires Zorn, ihre Enttäuschung in den letzten Tagen des Lebens ihrer Mutter.

Im Nachhinein hasste sie sich dafür, Alpha verurteilt zu haben, doch nun war es sowieso zu spät.

Ihre Mutter war tot.

Nur ganz allmählich lichtete sich der Nebel und die Betäubung in ihrem Kopf, machte Schmerz und Trauer Platz und erst jetzt wurde Noire bewusst, dass sie die Last der Verantwortung nun ganz allein auf ihren Schultern trug.

Ein Duft umwehte ihre Nase und beruhigte sie augenblicklich. Sie spürte eine feuchte Schnauze, die sie anstupste. Die Stimme, die zu ihr sprach, war zwar heiser vor Trauer und schmerzerfüllt, doch sanft und liebevoll. ,,Steh auf. Sie brauchen dich. Ich brauche dich.''

Nein, sie war nicht allein. Sie hatte einen wunderbaren Gefährten an ihrer Seite, der sie immer unterstützen würde.

Die Schnauze wurde energischer, bis Noire widerwillig die Lider hob. Ein bernsteinfarbenes Augenpaar war dicht vor ihren grünen.

,,Steh auf.'', wiederholte Woody und Noire stöhnte, als sie sich bewegte. Trotz Maronis Behandlung schmerzte jeder Muskel, jeder Nerv, jedes Haar ihres Körpers.

Als sie auf allen vier Pfoten stand, schüttelte sie sich und ein paar der Schmerzen verschwanden. Sie fühlte sich zwar immer noch wie einmal gefressen und wieder hinaus befördert, doch sie konnte klar denken.

,,Die Sonne hat bald ihren Höchstand erreicht, No-'' Woody unterbrach sich. ,,Alpha'', beendete er den Satz.

Noire warf ihm einen entgeisterten Blick zu. ,,Wenn du mich ab jetzt Alpha nennst, weigere ich mich, deine Gefährtin zu sein.'', brummte sie und Woody lachte. ,,Okay okay, Noire. Aber den Rest des Rudels wirst du nicht daran hindern können.''

Ein schmerzhafter Stich in ihrem Herzen ließ Noire den Blick auf ihre Pfoten senken. Sie wollte diesen Namen nicht tragen. Sie wollte einfach weiter Noire bleiben, wie sie es schon immer gewesen war.

Es fühlte sich falsch an, den Namen zu benutzen. Für sie kam bei dem Gedanken an 'Alpha' immer eine silbergraue Wölfin zum Vorschein, die mutig und stark ihr Rudel führte.

,,Komm.'', sagte Woody sanft und legte die Schweifspitze auf ihre Schulter. Noire nickte und atmete tief durch. Dann liefen sie Seite an Seite vorbei an dem Leichnam, vorbei an der dunkelroten Blutlache und vorbei an den aufgeweichten Moosplacken, mit denen sie versucht hatten, Alphas Leben zu retten.


Das Sonnenlicht außerhalb der Höhle war heller, als Noire gedacht hatte und sie kniff die Augen zusammen. Die Strahlen des Feuerballs hatten nun schon wieder an Kraft gewonnen und fielen warm auf ihr schwarzes Fell, doch sie spürte keine Wärme an diesem Tag des Verlustes.

Wolves - Eine unbekannte GefahrWo Geschichten leben. Entdecke jetzt